Eine Stadt erinnert sich - Reich illustriertes Buch dokumentiert die „Zerstörte Vielfalt“ nach Errichtung der NS-Herrschaft



Gedenksäulen am Brandenburger Tor und an weiteren Stellen schildern in Bild und Schrift, wie es die Nationalsozialisten verstanden, die kulturelle Vielfalt in Berlin systematisch zu zerstören.



Kürzlich wurden im Bereich der Charité Säulen zur Erinnerung an die von den Nazis entlassenen und vertriebenen Mediziner errichtet. (Fotos: Caspar)

An elf Orten erinnern in Berlin Litfaßsäulen daran, dass zahlreiche Künstler, Wissenschaftler, Unternehmer, Erfinder und andere Personen nach der Errichtung der NS-Herrschaft vor 80 Jahren aus politischen und rassistischen Gründen ihre Arbeit, Freiheit und vielfach auch ihr Leben verloren haben. Ein neues Buch mit dem Untertitel „Eine Stadt erinnert sich“ dokumentiert in deutscher und englischer Sprache die Texte und Bilder der Open-Air-Ausstellung und macht mit zahlreichen Biographien bekannt.

Die Säulen am Platz der Republik auf der westlichen Seite des Brandenburger Tors, am Potsdamer Platz, am Lustgarten, im Bereich der Charité, am Wittenbergplatz, auf dem Kurfürstendamm, am Hackeschen Markt, am Tempelhofer Feld, am Olympiastadion, im Kreuzberger Zeitungsviertel und an weiteren Stellen sind den Opfern des brutalen Kahlschlags gewidmet, durch den dem gesamten gesellschaftlichen Leben im damaligen Deutschen Reich ein riesiger Schaden zugefügt wurde. Wer nicht wie Albert Einstein und Magnus Hirschfeld gerade im Ausland weilte und dort blieb, und wer sich, kommende Katastrophen voraussehend, schnell zur Emigration entschloss wie Bertolt Brecht und Kurt Gerron, war schutzlos dem massiven Terror der SA-Schläger und Gestapo ausgesetzt, verlor durch die eilig beschlossenen Ausgrenzungsgesetze seine Existenz, wurde enteignet, kam vor Gericht und in die überall entstehenden Konzentrationslager und Folterhöllen. Wen das Regime als undeutsch, volksfremd und entartet betrachtete, hatte im Hitlerstaat keine Chance. Manche „missliebigen“ Schauspieler, Dichter, Kabarettisten, Musiker, Grafiker und Sportler durften mit besonderer Genehmigung noch ein wenig weiter arbeiten, weil der Staat mit ihrer Prominenz gegenüber dem Ausland prunken und sich als weltoffen präsentieren wollte. Doch machten auch ihnen die Rassengesetze, Entrechtung und tägliche Überwachung durch die Gestapo das Leben zunehmend schwer und am Ende ganz unmöglich.

Die mit einem großen schwarzen Kreuz sowie Fotos auf rotem oder weißem Grund sofort als Beitrag zum Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ erkennbaren Gedenksäulen laden ein, sich mit den Lebensläufen der Verfolgten und Verfemten zu befassen und so auch den eigenen Kiez besser kennenzulernen. Das gleiche tut das von Moritz von Dülmen, Wolf Kühnelt und Bjoern Weigel herausgegebne Buch. Es ruft nicht nur von den Nazis verfolgte und vielfach auch ermordete oder zum Selbstmord getriebene Männer und Frauen ins Gedächtnis, sondern macht auch mit Orten bekannt, an denen bis zur Errichtung der NS-Diktatur am 30. Januar 1933 das kulturelle und gesellige Leben in der Stadt pulsierte. Außerdem dokumentieren die Säulen und das Buch, wie es die Nationalsozialisten verstanden, mit demagogischen Parolen und Heilsversprechungen den Großteil der Deutschen hinter sich zu bringen und für ihre Ziele zu begeistern. Kulturstaatssekretär André Schmitz betont im Vorwort zum Buch, dass das damals verloren gegangene und nach dem Ende der NS-Zeit wieder gewonnene Erbe ein Schatz ist, „für dessen Bewahrung sich jede Generation - wie die Geschichte zeigt - neu einsetzen muss“. Die Dokumentation „Zerstörte Vielfalt“ hat 272 Seiten und ist im Buchhandel beziehungsweise bei Kulturprojekte Berlin, Klosterstraße 68, 10179 Berlin für 14,80 Euro erhältlich.

Weitere Informationen im Internet unter www.Berlin.de/2013/themenjahr/.

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