„Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ - Neue Ausstellung in der Berliner Kulturbrauerei erzählt Geschichten aus dem Alltag in der DDR



Annika Michalski hofft, dass viele Besucher, vor allem auch junge Leute, die Ausstellung über den DDR-Alltag besuchen.



Nach außen gab sich die DDR als großartige Handels- und Wirtschaftsmacht aus, im Inneren fehlte es vorn und hinten.



Wenn sonst nichts klappte, an Politlosungen gab es im Arbeiter-und-Bauern-Staat keinen Mangel. (Fotos: Caspar)

Berlin hat einen neuen Stern am Ausstellungshimmel – das Museum der DDR-Alltagskultur in der Kulturbrauerei im Bezirk Prenzlauer Berg. Vom Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als Dauerausstellung eingerichtet, schildert die Dokumentation auf zwei Etagen, wie das Leben im zweiten deutschen Staat vor und hinter den Kulissen beschaffen war und warum dieser 1989/90 an seinen Gebrechen zugrunde ging. Aus eigenen Beständen sowie zahlreichen Spenden und Leihgaben bestehend, lässt die Ausstellung noch einmal klamme Gefühle aufkommen. Mit 800 Objekten aus Betrieben, Schulen, Instituten, Polizeiwachen, Privatwohnungen und anderen Orten, ferner mit 200 Dokumenten sowie Film- und Tonaufnahmen und anderen Exponaten zeigt sie die Spannungen zwischen dem von der Partei und Regierung propagierten Ansprüchen und der rauen Wirklichkeit. Sie schildert an vielen Einzelschicksalen, wie eng die Grenzen für eine individuelle Entfaltung waren und welche Kraft man brauchte, sich den ideologischen Vorgaben der SED und den von ihr kreierten „Geboten der sozialistischen Moral“ zu entziehen. Die Schau in der früheren Brauerei vermittelt tiefe Einsichten in die Arbeitswelt zwischen Planvorgaben und Improvisation, aber auch in das Kultur- und Bildungssystem sowie die Freizeitgestaltung, und sie zeigt, in welch miserablem Zustand sich die Städte und Dörfer, ja die ganze Infrastruktur des Arbeiter-und-Bauern-Staates befand. Deutlich wird zugleich, warum sich die DDR, die sich nach außen als eine der weltweit führenden Wirtschaftskräfte zu präsentieren verstand, in den 1980-er Jahren unausweichlich auf den Kollaps zubewegte und was den Bewohnern geblüht hätte, hätte sie noch länger existiert.

Wer das alles miterlebt hat, dem ruft die Ausstellung noch einmal ins Gedächtnis, wie DDR-Bewohner mit kreativen Ideen versuchten, die Hürden der sozialistischen Mangelwirtschaft zu überwinden und im Kampf um ordentlichen Wohnraum kleine Siege zu erzielen. Doch mit solchen Banalitäten gaben sich die so genannten führenden Persönlichkeiten in Staat und Partei nicht ab. Wo immer sie Parteitagsreden schwangen und sich medienwirksam unters Volk begaben, setzte es nur schöne Verheißungen für ein glückliches Leben nach dem von Honecker ausgegebenen Motto „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“.

„Viele Leute ließen sich mit solchen Sprüchen nicht abspeisen. Doch wer aufbegehrte, bekam es mit der Justiz und dem Spitzelapparat zu tun“, sagt beim Rundgang die Historikerin Annika Michalski, die mit ihren Kolleginnen und Kollegen die Exponate ausgesucht und die Ausstellung gestaltet hat. „Wir zeigen an erschreckenden Beispielen, dass die Staatsmacht unbarmherzig zuschlagen konnte, wo immer sie Opposition und anderes Denken vermutete. Zugleich wird auch gezeigt, dass sich im Untergrund mutige Leute zusammen taten, um der elenden Bevormundung und Kontrolle eine Alternative entgegenzusetzen und Menschenrechte einzufordern“. Wie gefährlich es sein konnte, wenn man so genannte Westliteratur besaß, zeigt in der Dokumentation das Beispiel eines jungen Druckers, der den berühmt-berüchtigten Roman von George Orwell „1984“ über den totalen Überwachungsstaat geschenkt bekam und dafür wegen angeblicher Nachrichtenübermittlung und staatsfeindlicher Hetze zu drei Jahren und drei Monaten Zuchthaus verurteilt wurde.

Nach dem Bau der Mauer am 13. August 1961 war die Falle dicht, und wer auszubrechen versuchte, riskierte und verlor oft genug sein Leben und seine Freiheit. Wenn man eine Reiseerlaubnis erhielt, ohne Rentner zu sein, war das ein bewegendes Ereignis. Und so liest man in einer Vitrine diese Worte eines Westreisenden: „Viel bunter als Ansichtskarten – das war mein erster Eindruck, als ich nachts aus dem Zug stieg. Es riecht anders, vielleicht riecht es nur einfach nicht...“. Und ein anderer notierte: „Ich habe von dieser Westreise die Erfahrung mitgenommen, dass es wahrscheinlich nicht geht, den Leuten mal eine Woche Freiheit zu geben. Denn wenn sie davon gekostet haben, wollen sie das Ganze“. Das Museum in der Kulturbrauerei Knaackstraße 97, 10435 Berlin-Prenzlauer Berg ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr und am Donnerstag bis 20 Uhr geöffnet. Weitere Informationen im Internet unter www.hdg.de/berlin/museum-in-der-kulturbrauerei/.

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