„Freisler wird es schon machen. Das ist unser Wyschinski“ - Im Kammergerichtsgebäude am Berliner Kleistpark wird an die nationalsozialistischen Schauprozesse erinnert



Das monumentale Kammergerichtsgebäude am Kleistpark wurde vor genau einhundert Jahren eröffnet. Es ist der letzte große Justizpalast der deutschen Kaiserzeit.



Das aufwändig gestaltete Treppenhaus beeindruckt auch heute Mitarbeiter und Besucher des Kammergerichts und weiterer Einrichtungen der Berliner Justiz.



Im Plenarsitzungssaal des Berliner Kammergerichts fanden nach dem 20. Juli 1944 die Schauprozesse gegen die Verschwörer gegen Hitler statt. Unter dem Balkon war dabei zwischen Hakenkreuzfahnen eine Hitler-Büste aufgestellt.



Eine in den Boden eingelassene Schrifttafel in der Bellevuestraße 15 unweit des Sony-Centers erinnert daran, dass hier das oberste politische Gericht des NS-Staates tagte und mehr als 5000 Todesurteile sowie zahlreiche weitere Unrechtsurteile fällte. (Fotos: Caspar)

Nach dem erfolglosen Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler inszenierte das NS-Regime unter Leitung des berüchtigten Präsidenten des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, im Kammergerichtsgebäude am Kleistpark zwischen Potsdamer Straße und Elßholzstraße eine Serie von Schauprozessen, bei denen die Angeklagten mit lautem Brüllen beschimpft und erniedrigt wurden. Hitler befahl, „die sollen nicht die ehrliche Kugel bekommen, die sollen hängen wie gemeine Verräter! [...] Blitzschnell muss ihnen der Prozess gemacht werden. Und innerhalb von zwei Stunden nach der Verkündung des Urteils muss es vollstreckt werden! Die müssen sofort hängen ohne jedes Erbarmen. Und das wichtigste ist, dass sie keine Zeit zu langen Reden erhalten dürfen. Aber der Freisler wird das schon machen. Das ist unser Wyschinski“, womit Stalins oberster Ankläger und Großinquisitor Andrej Wyschinski gemeint war. Bei anderer Gelegenheit stellte Hitler fest, er habe schon oft bitter bereut, sein Offizierskorps nicht so gesäubert zu haben, wie Stalin es getan hat.

In seiner unersättlichen Rachsucht ließ Hitler die Gerichtsverfahren und die Exekutionen filmen und weidete sich an den Demütigungen, die die zuvor gefolterten und in schäbiger Kleidung vorgeführten Angeklagten erleiden mussten. Aus Angst vor der eigenen Bevölkerung wurden die Aufnahmen, ein Extrakt von 50 Kilometern Filmmaterial, unter Verschluss gehalten. Es sollte nicht bekannt werden, welchen Umfang die Widerstandsbewegung selbst in hohen und höchsten Kreisen angenommen hatte und unter welchen jeder Rechtsstaatlichkeit Hohn sprechenden Bedingungen die Schauprozesse abliefen. Als „Geheime Reichssache“ deklariert, wurden die heimlich gedrehten, wegen der Schreie des Gerichtspräsidenten vielfach kaum verständlichen Aufnahmen nur einem ausgewählten Kreis von NS-Funktionären vorgeführt und zeigten eine verheerende Wirkung. Der aus der Wehrmacht ausgestoßene Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben, der nach erfolgreichem Attentat auf Hitler das Oberkommando der Wehrmacht übernehmen sollte, sagte dem brüllenden Blutrichter Freisler mutig ins Gesicht: „Sie können uns dem Henker überantworten. In drei Monaten zieht das empörte und gequälte Volk Sie zur Rechenschaft und schleift Sie bei lebendigem Leib durch den Kot der Straßen.“ Sein Mitangeklagter Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld nannte als Motiv für seinen Widerstand „die vielen Morde, die im In- wie Ausland passiert sind“, worauf er von Freisler niedergeschrien und als „schäbiger Lump“ bezeichnet wurde. Einer der Zuhörer war der spätere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt. Entsetzt von dem widerlichen Verfahren, ließ sich der junge Oberleutnant von seinem Vorgesetzten aus dem Plenarsaal des Kammergerichts wieder abrufen.

Witzleben, Schwerin und weitere Hitlergegner wurden in der Hinrichtungsstätte Plötzensee nicht geköpft, sondern auf Hitlers Befehl an dünnen Seilen erhängt. Eine Gedenktafel im Plenarsaal des aus der Kaiserzeit stammenden Kammergerichtsgebäudes nennt ihre Namen. Besucher können am authentischen Ort ein Video einen Ausschnitt aus dem Film „Verräter vor dem Volksgericht“ anschauen und hören, wie Freisler die Angeklagten mit Worten wie „Werden Sie hier nicht unverschämt“, „Feine Früchtchen“, „Sie sind die Lüge selbst“ niedermachte und behauptete „Unser Führer ist Deutschland“. Dem gnadenlosen Gerichtspräsidenten blieb das von Witzleben vorausgesagte Ende erspart. Bei einem Bombenangriff auf Berlin und das zum Volksgerichtshof umgewandelte frühere Königliche Wilhelms-Gymnasium am Rand des Tiergartens kam er am 3. Februar 1945 ums Leben. Eine in den Boden eingelassene Schrifttafel in der Bellevuestraße 15 unweit des Sony-Centers erinnert daran, dass hier von 1934 bis 1945 das oberste politische Tribunal des NS-Staates tagte. Da die Räume in der früheren Schule für die Schauprozesse zu klein waren, kam der Volksgerichtshof ab August 1944 im Kammergerichtgebäude am Kleistpark zusammen.

Seit seiner Gründung 1934 führte der Volksgerichtshof mehr als 16 000 Prozesse durch. Hitlers politisches Tribunal verhängte in über 5600 Fällen die Todesstrafe, die in der Regel vollstreckt wurde. Mit den Jahren entwickelte sich das Gericht zum Rache- und Abschreckungsinstrument des NS-Regimes. Wie bei den vor den Volksgerichtshof gezerrten Verschwörern des 20. Juli 1944 standen auch bei anderen Verfahren die Ergebnisse bereits vor Verhandlungsbeginn fest. Überwiegend handelte es sich bei den Angeklagten um Kommunisten und Sozialdemokraten sowie um Angehörige von Widerstandsgruppen, aber auch um einfache Leute, die wegen unbedachter Äußerungen oder Hitler-Witze denunziert worden waren.

Nach dem Ende des NS-Regimes konnten in der Bundesrepublik die meisten ehemaligen Richter und Staatsanwälte des Volksgerichtshofes ihre Karrieren nahezu nahtlos fortsetzen; eine rechtskräftige Verurteilung kam nicht zustande. Der 1967 wegen seiner Mitwirkung an 237 Todesurteilen zunächst zu lächerlichen fünf Jahren Haft verurteilte Beisitzer am Volksgerichtshof Hans-Joachim Rehse wurde 1968 in einem Revisionsverfahren mit der Begründung frei gesprochen, NS-Recht sei zwischen 1933 und 1945 geltendes Recht gewesen. Erst 1984 stufte der Deutsche Bundestag den Volksgerichtshof als Terrorgericht ein und stellte fest, dass seinen Urteilen keine Rechtswirkung haben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Berliner Kammergerichtsgebäude Sitz des Alliierten Kontrollrats und der Alliierten Luftsicherheitszentrale, seit 1991 beherbergt es wieder das Kammergericht, den Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin und die Generalstaatsanwaltschaft sowie weitere Einrichtungen der Berliner Justiz. Bei Führungen, die immer am ersten Mittwoch im Januar, April, Juli und Oktober ab 15 Uhr stattfinden, wird darauf hingewiesen, dass der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher am 18. Oktober 1945 im Plenarsaal des Kammergerichts mit der Vorlage der Anklageschrift eröffnet, dann aber in Nürnberg fortgesetzt wurde. Außerdem wurde hier am 3. September 1971 das Viermächte-Abkommen unterzeichnet, das das Verhältnis von West-Berlin zur Bundesrepublik und den Transitverkehr regelte. Stolpersteine an der Elßholzstraße auf der Rückseite des Kammergerichtsgebäudes erinnern an Berliner Juristen, die in der NS-Zeit ihre Arbeit und ihr Leben verloren, weil sie Juden waren. Mitarbeiter des Kammergerichts haben Geld gesammelt, um die kleinen Messingtafeln verlegen zu können und wollen ihnen weitere Stolpersteine hinzufügen.

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