Vorwärts immer, rückwärts nimmer - SED- und Staatschef Erich Honecker gab sich Illusionen hin und übersah die Zeichen der Zeit



Honecker gehört hinter Gitter – Plakat aus der Zeit nach der Entmachtung des SED-Chefs und Staatsratsvorsitzenden. (Repro: Caspar)

Der SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzende Erich Honecker war ein Mann, der sich mit Zitaten auskannte, er war auch einer, der mit solchen Sprüchen in Erinnerung bleibt. Einer davon ist „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“. Mit diesem Aufruf schloss Honecker seine Festansprache zum 40. Jahrestag der DDR ab. Vor den Gästen mit Michail Gorbatschow an der Spitze beschrieb er die DDR als „zu den zehn leistungsfähigsten Industrienationen der Welt“ gehörig, als eines von den knapp zwei Dutzend Ländern mit dem höchsten Lebensstandard. Es sollte nicht vergessen werden, so Honecker weiter, „dass der Wohlstand hierzulande weder aus der Erde sprudelt noch auf Kosten anderer erreicht wurde. Die DDR ist das Werk von Millionen, von mehreren Generationen, die in harter Arbeit ihren Arbeiter- und Bauern-Staat aufgebaut haben“, betonte Honecker. Die DDR sei ein Staat mit moderner Industrie und Landwirtschaft, mit einem sozialistischen Bildungswesen, mit aufblühender Wissenschaft und Kultur. Schließlich sei sie, rief der Partei- und Staatschef unter anhaltendem, starken Beifall, wie das Protokoll vermerkte, eine Weltnation im Sport. „Mit unseren Händen und Köpfen haben wir das zuwege gebracht, unter Führung der Partei der Arbeiterklasse. Nichts, aber auch gar nichts wurde uns geschenkt oder ist uns in den Schoß gefallen. Zudem waren hier nicht nur mehr Trümmer wegzuräumen als westlich der Elbe und Werra, sondern auch noch die Steine, die uns von dort in den Weg gelegt wurden. Heute ist die DDR ein Vorposten des Friedens und des Sozialismus in Europa. Dies zu keiner Zeit zu verkennen, bewahrt uns, sollte aber auch unsere Feinde vor Fehleinschätzungen bewahren“, so Honecker.

Vermutlich glaubte Honecker das, was er sagte. Unbelehrbar, wie er war, und in einer Traumwelt lebend, gab er sich Illusionen hin und vertraute nur den Statistiken, die ihm sein Wirtschaftschef Günter Mittag vorlegte, und die waren gefälscht, wie alsbald öffentlich wurde. Und so konnte er, vom Beifall der Festgäste beflügelt, behaupten, einflussreiche Kräfte der BRD wollten die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegsentwicklung „durch einen Coup beseitigen“. Ihnen bleibe nur erneut die Erfahrung, dass an den Realitäten nichts zu ändern ist, dass sich die DDR an der Westgrenze der sozialistischen Länder in Europa als Wellenbrecher gegen Neonazismus und Chauvinismus bewährt. An der festen Verankerung der DDR im Warschauer Pakt sei nicht zu rütteln. In 40 Jahren DDR summiere sich die vierzigjährige Niederlage des deutschen Imperialismus und Militarismus, 40 Jahre DDR seien 40 Jahre heroische Arbeit, 40 Jahre erfolgreicher Kampf für den Aufstieg unserer sozialistischen Republik, für das Wohl des Volkes gewesen. „Wir werden auch weiterhin im Sinne der Erkenntnis von Karl Marx handeln, dass es darauf ankommt, die Welt nicht nur zu interpretieren, sondern sie zu verändern. Wir werden unsere Republik in der Gemeinschaft der sozialistischen Länder, durch unsere Politik der Kontinuität und Erneuerung auch künftig in den Farben der DDR verändern. Die Ziele sind im Programm unserer Partei niedergelegt. Es geht um die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft.“ Honecker unterstrich die Abgrenzung gegenüber den Vorgängen in der Sowjetunion, die ihm ausgesprochen suspekt waren und die den Ideologie-Sekretär Kurt Hager zu seinem fatalen Tapeten-Vergleich veranlasst hatte.

Während vor dem Palast der Republik „Gorbi, Gorbi“ gerufen und Protestierer von der Stasi und Volkspolizei zusammengeprügelt wurden, zog der SED- und Staatschef diese Bilanz von 40 Jahren DDR: „Durch die Arbeit des Volkes und für das Volk wurde Großes vollbracht. Auch künftig werden nicht geringe Anstrengungen notwendig sein. Neue Anforderungen verlangen neue Lösungen, und wir werden auf jede Frage eine Antwort finden. Wir werden sie gemeinsam mit dem Volk finden für unser Voranschreiten auf dem Weg des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik.“ Fast auf den Tag einenMonat nach dieser Rede fiel die Berliner Mauer, von der Honecker zu allgemeiner Empörung behauptet hatte, sie werde noch hundert Jahre stehen.

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