Chinesische Lösung blieb aus - SED-Führung lobte gewaltsame Niederschlagung der Opposition im Juni 1989 in Peking, doch es nutzte ihr nichts



Unter den Augen der Weltöffentlichkeit protestierten im Frühsommer 1989 chinesische Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking für mehr Demokratie im Reich der Mitte. (Repro: Caspar)

Der 4. Juni besitzt seit zwanzig Jahren in China einen großen Symbolwert, ähnlich wie bei uns der 17. Juni, an dem des Volksaufstands am 17. Juni 1953 in der DDR gedacht wird. An jenem 4. Juni 1989 wurden auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking der seit Wochen andauernde Protest rebellierender Studenten und Arbeiter gewaltsam niedergeschlagen. Ihre unter den Augen der Weltöffentlichkeit vorgetragenen Forderungen nach Demokratie, die diesen Namen wirklich verdient, nach Überwindung der Einparteienherrschaft, Pressefreiheit und Öffnung des Landes in Richtung Westen wurden von der kommunistischen Führung des Reichs der Mitte als konterrevolutionär und von ausländischen Mächten gesteuert diffamiert. Wochenlange Protestaktionen unter den Augen der Weltöffentlichkeit gipfelten in einem Massaker mit etwa 3600 Toten und 60 000 Verletzten. Im Anschluss fand quer durch das Land eine politische Säuberungswelle statt, in deren Verlauf 120 000 Menschen verhaftet und Dutzende Todesurteile ausgesprochen wurden. In der Volksrepublik China breitete sich Friedhofsruhe aus.

Zufrieden registrierten das SED-Zentralorgan NEUES DEUTSCHLAND (ND), die Aktuelle Kamera und andere DDR-Medien die Verurteilung der „Aufrührer“ und die Vollstreckung der Todesurteile. Das DDR-Fernsehen strahlte zweimal eine aus der Volksrepublik China übernommene Dokumentation über den „konterrevolutionären Aufruhr in Peking am 3. und 4. Juni 1989“ aus. Damit sollte auch dem Letzten in der DDR klar werden, dass oppositionelle „Elemente“ keine Chance haben.

Als das SED-Politbüromitglied Günter Schabowski, der „Maueröffner“ vom 9. November 1989, Mitte Juni 1989 in Peking weilte, dankte ihm der chinesische KP-Chef Jiang Zemin für das „tiefe Verständnis und die Unterstützung der DDR“. Als ob die DDR nicht schon genug Probleme hätte, fühlte sich auch das SED-Politbüromitglied Egon Krenz, der zugleich für die Sicherheitspolitik im zweiten deutschen Staat zuständig war, bemüßigt, die gewaltsame Niederschlagung der Studentenproteste als Schlag gegen die Konterrevolution, als Tat für den Erhalt des Friedens zu loben. In diesem Sinne sprach sich die von der SED dominierte DDR-Volkskammer aus, indem sie das Blutbad in Peking als „Niederschlagung einer Konterrevolution“ billigte und Verständnis für den Einsatz des Militärs bekundete.

Dass die SED-Führung und die Volkskammer das blutige Vorgehen begrüßten, war ein wichtiges Signal zunächst in Richtung Volksrepublik China, in der man einen potenziellen Verbündeten an Stelle der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow sah, dessen Politik von Glasnost und Perestroika Honecker & Co. zutiefst zuwider war. Zum anderen wurde der DDR-Bevölkerung bedeutet, dass ähnliche Gewaltaktionen im Falle einer Rebellion möglich sein könnten und es besser ist, sich still und systemkonform zu verhalten.

Wie sich nach der friedlichen Revolution in der DDR 1989/90 heraus stellte, war die Furcht nicht unbegründet, die SED- und Staatsführung könnte sich den zum Inbegriff für Niederschlagung der inneren Opposition gewordenen „4. Juni“ zum Vorbild nehmen und gegebenenfalls seine Schutz- und Sicherheitsorgane auch mit Schusswaffen in Marsch zu setzen und diese wie auf dem Platz des Himmlischen Friedens auch anzuwenden. Zum Glück blieb die „chinesische Lösung“ aus, und es kam auch nicht zur massenhaften Einweisung von Oppositionellen in so genannte Isolierungsobjekte, das heißt in eine Art Konzentrationslager. Quer durch die DDR waren etwa 250 solcher Einrichtungen vorbereitet, um sie im Fall von äußerer Bedrohung und inneren Unruhen binnen 24 Stunden mit „feindlich-dekadenten“ Personen zu füllen. Die gewaltsame Unterdrückung von Protestaktionen vor und nach dem 7. Oktober 1989, als der 40. Jahrestag der DDR gefeiert wurde, waren ein Schlag ins Wasser, denn sie trieben jetzt erst recht unter dem Motto „Wir sind das Volk“ zahllose Menschen auf die Straße. Ihre Wut über das brutale Vorgehen der Staatssicherheit und Volkspolizei überwog die Angst vor dem „Platz des Himmlischen Friedens“.

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