Preußen spielte die erste Geige - Warum bei den nach 1871 geprägten Reichsmünzen unterschiedlich große Auflagen vorkommen



Mit nur 2000 Exemplaren fiel das Waldecker Fünf-Mark-Stück von 1903 nicht gerade üppig aus. Die goldene Zwanzig-Mark-Münze aus Schaumburg-Lippe von 1874 erreichte eine Auflage von 3000 Exemplaren. 25 000 Exemplare wurden dem Lübecker Zwei-Mark-Stück von 1907 zugebilligt. (Repro: Caspar)

Die Frage wird oft gestellt, warum es bei den nach 1871 geprägten deutschen Reichsmünzen von Land zu Land bei den Auflagezahlen enorme Unterschiede gibt. Ein Blick in die damaligen Rechts- und Machtverhältnisse gibt Antwort. Die von Kaiser Wilhelm I., zugleich König von Preußen, am 16. April 1871 verkündetem Verfassung bestimmte im Artikel 1, welche Bundesstaaten zum Deutschen Reich gehören. „Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten Preußen mit Lauenburg, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Sachsen-Weimar, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, Anhalt, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck, Reuß älterer Linie, Reuß jüngerer Linie, Schaumburg-Lippe, Lippe, Lübeck, Bremen und Hamburg.“ Die Aufzählung erfolgte nach der Größe und Bedeutung der einzelnen Bundesstaaten im neuen deutschen Kaiserreich.

Da das 1701 gegründete Königreich Preußen dort die „erste Geige“ spielte, wurde es auch als erstes genannt. Ihm folgten drei weitere Königreiche, sechs Großherzogtümer, fünf Herzogtümer, sieben Fürstentümer und ganz zum Schluss die drei Freien Städte. Das im Frankfurter Frieden am Ende des deutsch-französischen Kriegs annektierte Elsass-Lothringen war kein Bundesstaat, sondern wurde von Preußen als so genanntes Reichsland verwaltet. Laut Artikel 6 der Reichsverfassung über die Sitzverteilung im Bundesrat verfügte Preußen als größter Bundesstaat mit den ehemaligen Stimmen der 1866 annektierten Staaten Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt am Main über 17 Stimmen. Ferner besaßen Bayern 6, Sachsen 4, Württemberg 4, Baden 3, Hessen 3, Mecklenburg-Schwerin 2, Sachsen-Weimar 1, Mecklenburg-Strelitz 1, Oldenburg 1, Braunschweig 2, Sachsen-Meiningen 1, Sachsen-Altenburg 1, Sachsen-Coburg-Gotha 1, Anhalt 1, Schwarzburg-Rudolstadt 1, Schwarzburg-Sondershausen 1, Waldeck 1, Reuß älterer Linie 1, Reuß jüngerer Linie, Schaumburg-Lippe 1, Lippe 1, Lübeck 1, Bremen 1 und Hamburg 1 Stimmen – „zusammen 58 Stimmen“, wie ausdrücklich festgestellt wird. Entsprechend der Größe der Bundesstaaten fielen die Auflagezahlen der von ihnen emittierten Münzen zu zwei und fünf Mark sowie ab 1908 zu drei Mark aus, ergänzt durch die mit Monarchenköpfen beziehungsweise den Wappen der Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck geprägten Goldmünzen. Während ein Berliner Zwei-Mark-Stück von 1876 mit dem Kopf von Wilhelm I. in der enormen Stückzahl von über 13 Millionen Exemplaren geprägt wurde, brachte es der zeitgleich hergestellte Wert mit dem Kopf des Bayernkönigs Ludwig II. laut Katalogangaben auf 5 379 139 Stück. Im gleichen Jahr wurde ein Zwei-Mark-Stück des Herzogs Friedrich I. von Anhalt in einer Auflage von 200 000 Exemplaren geprägt. Das Zwei-Mark-Stück mit dem Kopf des Fürsten Leopold IV. von Schaumburg-Lippe schaffte 1906 nur 20 000 Exemplare, und ein Fünf-Mark-Stück des Fürsten Friedrich von Waldeck-Pyrmont erreichte 1903 nur noch 2000 Exemplare. Ähnliche auffällige Abstufungen herrschten auch bei den bis 1915 geprägten Goldmünzen. Bei ihnen kann man das bayerische Zehn-Mark-Stück von 1873 mit einer Auflage von 1 198 125 dem Zwanzig-Mark-Stück von Sachsen-Coburg und Gotha von 1872 gegenüberstellen, von dem nur noch 1000 Exemplare geprägt wurden. Bei den ab 1901 geprägten Gedenkmünzen gab es manche Ausnahmen. Sie konnten nach Antrag und Genehmigung durch den auch für Münzangelegenheiten zuständigen Bundesrat schon mal einige hunderttausend Exemplare unabhängig davon erreichen, wie groß der jeweilige Bundesstaat war.

Während des Ersten Weltkriegs (1914-1918) wurden die Prägezahlen wegen des Silbermangels drastisch gesenkt, so dass 1917 und 1918 die Drei-Mark-Stücke „400 Jahre Reformation“ und „Goldene Bayernhochzeit“ mit 100 beziehungsweise 130 Exemplaren den Rang von ausgesprochenen Seltenheiten erlangten.

Aus alledem ergibt sich, dass die Reichsmünzen schon zur Entstehungszeit unterschiedlich selten waren und es heute, nach zwei Kriegen und weiteren Katastrophen, noch viel mehr sind. Es versteht sich, dass begehrte Stücke den Attacken von Fälschern ausgesetzt waren und sind, und auch Kopisten haben sich teure Jahrgänge ausgesucht, um mit ihnen ordentlich Kasse zu machen. Daher gilt bei ihnen, wie überhaupt in unserem Sammelgebet, der eherne Grundsatz „Augen auf beim Münzenkauf“.

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