Ich leiste was, ich leiste mir was, die leisten sich was



„Die Kennziffern überbieten jede Menge, / so jagen wir die Militaristen in die Enge“ lautet eine Parole, mit der für die Erfüllung des 1959 ausgerufenen Siebenjahrplans geworben wurde. (Repro: Caspar)

Politparolen wurden in der DDR oft ins Gegenteil verkehrt und fielen mit Wucht auf ihre Erfinder zurück Wenn es nichts gab in der DDR – an Sprüchen, Visionen und Versprechungen und übrigens auch Schnaps herrschte nie Mangel. Ganze Propagandastäbe müssen damit beschäftigt gewesen sein, eingängige Losungen zu erfinden und dem Volk schmackhaft zu machen, was selten gelang. Eine dieser Parolen lautete „Ich leiste was, ich leiste mir was“. Von der SED-Führung in den achtziger Jahren verbreitet, als schon der Bankrott der DDR abzusehen war und ihre Wirtschaft auf dem letzten Loch pfiff, sollten mit dem Spruch brach liegende Reserven mobilisiert und die, wie es hieß, materielle Interessiertheit der Werktätigen stimuliert werden.

Was die „führenden Genossen“ dabei nicht beachteten, war die Frage, was dieses „was“ denn sein soll. Sollte ein „Ruck“ durchs Land gehen? Um Gotteswillen, nicht das! War die Abkehr von Schlendrian, Material- und Zeitvergeudung und die Aufgabe des Prinzips „Privat geht vor Katastrophe“ gefordert? Ja schon, aber schwer durchzusetzen. Gemeint war eher der übliche Beitrag zur Planerfüllung, vielleicht ein überdurchschnittliches Engagement. Doch damit machte man sich irgendwie verdächtig. Wenn jemand wirklich etwas geleistet hat, musste er schon viel Glück und Beziehungen haben, um schneller als andere an einen „Trabant“ zu kommen oder eine bessere Wohnung zu beziehen. Das galt für den Normalbürger; gehobene Funktionärskreise, nach sowjetischem Vorbild Nomenklatur genannt, mussten in dieser Hinsicht nichts befürchten; sie wurden aus Sonderkontingenten versorgt, was zusätzlichen Unmut erregte. Jener Spruch zum Thema Leistungsprinzip wollte dem allgemeinen Frust über Stillstand und Herrschaft uneinsichtiger Greise begegnen, dem wachsenden Unmut über die von der SED gegängelten Medien und ihre schönfärberischen Berichte, die jeder Erfahrung Hohn sprachen. Ökonomen haben ausgerechnet, dass Millionen Arbeitsstunden ausfielen, nur weil Werktätige ihren Arbeitsplatz verließen, um sich in die Warteschlangen anzustellen, wenn es irgendwo Südfrüchte oder andere begehrte Erzeugnisse gab. Oft nahmen Leute aus der Provinz lange Fahrten mit der Bahn oder dem Auto in Kauf, um in Berlin, der Hauptstadt der DDR, oder wenigstens in den Bezirksstädten etwas zu ergattern, was bei ihnen zuhause Mangelware oder nur „unterm Ladentisch“, also nicht für jedermann, erhältlich war.

Angesichts des Kaufkraftüberhangs und der dünnen Warendecke war es schwierig, etwas Vernünftiges für sein Geld zu bekommen, man legte es einstweilen auf die hohe Kante. Hochwertige Industriegüter waren immens teuer und, wie im Falle von Trabant, Wartburg und anderen Autos, aber auch hochwertigen Industriegütern wie Farbfernseher, Kühlschränke, Waschmaschinen oder Schrankwände mit empörend langen Wartefristen verbunden. Im staatlichen Handel hingen zumeist Ladenhüter ohne Schick, und wenn man etwas Modisches oder besonders Schmackhaftes haben wollte, musste man entweder in den Exquisit beziehungsweise Delikat mit seinen überteuerten DDR-Preisen oder in den Intershop gehen. Dort bekam man für Devisen, also das Geld vom Klassenfeind, Waren häufig aus der so genannten Gestattungsproduktion1, das heißt landeseigene Erzeugnisse.

Manche Waren wurden für einen kleinen Profit weiter verkauft oder auch nur auf Vorrat angeschafft, obwohl man es im Moment nicht gebrauchen konnte. So gab es einen florierenden Tauschhandel vor allem von Autoersatzteilen, und es wurden Raritäten gehortet, um sie gegen andere begehrte Gegenstände oder auch Dienstleistungen weiterzugeben. Dass im Gesundheitswesen Krankenhausbetten und Atteste gegen Handwerkertermine und Ersatzteile getauscht wurden, kann man in dem 2008 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten, auf dem „Weißen Hirsch“ in Dresden angesiedelten Roman von Uwe Tellkamp „Der Turm“ nachlesen, ebenso dass es eine Zweiklassenmedizin gab, die hohe Parteifunktionsträger und Amtsträger sowie Prominente klar bevorzugte. Wie so oft, wurden die von „oben“ verordneten Politparolen, kaum dass sie im Umlauf waren, dem Spott preisgegeben. In diesem Fall machte der Volksmund aus dem wohl im Zentralkomitee erfundenen Slogan die schlichte Feststellung „Ich leiste was, du leistest was, die leisten sich was.“ Zum Ärger seiner Erfinder machte der Volksmund aus dem Spruch „Mein Staat, mein Stolz“ in Anspielung auf mangelhafte Angebote von Baumaterialien „Mein Staat, kein Holz“, und der Aufruf „Meine Hand für mein Produkt“ verwandelte sich mit Blick auf die Schattenwirtschaft in der DDR, wo das eigene Geld wenig, Beziehungen aber alles waren, in „Meine Hand für dein Produkt“.

1Der seinerzeit und auch heute kaum bekannte Ausdruck "Gestattungsproduktion" kam daher, daß die DDR westlichen Firmen "gestattete","... in der DDR auf billige Weise bestimmte Produkte wie Schuhe, Textilien, Zigaretten, Kosmetika und Autoteile herstellen zu lassen. ..." (Aus und Näheres dazu in: "DDR-Lexikon", s. den Buchtitel links oben zum Anklicken.)

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