Nutzanwendung statt purer Gelehrsamkeit

Gottfried Wilhelm Leibniz orientierte die anno 1700 gegründete Akademie der Wissenschaften auf das Prinzip "Theoria cum Praxi"



Die schriftlichen Hinterlassenschaften des Akademiegründers Gottfried Wilhelm Leibniz
wurden unlängst in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.
Sein Denkmal steht vor der Leipziger Universität, an der er studiert hatte.




Junge Künstler malen und zeichnen in der Berliner Akademie der Künste,
dem dritten Institut dieser Art im Europa der Barockzeit.




Das Buch mit der Darstellung des Berliner Observatoriums schildert
die Geschichte der 1700 gegründeten Berliner Akademie.




Eine Gedenktafel am Eingang zur Berliner Staatsbibliothek, in der die
Preußische Akademie der Wissenschaften Diensträume hatte,
erinnert an Albert Einstein, eines ihrer wichtigsten Mitglieder.
(Fotos/Repros: Caspar)

Friedrich III., seit 18. Januar 1701 König Friedrich I. in Preußen, war ein von Verschwendungssucht, Eitelkeit und Machtstreben getriebener Herr, unter dessen Regentschaft zwischen 1688 und 1713 am Berliner Hof eine unselige und teure Günstlingswirtschaft seltsame Blüten trieb. Jedoch ging er ruhmvoll als Gründer der Universität in Halle an der Saale (1694) sowie von zwei in Berlin ansässigen Akademien in die Geschichte ein. Der 11. Juni 1696 ins Leben gerufenen Akademie der Künste folgte am 11. Juli 1700, dem 44. Geburtstag des Kurfürsten, die Stiftung der Akademie der Wissenschaften. Der mit der musisch interessierten, geistvollen Hannoveranerin Sophie Charlotte vermählte Kurfürst erhoffte sich von den Gründungen kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung seines armen und rückständigen, dabei zerklüfteten und von allen möglichen Mächten umstellten Landes. Die Akademie der Künste, eine Versammlung von Malern, Bildhauern, Literaten und anderen Künstlern, war die erste dieser Art in Deutschland und nach Rom und Paris die dritte ihrer Art in Europa. Sie sollte "allgemeine Kunstverbesserung" bewirken und den Hof in künstlerischen Fragen beraten. Ihre Mitglieder sollten künstlerisch tätig sein und hatten mit Blick auf die Aufnahme in die Akademie Proben ihrer Arbeit vorzulegen. Ausbildung von jungen Künstlern, Ausstellungen und das Sammeln von Informationen über Vorgänge auf kulturellem Gebiet in fernen Ländern waren weitere Aufgaben. Das 1699 erlassene Statut spricht von "établirung und desto nützlicher Fortpflantzung aller Kuenste und Wissenschaften / in allen Unseren Landen".

Die Gründung der Berliner Akademie der Wissenschaften war Teil der Bemühungen des Kurfürsten, der als "Streusandbüchse des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation" verlachten Kurmark zu Ansehen und kultureller Blüte zu verhelfen. Die Gelehrtensozietät hieß bis zum Sturz der Monarchie im Jahre 1918 Königlich preußische Akademie der Wissenschaften, in der Weimarer Republik und NS-Zeit Preußische Akademie der Wissenschaften und danach in der DDR Deutsche Akademie der Wissenschaften. Im Jahre 1972 wurde der Name aufgrund der vom damaligen SED- und Staatschef Erich Honecker betriebenen Abgrenzungspolitik gegenüber dem einheitlichen Nationalstaat in Akademie der Wissenschaften der DDR umgewandelt.

Kalenderreform als Auslöser

Der mit Sophie Charlotte befreundete Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz schlug dem Landesherren vor, zuzüglich zu den Landesuniversitäten und Gymnasien eine kurfürstliche Wissenschaftsakademie einzurichten. Einer der Gründe zur Schaffung der "Societas" war die Kalenderreform von 1700. Mit ihr wurde in den evangelischen Ländern des römisch-deutsche Reiches der schon seit 1582 in den katholischen Ländern geltende Gregorianische Kalender übernommen. Das machte umfangreiche astronomische Berechnungen und die Herausgabe von Kalendarien nötig. Das Monopol auf solche Druckwerke wurde zu einer der wichtigsten Einnahmequellen der Akademie.

Leibniz ging es nicht um fruchtlose Gedankenspiele und "pure" Gelehrsamkeit, sondern um die praktische Anwendung erworbenen Wissens. "Solche Churfürstliche Sozietät müste nicht auf bloße Curiosität oder Wissens-Begierde und unfruchtbare Experimenta gerichtet seyn, oder bey der bloßen Erfindung nützlicher Dinge, ohne Application oder Anbringung beruhen...; sondern man müste gleich anfangs das Werck samt der Wissenschaft auf den Nutzen richten...Wäre demnach der Zweck Theoriam cum praxi zu vereinen. Und nicht allein die Künste und die Wissenschaften, sondern auch Land und Leute, Feld-Bau, Manufacturen und Commercien, und mit einem Wort die Nahrungs-Mittel zu verbessern". Wie die Akademiegeschichte zeigt, hat man die Mahnung durchaus beherzigt. So wurden in- und auswärtigen Gelehrten und anderen Personen Preisaufgaben zur Klärung schwieriger philosophischer, historischer, aber auch naturwissenschaftlicher und ökonomischer Fragen gestellt. Manche Studie führte zu neuen Fabrikerzeugnissen und effektiven Anbaumethoden.

Während der Gelehrte seine recht modern klingenden Forderungen erhob, tat sich hinsichtlich der finanziellen Ausstattung der an der Straße Unter den Linden im Bereich der heutigen Staatsbibliothek in einem Marstallgebäude angesiedelten Sozietät herzlich wenig. Der Landesherr sicherte ihr zwar manche Zuwendungen und Privilegien, ein Laboratorium, ein Museum, eine Raritätenkammer und manch anderes zu. Die wirklichen Hilfen fielen aber recht dürftig aus, was übrigens auch für die Akademie der Künste zutraf. Demzufolge waren die Wirkungsmöglichkeiten beider Akademien begrenzt. Erst unter Friedrich II., dem Großen, erfuhren beide Akademien die ihnen zukommend Förderung. Der Satz "Theoria cum praxi" ist in der Wissenschaftsakademie bis heute oberster Grundsatz.

Mit dem Regierungsantritt des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. gingen 1713 in Preußen die Lichter aus, zumindest was Kunst und Kultur betraf. Viele Künstler und Gelehrte, die der kultur- und wissenschaftsfeindliche Herrscher als unnütz ansah, wurden in die Armee gepresst, und wer konnte, verließ den preußischen Militärstaat. Erst Friedrich II., der Sohn des Soldatenkönigs, hauchte beiden Akademien neues Leben ein. Der königliche Schöngeist und Flötenspieler verschaffte, sehr zum Verdruss deutscher Gelehrter, vor allem Franzosen Einfluss. Gelegentlich beehrte er die Akademie mit seinem Besuch. Eine Gedächtnisrede des Königs für das 1753 verstorbene Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften, den Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff, betont, dass Künste und Wissenschaften Zwillinge sind und das Genie als Mutter haben.

Einstein will nicht mehr

Nicht vergessen werden sollte, dass die Preußische Akademie der Wissenschaften nach der Errichtung der Nazi-Diktatur 1933 sich eilig ihrer jüdischen Mitglieder und Mitarbeiter entledigte. Zu ihnen gehörte Albert Einstein, der gerade in den USA weilte, als Hitler an die Macht kam. Einsteins regimekritischen Äußerungen brachten die Nationalsozialisten so sehr auf, dass sie massiv gegen den berühmten Physiknobelpreisträger und Pazifisten hetzten und seinen Ausschluss aus der Akademie verlangten. Diesem kam Einstein durch seinen eigenen Austritt zuvor. Sein Kollege, der Physiknobelpreisträger Max Planck, betonte am 11. Mai 1933 in einer vor der Akademie verlesenen Erklärung, Einstein sei nicht nur einer unter vielen hervorragenden Physikern, sondern "der Physiker, durch dessen in unserer Akademie veröffentlichte Arbeiten die physikalische Erkenntnis in unserem Jahrhundert eine Vertiefung erfahren hat, deren Bedeutung nur an den Leistungen Johannes Keplers und Isaac Newtons gemessen werden kann". Nach dem Ende des NS-Staates und des Zweiten Weltkriegs bot die Gelehrtenvereinigung den ehemals ausgeschlossenen Akademiemitgliedern die Mitgliedschaft wieder an, doch nur Einstein lehnte 1946 "nach all dem Furchtbaren, das geschehen ist" das Anerbieten ab.

An mehreren Orten erinnerten 2013 in Berlin Litfaßsäulen daran, dass zahlreiche Künstler, Wissenschaftler, Unternehmer, Erfinder und andere Personen nach der Errichtung der NS-Herrschaft aus politischen und rassistischen Gründen ihre Arbeit, Freiheit und vielfach auch ihr Leben verloren haben. Die im Rahmen des Themenjahrs "Zerstörte Vielfalt" anlässlich des 80. Jahrestags der Errichtung der NS-Diktatur und des 75. Jahrestags des Pogroms vom 9. November 1938 aufgestellten Säulen waren den Opfern des brutalen Kahlschlags gewidmet, der dem gesellschaftlichen und kulturellen Leben einen riesigen Schaden zugefügt hat. Wer nicht im Ausland weilte und dort blieb und wer sich, kommende Katastrophen voraussehend, sogleich zur Emigration entschloss, war schutzlos dem Terror und Mordanschlägen der SA-Schläger und Gestapo ausgesetzt. Die mit einem großen schwarzen Kreuz sowie Fotos versehenen Gedenksäulen forderten auf, sich mit den Lebensläufen der Verfolgten und Verfemten zu befassen, aber auch den eigenen Kiez besser kennenzulernen. Außerdem dokumentierten die Säulen, ein dazu passendes Buch und zahlreiche Veranstaltungen, wie es die Nationalsozialisten verstanden, bis zum bitteren Ende den Großteil der Deutschen hinter sich zu bringen und für ihre Ziele zu begeistern.

(23. Mai 2016)

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