Stalins Verbrechen als Personenkult klein geredet - Das Tauwetter in der Sowjetunion und seinen Satellitenstaaten war nach 1953 nur von kurzer Dauer



Solange Stalin en vogue war, wurde er auf die gleiche Stufe wie die „Klassiker“ des Marxismus-Leninismus Marx, Engels und Lenin gestellt. – Titelvignette der "Bücherei des Marxismus-Leninismus" aus den fünfziger Jahren. (Foto: Caspar)

Nach dem Tod des Diktators Josef Stalin am 5. März 1953 begann in der Sowjetunion die Periode des Tauwetters. Mit diesem Begriff wurde der vorsichtige, von der Bevölkerung nach den langen Jahren der Unterdrückung freudig begrüßte Versuch umschrieben, die Verbrechen an Millionen Menschen zu beenden, die verkrusteten Strukturen der Stalinzeit aufzubrechen und frischen Wind in das Regime zu bringen, vergleichbar mit dem Prager Frühling von 1968, der auch nur von kurzer Dauer war.

Enge Vertraute des Diktators wie Berija, Chruschtschow, Molotow und Mikojan stritten hinter den dicken Mauern des Moskauer Kreml um die Macht. Aus den innerparteilichen Kämpfen ging Nikita Chruschtschow siegreich hervor. Er bot dem Westen Gespräche zur Entschärfung des Kalten Kriegs und des Wettrüstens an und gab den von ihnen abhängigen Ostblockstaaten als Hinweise getarnte Befehle für vorsichtige Kurskorrekturen. Für kurze Zeit blühten in der Sowjetunion Kunst und Literatur auf, sofern das unter den obwaltenden Verhältnissen möglich war. Erst 1956 fand durch den neuen Parteichef Nikita Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU eine interne Abrechnung mit Stalins Verbrechen statt, die man allerdings nicht als solche charakterisierte, sondern nur als Auswüchse des Personenkults.

Viele Menschen verbanden mit Stalin den Aufstieg der UdSSR zu einer Supermacht und die Vernichtung Hitlerdeutschlands im Großen Vaterländischen Krieg. Was zählten in dieser Sicht die vielen Toten, die seinen Weg jenes Mannes säumten, der sich als „Lenin von heute“ feiern ließ? Nach der Februarrevolution und dem Ende der Zarenherrschaft (1917) bereitete Stalin in der Hauptstadt Petrograd (Sankt Petersburg) die Machtübernahme der Bolschewiki vor und schaltete im Kaukasus deren Gegner aus. Lenins Mann fürs Grobe kletterte in der Parteihierarchie von einer Stufe zur anderen, wurde 1922 Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU und arbeitete unermüdlich an der Stärkung seiner Machtposition.

Lenin beobachtete die Entwicklung mit Besorgnis und warnte in seinem Testament ausdrücklich vor Stalin. Er sei zu schroff, und dieser Fehler sei in dem Amt des Generalsekretärs untragbar, schrieb Lenin und forderte für den Posten einen Menschen, „der geduldiger, loyaler, höflicher, aufmerksamer den Genossen gegenüber und weniger launenhaft ist“. Trotz solcher Warnungen behielt Stalin seine Ämter, und es gelang ihm nach Lenins Tod (1924), nach und nach alle seine Konkurrenten auszuschalten. Durch Intrigen und falsche Beschuldigungen wurden Rivalen wie Leo Trotzki an den Rand gedrängt und später liquidiert.

1929 setzte Stalin die Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft durch und begann die rigorose Industrialisierung der Sowjetunion. Ziel aller Mühen war die Errichtung des Sozialismus zunächst dort und dann auf dem ganzen Erdball. Viele Leute im Westen, die sich bewundernd über den Aufbruch von Stalins Herrschaftsbereich in die Moderne äußerten, übersahen, mit welchen Opfern dies erreicht wurde. Auch als Stalin ab 1934 im Rahmen so genannter Säuberungen seine wirklichen und vermeintlichen Gegner zu vernichten begann, hat man das im Ausland hingenommen. In einer Serie von Schauprozessen ließ Stalin seine alten Weggefährten wegen angeblichen Landesverrats, Parteischädigung und Spionage verurteilen und hinrichten. Zu Volksschädlingen abgestempelt, wurden unzählige Sowjetbürger, aber auch deutsche Emigranten, die vor den Nazis Zuflucht gesucht hatten, in die Zuchthäuser und das „Archipel Gulag“ geworfen, wie Alexander Solschenyzin das System von Zwangsarbeits- und Konzentrationslagern nannte, in denen Millionen Menschen umkamen. Viele unschuldig Gefangene, aber auch Millionen zwangsweise umgesiedelte Menschen und ehemalige Kriegsgefangene erlebten ihre Rehabilitierung nach Stalins Tod nicht mehr.

Der neue sowjetische Parteichef Nikita Chruschtschow begann 1956 auf dem XX. Parteitag der KPdSU unter dem Stichwort „Nieder mit dem Personenkult“ vorsichtig Stalins Demontage. Chruschtschows Vasallen in Ostberlin waren höchst verunsichert, denn wie sollte der DDR-Bevölkerung gesagt werden, dass man jahrelang einem falschen Gott gefolgt war? Einzelheiten über den Personenkult und Dogmatismus, wie man verniedlichend Stalins Verbrechen umschrieb, ließen sich auf Dauer nicht verheimlichen. Zwar räumte SED-Chef Walter Ulbricht zähneknirschend ein, dass es „Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit“ in der Sowjetunion gab; unter seiner Regie sei aber alles korrekt zugegangen.

Nach Jahren von Stagnation und kultureller Unterdrückung gab es unter Michail Gorbatschow im Zeichen von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion erneut ein Tauwetter. Jetzt ging man viel kritischer und offener mit Stalins Verbrechen ins Gericht, als es 1956 und danach möglich war. In der DDR nahm man offiziell von dieser Art der Vergangenheitsbewältigung keine Kenntnis; im Gegenteil wurden diesbezügliche Informationen unterdrückt, was Dank der Einflussnahme westlicher Medien jedoch nur zum Teil gelang.

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