Hinweis auf Deutschland war unerwünscht - Becher-Hymne durfte in der DDR während Honeckers Herrschaft nicht mehr gesungen werden



Johannes R. Becher war mehr als nur ein der Partei ergebener Staatsdichter und Kulturminister. Sein von Fritz Cremer geschaffenes Denkmal steht seit 1960 im Bürgerpark in Berlin-Pankow. (Foto: Caspar)

Als die DDR am 7. Oktober 1949 gegründet wurde, geschah das mit einer schmucklosen Zeremonie. Erst ein Monat später erklang ein Lied, das zur Nationalhymne avancierte und bis zum Ende des zweiten deutschen Staates von Kapellen und Sinfonieorchestern intoniert, nicht aber gesungen wurde. Versehen mit der Anfangszeile „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“ wurde das hinter vorgehaltener Hand "Ruinenwalzer" genannte Lied zum erstenmal in Berlin am 6. November 1949 anlässlich einer Festveranstaltung zum 32. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution gesungen und soll, wie aus zeitgenössischen Berichten hervor geht, vom Publikum ergriffen und begeistert aufgenommen worden sein. Der vom SED-Politibüro genehmigte Text des Dichters und späteren Kulturministers Johannes R. Becher kennzeichnete treffend die Situation und Aufbruchstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber schon der nächste Satz „Lasst und dir zum Guten dienen, Deutschland einig Vaterland“ war über 20 Jahre später wegen der von Erich Honecker praktizierten Abgrenzungspolitik politisch nicht mehr opportun, weshalb die DDR-Hymne nur noch vom Orchester gespielt werden durfte. Es ist anzunehmen, dass in den obersten Führungskreisen darüber diskutiert wurde, ob man nicht eine neue Hymne dichten und komponieren lassen sollte. Doch das hätte nur unnötiges Aufsehen erregt, weshalb man den Plan fallen ließ. Im übrigen wurde von „Deutschland“ nur noch in der Vergangenheitsform und oft genug auch verächtlich gesprochen. Jetzt spielte sich die DDR als der angeblich bessere deutsche Staat auf, dem allein die Zukunft gehört, während der westdeutsche Imperialismus dem Untergang geweiht ist.

Johannes R. Becher, der in seinem Moskauer Exil während der Nazizeit zahlreiche Deutschland-Dichtungen verfasst hatte, schrieb für die Hymne zahlreiche Textentwürfe. Zunächst war der Komponist Otmar Gerster beauftragt, das Lied zu vertonen, und er tat es auch. Doch dann traf Becher in Warschau Hanns Eisler, der eine neue Melodie vortrug, die dem Dichter besser gefiel. In Ost-Berlin fand später in Anwesenheit von SED- und FDJ-Funktionären ein Wettstreit zwischen beiden Komponisten statt, aus dem Eisler siegreich hervor ging, während man bei Gersters choralähnlicher Vertonung hymnisches Pathos vermisste. Becher und Eisler wurden für ihr gemeinsames Werk 1950 mit dem Nationalpreis ausgezeichnet. In der Bundesrepublik wurde behauptet, Eisler habe die ersten Noten des Schlagers von Peter Kreuder „Good bye, Jonny!“ plagiiert, den Hans Albers in dem Film „Wasser für Canitoga“ sang. 1989/90 wurde die lange Zeit unerwünschte Zeile „Deutschland einig Vaterland“ von Bürgerrechtlern skandiert und alsbald Realität.

Zu Bechers Ehrenrettung sei gesagt, dass er gegen Ende seines Lebens tief in einem Innersten mit dem SED-Regime und dem Stalinismus haderte, dem er lange Zeit durch schwülstige Oden gehuldigt hatte. Von Ulbricht zum Staatsdichter und größten deutschen Dichter der Gegenwart hochstilisiert, war dem 1958 verstorbenen Kulturminister kein „schweigendes Begräbnis“ auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin vergönnt, wie es gewollt hatte, sondern eine prunkvolle, sich über Tage hinziehende Totenehrung, durch die sich der Parteichef als sein angeblich bester Freund selber in Szene setzte. Zehn Jahre nach dem von Becher befürchteten „Leichenfirlefanz und Mummenschanz“ später wurde die Verfilmung der DEFA von Bechers autobiographisch gefärbtem Roman „Abschied“ klammheimlich aus den Kinos genommen, weil er nicht ins Bild passte, das sich die SED- und Staatsführung von „ihrem“ Hans, also von Johannes R. Becher, machte.

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