Bloß nicht an den führenden Genossen rütteln - Wenn Kritik und Selbstkritik zu heftig ausfielen, gab es Strafen und Degradierungen



Walter Ulbricht – hier mit Nikita Chruschtschow (links) in den frühen 1960-er Jahren – war ein Mann, an dem jede Kritik abperlte. (Repro: Caspar)

Ausgehend von Praktiken in der Sowjetunion, wurden in der DDR Mitglieder der SED angehalten, sich in regelmäßigen Abständen mit ihrem politischen und persönlichen Tun auseinanderzusetzen und ihr Innerstes nach Außen zu kehren. Das Prinzip von Kritik und Selbstkritik ging allerdings nicht so weit, dass man eine generelle Fehlerdiskussion zugelassen hätte. Sie wäre möglicherweise in einer Systemkritik ausgeartet, und diese war, weil sie angeblich dem Klassenfeind in die Hände arbeitet, unerwünscht. Gerungen wurde um die, wie es immer hieß, Einheit und Reinheit der Partei und die Ausschaltung von Abweichlern. Dass das nicht ganz ungefährlich war, unterstreicht eine Frage an den imaginären Sender Jerewan und dessen Antwort: „Kann ein junger Genosse einen älteren kritisieren? – Im Prinzip ja, aber es wäre schade um den jungen Genossen“.

Die öffentliche Beichte von Parteimitgliedern konnte, wenn sie allzu negativ ausfiel, zu Sanktionen wie Parteistrafen, Degradierung, Entlassung oder zu Schlimmerem führen, weshalb man sich schon aus eigenem Interesse bei der Wahrheitsfindung und eigenen Bloßstellung zurückhielt. Intern nahmen die Parteiinstanzen von der Linie abweichende Eingaben und Vorschläge zwar zur Kenntnis, legten sie aber zu den Akten oder reagierten ausweichend und verklausuliert. Überhaupt wurde Kritik an den Plänen und Maßnahmen der Partei- und Staatsführung nur hinter verschlossenen Türen geübt, wenn überhaupt. An die Öffentlichkeit gelangte sie nur in geglätteter und abgeschwächter Form. Die Reden, die auf ZK-Tagungen oder Parteitagen gehalten wurden, sind voll von solchen im schönsten „Parteichinesisch“ abgefassten Formulierungen.

Sowohl SED- und Staatschef Ulbricht als auch sein Nachfolger Honecker waren zur Kritik und Selbstkritik nicht fähig, doch mussten sie sich bisweilen harte Worte von ihren „Vorgesetzten“ in Moskau, also den sowjetischen Partei- und Staatsführern, anhören. Selbstverständlich gelangte die Kritik aus dem Kreml nicht an die Öffentlichkeit; statt dessen wurden, wenn es auch schwer fiel, ein politisch-ideologischer Schulterschluss und unverbrüchliche deutsch-sowjetische Freundschaft zelebriert und durch Bruderküsse besiegelt.

Nach der 1956 durch Nikita Chruschtschow in der Sowjetunion initiierten Entstalinisierung war die SED-Führung zu selbstkritischer Einsicht nicht bereit. Diese hätte zu Reformen an Haupt und Gliedern, die diesen Namen wirklich verdienen, und zur Ablösung der Funktionärsspitze führen müssen. Doch es blieb nur bei der Rücknahme von Parteistrafen, wobei einige der betroffenen Funktionäre nicht mehr in ihre alten Ämter zurückkehren durften. Walter Ulbricht, Hardliner und Stalinist par excellence, blieb weiterhin der starke Mann im Land. Auch später hat Honecker an der Unterdrückung der innerparteilichen Kritik nichts geändert. Seine Abrechnung mit den Fehlern von Walter Ulbricht fiel verhalten aus, der Name des Sachsen mit der Fistelstimme wurde nur noch selten erwähnt, dafür der des neuen Mannes an der Spitze der Partei und des Staates um so häufiger.

Veröffentlichungen nach dem Ende der SED-Herrschaft zeigen, dass es im SED-Politbüro und in der DDR-Regierung durchaus Kontroversen über die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges gab. Allerdings hat Honecker alle von seinen eigenen Genossen vorgelegten wissenschaftlichen Studien vom Tisch gefegt und die Kritiker zum Verstummen gebracht. Frei nach dem britischen Premierminister Winston Churchill glaubte Honecker nur denjenigen Statistiken, die er selber fälschte oder fälschen ließ.

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