Klassenfeind hütete den „Schwarzen Kanal“ - Chefpropagandist Karl Eduard von Schnitzler drosch stets am Montagabend auf den westdeutschen Imperialismus ein
und musste vor 20 Jahren abdanken



Im „Schwarzen Kanal“ sonderte Karl Eduard von Schnitzler stets am Montagabend seine Sicht auf die Gebrechen des imperialistischen Systems ab. Die Sendung kann man sich im DDR-Museum Berlin-Mitte zu Gemüte führen. (Foto: Caspar)

Er gehörte zu den am meisten gesehenen und verachteten Fernsehjournalisten in der DDR, stets am Montagabend ging er nach einem uralten Schwarz-Weiß-Film manchmal noch aus Nazizeiten mit der Sendung „Der Schwarze Kanal“ seinen Zuschauern auf die Nerven - Karl Eduard von Schnitzler. Der überzeugte Kommunist und scharfzüngige Klassenkämpfer war Namensgeber der inoffiziellen Zeiteinheit „Schni“. Die brauchte man, um sich aus seinem Fernsehsessel zu erheben, um auf einen anderen Sender umzuschalten. Das konnte einige Sekunden dauern, denn Fernbedienung gab es damals noch nicht. Viele Leute blendeten „Sudel-Ede“, wie man Schnitzler hinter vorgehaltener Hand nannte, aus. Nur die Spezialbeobachter im Westen blieben bis zum Schluss dabei, und so kam es, dass man in der Bundesrepublik Schnitzers Auslassungen Woche für Woche aufzeichnete und nach der Wiedervereinigung mit weiteren Propagandasendungen der DDR, einschließlich der kompletten „Aktuellen Kamera“, dem Deutschen Rundfunkarchiv Berlin-Adlershof anvertraute. Verloren geglaubte bundesdeutsche Sendungen tauchten ebenfalls wieder auf, aufgezeichnet von geheimen DDR-Beobachtern. Diese Kopien gelangten auf umgekehrtem Weg an ihre Ursprungsorte und werden dort als aussagestarke Zeitdokumente gehütet.

Schnitzler schlachtete für den „Schwarzen Kanal“ westliche Fernsehnachrichten und Politmagazine aus, in denen von Skandalen, Mord und Gewalt, Korruption, Vetternwirtschaft, Wiederbewaffnung, Querelen in der Bundesregierung, Lohndrückerei und Aufmärschen von Neonazis die Rede war. Den Skandal- und Horrormeldungen wurden Bilder vom friedlichen Aufbau des Sozialismus in der DDR gegenüber gestellt. Es versteht sich, dass im DDR-Fernsehen und generell in den DDR-Medien alles unterdrückt wurde, was der anderen Seite eine Handhabe gegeben hätte, gegen den Arbeiter-und-Bauern-Staat zu agitieren. Da manches doch durch die Zensur schlüpfte oder die Zensoren das eine oder andere kritische Wort unabsichtlich oder aus taktischen Gründen passieren ließen, mangelte es in den westlichen Medien nicht an Stoff. Dies gilt etwa für die deutschsprachigen Sendungen der britischen BBC und für den Deutschlandfunk in Köln, deren regelmäßige Sendungen „Der verwunderte Zeitungsleser“ beziehungsweise „Aus Ostberliner Zeitungen“ in der DDR viel und gern gehört wurden, sofern man die Sender empfangen konnte.

Schnitzlers Schwarzer Kanal wurde bei den „bewaffneten Organen“ im Politunterricht und in den Schulen im Staatsbürgerkundeunterricht eingesetzt, gehörte aber auch zum Pflichtprogramm für alle diejenigen, denen das Westfernsehen verboten war. Insofern bot die Sendung diesem Personenkreis die seltene Möglichkeit, ein wenig über den Tellerrand zu schauen. Das Konzept hatte einen Haken, denn es setzte Dinge voraus, die man eigentlich nicht wissen und sehen durfte.

Da sich Schnitzler einer scharfen, unsachlichen Polemik im Stil des Kalten Kriegs bediente und vor Verdrehungen, Kürzungen und Fälschungen nicht zurück schreckte, dürfte die Wirkung seiner Attacken begrenzt gewesen sein. Auf jeden Fall half „Sudel-Ede“ nicht, den Arbeiter-und-Bauern-Staat zu schützen und zu stabilisieren. Bis zur letzten Sendung uneinsichtig und verbohrt, verabschiedete sich Schnitzler am 30. Oktober 1989 folgendermaßen von seinen belustigten oder entsetzten Zuschauern: „In diesem Sinne werde ich meine Arbeit als Kommunist und Journalist für die einzige Alternative zum unmenschlichen Kapitalismus fortsetzen, als Waffe im Klassenkampf zur Förderung und Verteidigung meines sozialistischen Vaterlandes. Und in diesem Sinne, meine lieben Zuschauerinnen und Zuschauer, liebe Genossinnen und Genossen: Auf Wiederschauen.“

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