„Gequake wildgewordener Spießer“ - Erich Honecker war aus gutem Grund der SPUTNIK ein Dorn im Auge, doch unterschätzte er die Reaktion auf das von ihm angeordnete Verbot des sowjetischen Magazins



Die Enthüllungen des SPUTNIK ärgerten Honecker und seine Politbürogreise. Die Februarausgabe 1990 enthält Artikel zum Thema Streik und über Auswanderung von Sowjetbürgern. Das Foto stammt aus einer Freilichtausstellung am Berliner Alexanderplatz über die friedliche Revolution in der DDR 1989 und ihre Folgen. (Foto: Caspar)

Das Honecker-Regime war auf den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow ungeachtet anderslautender Bekundungen und falscher Bruderküsse nicht gut zu sprechen. Beim Gedanken an Glasnost und Perestroika schwoll Erich Honecker, dem bis zum 18. Oktober 1989 ersten Mann in der DDR, geradezu der Kamm. Mit aller Macht unterdrückte der SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzende brisante Nachrichten aus dem sich um Erneuerung mühenden Bruderland. Dort wehte ab Mitte der 1980-er Jahre ein frischer Wind, und es durften Wahrheiten gesagt und gedruckt werden, deretwegen man bis dahin ins Gefängnis gekommen wäre oder gar seinen Kopf verloren hätte.

Eines der Sprachrohre von Glasnost und Perestroika war das sowjetische Monatsmagazin SPUTNIK, benannt nach dem 1957 ins All beförderten sowjetischen Satelliten. Die deutsche Ausgabe wurde eifrig in der DDR gelesen. Doch als in dem bunten Digest immer mehr über Einzelheiten über Stalins Terror berichtet und sogar Vergleiche zwischen den Opfern seiner Diktatur und denen Hitlerdeutschlands angestellt wurden, war für Honecker das Maß voll. Die neue Offenheit brachte ihn so in Rage, dass er persönlich den Vertrieb der deutschsprachigen Oktoberausgabe 1988 des Monatsblattes unterband und fortan die Belieferung der Abonnenten einstellen ließ.

In jenem Heft hatte ein gewisser W. Kulisch unter der Überschrift „Stalin und der Krieg“ festgestellt, dass unter der Herrschaft des Diktators überall Landesverrat und Verschwörungen gewittert wurden. „Aufgrund von Denunziationen und Fälschungen wurden unzählige unschuldige Menschen zu ,Volksfeinden’, zu ,Agenten ausländischer Geheimdienste’ gemacht. Die Repressalien nahmen mit jedem Jahr zu, und Millionen und aber Millionen wirklicher und vermeindlicher Gegner der Alleinherrschaft Stalins fielen ihnen zum Opfer, in erster Linie die besten, bewährtesten Parteifunktionäre, grundehrliche Leiter der Wirtschaft, begabte Wissenschaftler, die sich erdreistet hatten, eine eigene Meinung zu äußern, sowie hervorragende Kommandeure und Politoffiziere der Roten Armee“.

Honecker konnte und wollte solche Bekundungen, die in der DDR natürlich keine Neuigkeiten waren, weil man bestens über die Westmedien informiert war, nicht dulden. Postminister Rudolph Schulze (CDU), der von Amtes wegen für den Zeitungs- und Zeitschriftenvertrieb zuständig war, erfuhr von Honeckers Alleingang aus den Medien. Dazu ist von einem Kenner der Szene, Günter Schabowski, seines Zeichens Politbüromitglied und 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung, zu erfahren, das Politbüro sei von Honecker nicht befragt worden. „Das war ein beispielloser Akt persönlicher Willkür, der nicht nur von den 180 000 Abonnenten als eine rabiate politische Entmündigung aufgefasst wurde, sondern auch die gesamte alte SED-Führung nachhaltig diskreditierte“, so Schabowski 1991 in seinem Erinnerungsbuch „Der Absturz“.

Die Maßnahme löste heftige Debatten in Parteikreisen aus und brachte unzählige erboste DDR-Bewohner zu der Frage, warum Honecker & Co. die Wahrheit über Stalins Mordmaschine sowie weitere in dem Magazin recht offen beschriebene Gebrechen des Sowjetsystems unterdrückt. Der Partei- und Staatschef, vom Glauben an die Sieghaftigkeit des Kommunismus und der Unfehlbarkeit seiner eigenen Person überzeugt, ließ sich nicht beirren. Er wies die Einwände auch aus dem Kreis der eigenen Genossen Anfang Dezember 1988 in einer Rede vor dem Zentralkomitee als „Gequake wildgewordener Spießer“ zurück, welche die Geschichte der KPdSU im bürgerlichen Sinne umschreiben möchten, und diffamierte das in vielen Versammlungen sowie Zuschriften bekundete Unverständnis über das SPUTNIK-Verbot als eine vom Klassenfeind gesteuerte antikommunistische Kampagne.

In seinem Rückblick „Herbst ’89“ stellte Egon Krenz, Honeckers Nachfolger als SED- und Staatschef, mit Blick auf das Stillhalten im Politbüro zum SPUTNIK-Verbot fest: „Niemand von uns ist dagegen aufgetreten, obwohl wir alle wussten, daß es falsch war. Viele Genossen wurden aus der Partei ausgeschlossen, weil sie für die Freundschaft mit der Sowjetunion unter Gorbatschow sind. Das konnte nicht gut gehen“. Kaum an der Macht, bat Krenz den Postminister, der zum Sündenbock gemacht worden war, um Entschuldigung und empfahl ihm, das Magazin sofort wieder in den Zeitungsvertrieb der DDR aufzunehmen, was dann auch bald geschah.

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