Verdampfte Werte - Wie der Schriftsteller Stefan Zweig nach dem Ersten Weltkrieg die Inflation in Österreich und in Deutschland erlebte



Nach dem Ende der unseligen Inflation wurden in Österreich die wertlosen Geldscheine bergeweise geschreddert, eingestampft oder verbrannt.



Auf der Karikatur im „Simplicissimus“ vom 23. Juli 1923 klagen zwei Bettler „Früher, wenn d’ um a Geld ’bettelt hast, hast bloß a Brot ’kriegt; wenn d’ um a Brot bettelst, kriegst bloß a Geld“. (Repros: Caspar)

In seiner Autobiographie „Die Welt von Gestern“ schildert der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig aus eigenem Erleben die Zustände im Österreich vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg bis hin zu den ersten beiden Jahren des Zweiten Weltkriegs. Mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 im englischen Exil zum „feindlichen Ausländer“ erklärt, litt der bald darauf nach Brasilien umgesiedelte Autor unter dem Verlust seiner Heimat und seiner Leser. In besseren Tagen hatten sie ihm zugejubelt und ihm jedes seiner Bücher förmlich aus den Händen gerissen. Dann aber wurde der jüdische Schriftsteller 1933 von den Nazis auf den Index gesetzt hatten, und wer noch seine Bücher besaß, musste sie verstecken und im Geheimen lesen. Mit seiner Frau nahm sich Zweig, von seinen Freunden tief betrauert, am 23. Februar 1942 das Leben.

Stefan Zweig schildert in seinem Erinnerungsbuch, wie er die österreichische Inflation erlebte. Angesichts der immer wertloser werdenden Krone ging man zum Tauschhandel über. „Ware für Ware; nachdem die Menschheit mit dem Schützengraben schon glücklich zur Höhlenzeit zurückgeschritten war, löste sie auch die tausendjährige Konvention des Geldes und kehrte zum primitiven Tauschwesen zurück. [...] Von Woche zu Woche wurde das Chaos größer, die Bevölkerung aufgeregter. Denn von Tag zu Tag machte sich die Entwertung des Geldes fühlbarer. Die Nachbarstaaten hatten die alten österreichisch-ungarischen Noten durch eigene ersetzt und dem winzigen Österreich mehr oder minder die Hauptlast der alten ,Krone’ zur Einlösung zugeworfen. Als erstes Zeichen des Misstrauens in der Bevölkerung verschwand das Hartgeld, denn ein Stückchen Kupfer oder Nickel stellte immerhin ,Substanz’ dar gegenüber dem bloß bedruckten Papier. Der Staat trieb zwar die Notenpresse zur Höchstleistung an, um möglichst viel solchen künstlichen Geldes nach Mephistopheles' Rezept zu schaffen, kam aber der Inflation nicht mehr nach; so begann jede Stadt, jedes Städtchen und schließlich jedes Dorf sich selbst ,Notgeld’ zu drucken, das im Nachbardorf schon wieder zurückgewiesen und später in richtiger Erkenntnis seines Unwerts meist einfach weggeworfen wurde“.

Bald habe niemand mehr gewusst, berichtet Zweig weiter, was etwas kostete, die Preise seien willkürlich gesprungen, und es wurde alles gekauft, was irgendwie Geld einbrachte. „Selbst ein Goldfisch oder ein altes Teleskop war immerhin ,Substanz’, und jeder wollte Substanz statt Papier. Am groteskesten entwickelte sich das Missverhältnis bei den Mieten, wo die Regierung zum Schutz der Mieter (welche die breite Masse darstellten) und zum Schaden der Hausbesitzer jede Steigerung untersagte. Bald kostete in Österreich eine mittelgroße Wohnung für das ganze Jahr ihren Mieter weniger als ein einziges Mittagessen; ganz Österreich hat eigentlich fünf oder zehn Jahre (denn auch nachher wurde eine Kündigung untersagt) mehr oder minder umsonst gewohnt.“ Wer vierzig Jahre gespart und überdies sein Geld patriotisch in Kriegsanleihe angelegt hatte, wurde zum Bettler, und wer Schulden besaß, war ihrer ledig. Wer sich korrekt an die Lebensmittelverteilung hielt, verhungerte, und wer sie frech überschritt, aß sich satt. „Es gab kein Maß, keinen Wert innerhalb dieses Zerfließens und Verdampfens des Geldes; es gab keine Tugend als die einzige: geschickt, geschmeidig, bedenkenlos zu sein und dem jagenden Ross auf den Rücken zu springen, statt sich von ihm zertrampeln zu lassen.“

Während die Österreicher im „Wettersturz der Werte“ jedes Maß verloren, wie Zweig schreibt, fischten manche Ausländer im Trüben, denn während der Inflation besaß nur ausländisches Geld Ansehen und Stabilität. „Schweizer Franken, amerikanische Dollars, und stattliche Massen von Ausländern nützten die Konjunktur aus, um sich an dem zuckenden Kadaver der österreichischen Krone anzufressen. Österreich wurde ,entdeckt’ und erlebte eine verhängnisvolle ,Fremdensaison’. Alle Hotels in Wien waren von diesen Aasgeiern überfüllt; sie kauften alles, von der Zahnbürste bis zum Landgut, sie räumten die Sammlungen von Privaten und die Antiquitätengeschäfte aus, ehe die Besitzer in ihrer Bedrängnis merkten, wie sehr sie beraubt und bestohlen wurden. Kleine Hotelportiers aus der Schweiz, Stenotypistinnen aus Holland wohnten in den Fürstenappartements der Ringstraßenhotels [in Wien, H. C.]. So unglaublich das Faktum erscheint, ich kann es als Zeuge bekräftigen, daß das berühmte Luxushotel de l’ Europe in Salzburg für längere Zeit ganz an englische Arbeitslose vermietet war, die dank der reichlichen englischen Arbeitslosenunterstützung hier billiger lebten als in ihren Slums zu Hause“. Was nicht niet- und nagelfest war, sei verschwunden. Allmählich habe sich die Nachricht verbreitet, wie billig man in Österreich leben und kaufen kann, von immer seien neue gierige Gäste gekommen, und man habe auf Wiener Straßen mehr italienisch, französisch, türkisch und rumänisch sprechen hören als deutsch. „Sogar Deutschland, wo die Inflation zuerst in viel langsamerem Tempo vor sich ging – freilich um die unsere später um das Millionenfache zu überholen –, nutzte seine Mark gegen die zerfließende Krone aus“. Als sich die Krone stabilisierte und die Mark dagegen in astronomischen Proportionen niederstürzte, fuhren die Österreicher über Salzburg, wo Zweig wohnte, nach Deutschland, um sich billig zu betrinken, und das gleiche Schauspiel begann zum zweitenmal, allerdings in der entgegengesetzten Richtung. „Dieser Bierkrieg inmitten der beiden Inflationen gehört zu meinen sonderbarsten Erinnerungen, weil er plastisch-grotesk im kleinen den ganzen Irrsinnscharakter jener Jahre vielleicht am deutlichsten aufzeigt“.

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