Unter deutschen Dächern -
Im Berliner Ortsteil Dahlem wurden in der NS-Zeit schreckliche Versuche an Menschen geplant und verübt



Lange wurde übersehen, dass im Haus Ihnestraße 22 in Berlin-Dahlem grauenvolle Verbrechen geplant und praktiziert wurden.



Darauf, dass die Verbrechen von NS-Ärzten nach 1945 ungesühnt blieben, weist diese 1988 enthüllte Tafel hin. Sie betont, dass Wissenschaftler für den Inhalt und die Folgen ihrer Arbeit verantwortlich sind. (Fotos: Caspar)

Kaiser Wilhelm II. hatte ein großes Faible für Wissenschaft und Technik. Die Gründung und Entwicklung des Zehlendorfer Ortsteils Dahlem als Wissenschaftsstandort geht wesentlich auf seine Initiative zurück. Dass hier während der NS-Zeit schreckliche Verbrechen geplant wurden und den Tätern nach dem Ende der Hitlerdiktatur kaum etwas geschehen ist, erfährt man bei einem Gang durch das „deutsche Oxford“, wie der Museums- und Villenvorort manchmal auch genannt wird. Im Haus Ihnestraße 22 war das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik untergebracht. Deren Direktoren Eugen Fischer und Otmar von Verschuer leisteten als Ausbilder von SS-Ärzten und Erbgesundheitsrichtern, durch ihre Gutachten für Abstammungsnachweise und Zwangssterilisationen einen Beitrag zu Selektion und Mord, wie eine Tafel an dem Gebäude unter dem Kopf der antiken Göttin Minerva berichtet, das heute Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin ist. „Die vom Reichsforschungsrat und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Zwillingsforschungen des Schülers und persönlichen Mitarbeiters von Verschuer, Josef Mengele, im KZ Auschwitz wurden in diesem Gebäude geplant und durch Untersuchungen an Organen selektierter und ermordeter Häftlinge unterstützt.“ Die Tafel weist darauf hin, dass die Verbrechen ungesühnt blieben.

So war Otmar von Verschuer ungeachtet seiner Verstrickung in grauenhafte Verbrechen gegen die Menschlichkeit hochgeachtet bis 1965 an der Universität Münster als Professor für Genetik tätig. Die Biographie des führenden Rassehygienikers der NS-Zeit ist ein schlagender Beweis dafür, dies sei hinzugefügt, wie blutbesudelte Wissenschaftler nach 1945 ihre Karrieren fortsetzen konnten, als sei nichts geschehen. Der KZ-Arzt und SS-Hauptsturmführer Josef Mengele, der zeitweilig Assistent von Otmar von Verschuer war und in Auschwitz furchtbare Experimente an lebendigen und toten Häftlingen durchführte, konnte sich nach dem Ende des NS-Staates über die so genannte Rattenlinie mit einem Pass des Internationalen Roten Kreuzes nach Südamerika absetzen und lebte dort, wie andere NS-Verbrecher auch, unbehelligt unter falschem Namen.

Der auf der Gedenktafel erwähnte Rasse- und Sippenforscher sowie von 1933 bis 1935 Rektor der Berliner Universität Eugen Fischer war ein fanatischer Antisemit und wurde von Hitler mit einflussreichen Posten und Preisen ausgezeichnet. Seine in vielen Schriften vertretene Forderung, alles zu bekämpfen und auszumerzen, was „fremd“ ist, also nicht den rassistischen Vorstellungen der Nazis entsprach, waren kein Hinderungsgrund dafür, dass der ehemalige Generalarzt für rassenbiologische Fragen nach 1945 in Freiburg im Breisgau ungeschoren lebte und mit Ehrenmitgliedschaften in wissenschaftlichen Gesellschaften bedacht wurde. Fischers Schriften wurden bis in die 1960-er Jahre verlegt und an Universitäten der Bundesrepublik Deutschland als Lehrstoff verwendet. Die Gedenktafel am Haus Ihnestraße 22 wurde erst 1988 enthüllt. Eine Studentin hatte die dunkle Vergangenheit des Gebäudes und des dort untergebrachten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, Erblehre und Eugenik öffentlich gemacht, was die Leitung der Freien Universität vor 25 Jahren zum Handeln veranlasste.

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