Einzug in Berlin 1914 - Was hinter Medaillen mit dem Kopf von Nikolaus II. und Napoleon III. steckt



Der Hersteller dieser Medaille hätte es gern gesehen, dass Zar Nikolaus 1914 mit klingendem Spiel in Berlin einzieht.



Mit der einem Doppeltaler nachgebildeten Napoleon-Medaille diente sich der Mainzer Produzent den Franzosen an. (Fotos: Caspar)

Kriege wurden schon immer durch Propaganda und Gegenpropaganda begleitet. Kaum ein Waffengang der neueren Geschichte, der nicht auch auf geprägtem Metall dokumentiert wurde. Schaut man sich die Münzen und Medaillen genauer an, dann lernt man manche Stücke kennen, deren Urheber sich im Hintergrund hielten. Da gibt es eine Medaille von 1914 mit dem Kopf von Zar Nikolaus II. und der Aufschrift „Zum Einzug in Berlin“. Bei ihr ist nicht zu erkennen, wer der Auftraggeber und/oder Hersteller war. Ich vermute, sie ist in vorauseilendem Gehorsam und in Erwartung des russischen Einmarschs in Berlin gleich nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren geprägt wurde. Der Zarenkopf ähnelt dem Kopf auf den russischen Rubelstücken, die Inschrift auf der Rückseite drückt die Erwahrung der politischen und militärischen Führung in Sankt Petersburg aus, mit den anderen Staaten der Entente binnen kurzer Zeit das Deutsche Reich und seine Verbündeten niederwerfen zu können.

Die Pläne der Mittelmächte Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Türkei und Bulgarien gingen bei Kriegsbeginn nicht auf, nicht in einen Mehrfrontenkrieg verwickelt zu werden. Alle Pläne für einen Blitzkrieg, wie man später sagte, waren Makulatur, die Soldaten waren nicht schon zu Weihnachten 1914 wieder zuhause, sondern verbluteten auf den Schlachtfeldern, und ihre militärischen Führer waren nicht imstande, das Ruder herumzureißen und die militärische Wende herbeizuführen. Nachdem deutsche Truppen völkerrechtswidrig das neutrale Belgien überfallen hatten, blieben sie im Kampf gegen den starken französischen Gegner auf dem Weg nach Paris stecken. Es begann ein mörderischer Stellungskrieg, bei dem auf beiden Seiten unzählige Soldaten durch Beschuss und Einsatz von Giftgas ihr Leben lassen mussten.

Nach russischen Planungen sollte die Armee des Zaren über Ostpreußen in Deutschland einfallen und „mit klingendem Spiel“ weiter nach Westen vorrücken und alles niedermachen, was sich ihnen in den Weg stellte. Die Träume von Nikolaus II. und seiner Generale zerplatzten wie Seifenblasen. Sich mehrende Katastrophenmeldungen von den russischen Fronten, die ungeklärte Frage einer Verfassung, die die Macht des Zaren und seiner Kamarilla eingeschränkt hätte, ferner die volksfeindlichen Umtriebe der dekadenten Elite in Sankt Petersburg, der um sich greifende Hunger in weiten Teilen der Bevölkerung und nicht zuletzt das verhängnisvolle Wirken des berüchtigten Wundermönchs Rasputin, kurzum die Unfähigkeit des Zarenregimes, auf die Zeichen der Zeit zu hören, waren Nägel am Sarg der Monarchie.

Unruhen in Sankt Petersburg im März 1917 führten zur Bildung einer bürgerlichen Regierung sowie zur Abdankung des Zaren, der mit seiner Familie im Juli 1918 auf Weisung der Bolschewiki erschossen wurde. Ungeachtet mancher Versuche der Regierung, den Kampfgeist der russischen Truppen und die Moral in der Heimat anzustacheln, griff überall Kriegsmüdigkeit um sich. Begeistert wurde der Aufruf der Lenin-Partei aufgegriffen, so schnell wie möglich Frieden zu schließen, den Völkern des russischen Reichs das Selbstbestimmungsrecht zu gewähren und den Grund und Boden unter den landlosen Bauern zu verteilen.

Im Osten schied das militärisch wenig erfolgreiche und 1917 von zwei Revolutionen erschütterte Russische Reich als Kriegsgegner aus. Nach der Entmachtung von Zar Nikolaus II. schloss die in der Oktoberrevolution an die Macht gelangte bolschewistische Regierung Ende 1917 den Frieden von Brest-Litowsk mit dem deutschen Kaiserreich. Sowjetrussland verzichtete auf Polen, Litauen, Kurland und andere Territorien und entlastete die Deutschen an der Ostfront. Das allerdings reichte nicht aus, um im Westen eine militärische Wende herbeizuführen. Nach Meutereien in der kaiserlichen Marine und Massendemonstrationen in der Heimat gab das deutsche Oberkommando auf, und die deutschen Fürsten sowie der österreichische Kaiser verloren ihre Kronen. Sofort wurde die so genannte Dolchstoßlegende in Umlauf gebracht, wonach das „im Felde“ angeblich unbesiegte deutsche Heer von Verrätern in der Heimat verraten und von hinten erdolcht wurde.

Die Medaille eines anonymen Herstellers von 1914 erinnert an eine undatierte Medaille mit dem Kopf des französischen Kaisers Napoleon III. mit der Aufschrift „Gott schütze Kaiser und Reich“. Sie ist in dem Katalog von Paul Joseph und Eduard Fellner über die Münzen von Frankfurt am Main unter der Nummer 1844 a vermerkt. Im Kommentar schreiben die Autoren, die Medaille aus Silber und Bronze sei Anfang der 1860-er Jahre auf Veranlassung des in Mainz wohnenden Stempelschneiders F. Korn in der Frankfurter Münze in wenigen Exemplaren geprägt worden, jedoch habe der Senat die Prägung sofort einstellen lassen. „Korn wollte, nach einer uns [bekannt] gewordenen Mitteilung, das Stück benutzen, um sich bei Napoleon III. zu empfehlen. Gewicht und Grösse stimmen genau mit den damaligen Doppelthalern; auch der Eichkranz ist diesen nachgebildet“. Das Beispiel zeigt, dass Münzen und Medaillen da und dort in den Dienst fremder Herrschaftsinteressen gestellt wurden, und wenn man weiter sucht, wird man bestimmt weitere Beispiele finden.

Zurück zur Themenübersicht "Münzen und Medaillen"