Den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) kennen wir nur aus Schulbüchern. Vielleicht fällt uns etwas zum Prager Fenstersturz von 1618, zum Winterkönig Friedrich von der Pfalz, zu den Feldherren Tilly und Wallenstein oder zu dem 1632 in Lützen bei Leipzig tödlich getroffenen Schwedenkönig Gustav Adolf ein. Was aber auf den Schlachtfeldern und in den Feldlagern wirklich geschah, wie die Söldner aus aller Herren Länder angeworben wurden und wie sie ihren Lebensunterhalt bestritten, wer ihre Kommandeure waren und wie man mit Hieb- und Stichwaffen, mit Musketen und Kanonen aufeinander zuging, entzieht sich weitgehend unserer Kenntnis. Kaum bekannt ist, wer bei solchen Gemetzeln übrig blieb und was mit den Toten geschah und wie man die Verwundeten versorgte, wenn man sich überhaupt um sie kümmerte. Licht in dieses Dunkel bringt eine geradezu sensationell zu nennende Ausstellung des Brandenburgischen Landesmuseums am Beispiel der Schlacht von Wittstock am 4. Oktober 1636. Die bis zum 9. September 2012 im Paulikloster an der Heidestraße in Brandenburg an der Havel laufende Ausstellung „1636 - ihre letzte Schlacht“ breitet Ergebnisse umfangreicher Ausgrabungen auf dem Schlachtfeld bei Wittstock im nordwestlichen Bundesland Brandenburg aus. In jener Schlacht gingen 16 000 Schweden unter dem Befehl des Feldmarschalls Johan Banér und seinem schottischen Kollegen Alexander Leslie auf 22 000 kaiserliche und sächsische Soldaten los, die von Melchior Graf von Hatzfeld und dem sächsischen Kurfürsten Johann Georg I. geführt wurden. Bei dieser Schlacht waren die Schweden siegreich. Ihnen gelang es, den kaiserlichen und sächsischen Heer Kanonen, Waffen und eine Kriegskasse abzujagen. Auf dem Schlachtfeld blieben etwa 6000 Tote zurück.
Vor fünf Jahren stießen Bauarbeiter in einer Kiesgrube bei Wittstock auf ein Massengrab mit 125 Toten. Die Vermutung, sie könnten KZ-Häftlinge sein, die in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs bei einem Todesmarsch ums Leben gekommen waren, bestätigten sich nicht, denn die Skelette und die Fundumstände erwiesen als weitaus älter. Archäologen, Anthropologen, Historiker und andere Experten haben die in Europa einzigartige Fundstelle systematisch untersucht und festgestellt, woher die Gefallenen stammten und wie sie ums Leben kamen. Bevor man im Herbst 1636 die Leichen in die Grube warf, wurden sie nach Wertgegenständen abgesucht. Das war üblich, denn die Überlebenden waren auf solche Beute angewiesen. Ihr Sold war dürftig und wurde oft nicht ausgezahlt, sie waren auf Raub in den besetzten Ländern und Plünderung der Toten und Verwundeten auf den Schlachtfeldern angewiesen. Pietät konnte sich in diesem brutalen Überlebenskampf keiner leisten, auch wenn Bilder und Erzählungen von damals vom „edlen Kriegshandwerk“ und vom „Sterben auf dem Feld der Ehre“ fabulieren und dies bis heute tun. Wenn die Überlebenden die Kleider ihrer Kameraden und der Gegner aufrissen, flogen Knöpfe und Schnallen beiseite, und viele Gegenstände wurden übersehen. Ein christliches Begräbnis wurde den Gefallenen des „Treffens von Wittstock“ nicht zuteil, wie das Gemetzel in zeitgenössischen Berichten beschrieben wurde. Wie man sie übereinander schichtete und mit Erde bedeckte, zeigt eine im Keller des Museums ausgestellte Installation, die sich nur nervenstarke Besucher ansehen sollten.
Die Schädel und Skelette mit Spuren furchtbarer Verletzungen und von schmerzhaften, durch Hunger und Infektionen verursachten Krankheiten, aber auch persönliche Habseligkeiten sowie Stiche, Gemälde, Aufzeichnungen, Waffen, Munition und selbst das bescheidene Handwerkszeug von Feldärzten vermitteln ein detailliertes Bild vom Soldatenalltag, dem Kampfgeschehen und den Gräueln auf dem Land und unter den Stadtbewohnern in jenem bis dahin schrecklichsten aller Kriege. Deutlich wird, dass es in ihm vor allem um Länder, Kronen und Einflusszonen und erst dann um Glaubensfragen ging. Man erfährt, mit welchen Mitteln des Zwangs und der Verlockung Männer von weither, aber auch Frauen und Kinder dazu gebracht wurden, in den Krieg zu ziehen und ihre Haut für fremde Interessen zum Markt zu tragen. Berichte an die jeweiligen Regierungen zeigen, wie sich Befehlshaber in ein gutes Licht zu setzen versuchten, auch dann, wenn sie durch Selbstüberschätzung und persönliches Versagen Schuld an Niederlagen und unnötig vielen Opfern trugen. Die Ausstellung zeigt überdies, dass die Lebenserwartung einfacher Soldaten wegen schlechter Versorgung und ärztlicher Betreuung entschieden geringer war als die der Offiziere und Generale, die es sich selbst in schwierigster Lage noch gut gehen ließen.
Geprägtes Geld zur Bezahlung der Offiziere und Soldaten, aber auch für ihre Versorgung, Kleidung und Bewaffnung spielte eine große Rolle. Die Plünderung der Toten war so gründlich, dass nur wenige Münzen bei ihnen gefunden wurden. Dennoch zeigt die Ausstellung am Beispiel mehrerer bedeutender Münzeschätze, was man im Brandenburgischen während des Dreißigjährigen Kriegs, aber auch davor und danach dem Boden anvertraut oder in Häusern eingemauert hat, um es vor marodierenden Soldaten zu bewahren und sich Kontributionsforderungen zu entziehen. Das Paulikloster bietet in der Sonderausstellung „1636 - ihre letzte Schlacht“ sowie in weiteren Räumen eine Fülle von solchen Hinterlassenschaften. Ausgestellt ist das bei Bau- und Feldarbeiten entdeckte Vermögen von Städtern und Bauern. In Töpfen und Kriegen hat man guthaltige Prager und andere Groschen, aber auch Kippergeld aus den Anfangsjahren des Dreißigjährigen Kriegs sowie sorgsam über Generationen zusammengesparte Taler und in Einzelfällen auch Goldmünzen aufbewahrt. Doch wenn die Besatzer abgezogen waren, wurden diese Schätze nicht mehr gehoben, weil ihre Besitzer nicht mehr lebten und die Familien ausgerottet waren. So hängen an jeder Münze, an jedem ebenfalls beiseite gelegten Silberlöffel oder Schmuckstück menschliche Schicksale.
Einen besonderen Service vor allem für junge Besucher bietet die Ausstellung über die Schlacht von Wittstock in Form eines auf sie zugeschnittenen Erzählstrangs. Fragen zu den Ausgrabungen und dem Geschehen im Dreißigjährigen Kriegs werden in Filmen und Medienstationen beantwortet. Obwohl es um die Toten einer durch die Ausgrabungen und intensive Recherche in Archiven der damals beteiligte Kriegsparteien erst jetzt in ihrer ganzen Tragik und Tragweite gewürdigten Schlacht geht, ist das Museum ein lebendiger Ort, und es ist ihm und der Ausstellung eine große Resonanz zu wünschen. Das Brandenburger Paulikloster ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet, der Eintrittspreis kostet 8 und ermäßigt 6 Euro. Das vom Archäologischen Landesmuseum Brandenburg herausgegebene Buch „1636 - ihre letzte Schlacht“ erschien im Konrad Theiss Verlag Stuttgart, hat 205 Seiten, ist reich illustriert und kostet 18 Euro.
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