Schießbefehl wurde bestritten und Siegerjustiz unterstellt - Nach ihrer Entmachtung gaben sich Erich Honecker und seine Genossen als verfolgte Unschuld aus




Weiße Kreuze erinnern in der Nähe des Berliner Reichstagsgebäudes an erschossene Flüchtlinge. Namentlich bekannt sind 136 Männer, Frauen und Kinder, die an der Berliner Mauer und den Befestigungsanlagen rund um Westberlin ums Leben kamen. (Foto: Caspar)

Nach dem Ende der DDR wurde von deren ehemaligen Führern die Existenz eines Befehls zum Töten von Flüchtlingen an der deutsch-deutschen Grenze bestritten. Dabei gibt es eindeutige Dokumente, die Wachen, Posten und Streifen der Grenztruppen verpflichten, die Schusswaffe an der so genannten Staatsgrenze West und an der Ostseeküste zur Verhinderung von Fluchtversuchen nach dem Anruf „Halt – stehen bleiben – Grenzposten“ oder nach Abgabe eines Warnschusses anzuwenden. Als Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates der DDR erklärte SED- und Staatschef Erich Honecker 1974: „Nach wie vor muss bei Grenzdurchbruchversuchen von der Schusswaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden, und es sind die Genossen, die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben, zu belobigen“. Begründet wurde der Schießbefehl als Maßnahme, „um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern, die sich den Umständen nach als ein Verbrechen darstellt“.

Wenige von den vielen Grenzsoldaten, die die Tötung von Flüchtlingen zu verantworten haben, wurden nach der Wiedervereinigung 1990 in den so genannten Mauerschützenprozessen belangt; die meisten kamen mangels an Beweisen davon. Einige SED-Politbüromitglieder, darunter Egon Krenz und Günter Schabowski, wurden wegen ihrer Mitverantwortung für die Toten an der Mauer vor Gericht gestellt und zu Freiheitsstrafen verurteilt. Hingegen entgingen Erich Honecker und sein Stasiminister Erich Mielke wegen angegriffener Gesundheit ihrer Strafe, so die damalige Begründung. Bei ihren Vernehmungen gaben Erich Honecker und seine Genossen aus dem Politibüro die verfolgte Unschuld. Sie verteidigten die Schüsse an der Mauer als Akt der Selbstverteidigung und verwiesen darauf, dass dergleichen auch an anderen Grenzen Usus sei. Außerdem hätten die Flüchtlinge gewusst, dass das, was sie tun, verboten und lebensgefährlich ist. Niemand habe sie gezwungen, die DDR illegal zu verlassen.

Erich Honecker und weitere Beschuldigte unterstellten den Rechtsorganen der Bundesrepublik Deutschland, „Siegerjustiz“ anwenden zu wollen. Ausgerechnet diejenigen, welche die Verfassung und das Recht in der DDR mit Füßen getreten und Oppositionelle verfolgt hatten, auf Flüchtlinge schießen ließen, sich schamlos bereicherten und das Land ausplünderten, behaupteten, ungerecht behandelt zu werden. Bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit wurde den Gerichten vorgeworfen, über Vorgänge zu urteilen, die von der Verfassung und den Gesetzen der DDR gedeckt waren. Was in diesen von der Volkskammer beschlossenen Texten verankert sei, könne kein Unrecht gewesen sein. Das Argument war nicht neu, es wurde schon nach 1945 bei Gerichtsverfahren ins Feld geführt und hat im deutschen Westen manchem Nazi- und Kriegsverbrecher geholfen.

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