Wiedererwachtes Zentrum der Welt - Islamisches Museum zeigt auf der Museumsinsel Kostbarkeiten aus Samarra



Stefan Weber freut sich, im Islamischen Museum viele bisher unbekannte Fundstücke aus der alten Kalifenresidenz Samarra zeigen zu können.



Im vergangenen Jahr standen 700 000 Besucher vor der Fassade des legendären Wüstenschlosses von Mschatta, dem Prunkstück des Museums für Islamische Kunst.



Die Metallschale im Islamischen Museum erinnert daran, dass die Jagd zu den Lieblingsbeschäftigungen islamischer Herrscher gehörte.



Das aus graviertem Messing gefertigte Astrolabium zur Vermessung der Gestirne stammt aus dem 12. Jahrhundert, wird im Islamischen Museum gezeigt und ist das einzige noch erhaltene Instrument dieser Art. (Fotos: Caspar)

Vor einhundert Jahre grub der deutsche Archäologe und Altorientalist Ernst Herzfeld die legendäre Residenz Samarra aus und brachte viele Fundstücke nach Berlin. Das Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz widmet aus diesem Anlass im Pergamonmuseum auf der Museumsinsel der rund 120 Kilometer nördlich von Bagdad entfernt gelegenen Metropole eine sehenswerte Ausstellung. Der Titel „Samarra - Zentrum der Welt. 100 und 1 Jahr archäologische Forschung am Tigris“ deutet an, dass kurz vor dem Ersten Weltkrieg nicht irgendeinen Stadt aus der Versenkung geholt wurde, sondern das prächtig ausgestattete Zentrum eines Staates von gewaltiger Ausdehnung. Von 836 bis 892 als Regierungssitz abbasidischer Kalifen genutzt und reich mit Palästen, Moscheen, Wohnhäusern, Sportstätten und weiteren Bauten in einer Ausdehnung von fünfzig Kilometern versehen, habe sich Samarra mit Konstantinopel, Rom und anderen Metropolen messen können, erklärt Stefan Weber, der Direktor des Islamischen Museums. Allein die Große Moschee habe Platz für 100 000 Gläubige gehabt, und ihr spiralförmig gebautes Minarett habe in der christlichen Kunst das Vorbild für Darstellungen des biblischen Turmbaus von Babel gedient. Mit der Erschließung des historischen Samarra habe vor hundert Jahren die Geburtsstunde der islamischen Archäologie als akademisches Fach geschlagen. Stefan Weber zufolge sei in der zum Weltkulturerbe der Unesco zählenden Stadt noch längst nicht alles ausgegraben. Allerdings würden die Ruinen aktuell durch Überbauungen leiden, und die Irakkriege hätten große Schäden angerichtet.

Samarras Herrlichkeit dauerte nur wenige Jahrzehnte, denn die Kalifen wandten sich im ausgehenden neunten Jahrhundert von ihrer Hauptstadt ab und suchten sich eine andere. Bei ihrem Fortgang nahmen die Bewohner alles mit, was nicht niet- und nagelfest war. Doch blieb manches von den Bauten und ihren Ausstattungen erhalten, was ein Jahrtausend später tiefe Einblicke in die Struktur und das Leben in einer solchen Metropole gewährte. Die Wiederentdeckung von Samarra war eine archäologische Sensation. Bei den Ausgrabungen fanden Herzfeld und seine Kollegen Gegenstände aus Glas und Keramik, von denen jetzt eine Auswahl gezeigt wird. Aus China importiertes Porzellan deutet auf weitreichende Handelsbeziehungen des von Samarra aus regierten Kalifats, das sich in der Zeit seiner größten Ausdehnung von Spanien bis zum Indus und an die Grenzen von China erstreckte. Aus dieser Zeit stammt die Blau-Weiß-Mode, die beim Porzellan bis heute an Beliebtheit nichts eingebüßt hat.

Die bis 26. Mai 2013 laufende Samarra-Ausstellung ist eine Antwort des Islamischen Museums auf immer wiederkehrende Fragen von Besuchern nach der Kultur, Religion, Kunst und Wissenschaft islamischer Völker, nach ihren materiellen und geistigen Hinterlassenschaften und ihren Einflüssen auf das christliche Europa. „Unsere Ausstellung ist ein Schritt auf unser Ziel, die Schätze des Islamischen Museums 2019 im Nordflügel des Pergamonmuseums in weitaus größerem Rahmen zu präsentieren“, fasst Weber das Anliegen der neuen Dokumentation am Ende einer mit kostbaren Teppichen, Keramiken, Metallgegenständen, wissenschaftlichen Apparaturen und anderen Museumsstücken ausgestatteten Raumfolge zusammen. Die Hinterlassenschaften aus Samarra und anderen islamischen Fundstätten einschließlich der weltberühmten Fassade des Wüstenschlosses Mschatta verlassen in den kommenden Jahren ihren Platz im Hauptbau des Pergamonmuseums und bekommen in dessen Nordflügel eine neue, wesentlich erweiterte Ausstellung. „Samarra - Zentrum der Welt“ ist täglich von 10 bis 18 Uhr, am Donnerstag bis 20 Uhr geöffnet. Der Zugang erfolgt wegen aktueller Bauarbeiten vor dem Pergamonmuseum durch einen neuen Eingang neben der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel.

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