Hitler ließ Sieg im Osten vorschnell verkünden

Mit seinen Presseanweisungen bestimmte Propagandaminister Goebbels, was Zeitungen zu schreiben und was sie zu verschweigen haben



Was zwischen 1933 und 1945 in den Zeitungen stehen soll und was nicht,
wurde im Propagandaministerium detailliert festgelegt, und wehe, die Redakteure
hielten sich nicht an die Presseanweisungen.




Die Nazipresse berichtete im Februar 1943 breit über die Rede von Goebbels zum
totalen Krieg, und dazu gab der Minister Anweisungen. Exponat in der
Topographie des Terrors, die 2013 der Pressepropaganda im NS-Staat
eine Ausstellung gewidmet hat.






Solche Flugblättern hielten den Deutschen vor, was ihnen Hitler und Goebbels
versprochen haben. Wer mit solchen Drucken erwischt wurde, riskierte seinen Kopf.



Manche Schreiber für die Wochenzeitung Das Reich und andere Blätter machten nach dem
Ende des Nazireichs weiter, als sei nichts geschehen. (Foto/Repros: Caspar)

Gleich nach der Errichtung der NS-Diktatur am 30. Januar 1933 begann der neu ernannte Propagandaminister Joseph Goebbels als Herr über Presse, Film, Rundfunk, Bücher und bildende Kunst das bis dahin breit gefächerte Zeitungswesen im Deutschen Reich zu zerschlagen und gleichzuschalten. Mit administrativen und juristischen Mitteln wurden dem Naziregime kritisch gegenüber stehende Autoren sowie solche jüdischer Herkunft mundtot gemacht, ins Gefängnis oder Konzentrationslager geworfen, zur Auswanderung gezwungen und in einigen Fällen auch ermordet. Wer in Hitlers Reich etwas publizieren wollte, musste der Reichspressekammer und anderen Goebbels unterstehenden Kammern angehören, und diese Mitgliedschaft wurde Personen verwehrt, die nicht ins politische und rassistische Schema der Nazis passten. Die Crème der deutschen Publizistik wurde zum Schweigen verurteilt, ging in die innere Emigration oder ins Ausland, doch manche Edelfedern arrangierten sich mit der Diktatur und machten nach ihrem Ende weiter Karriere.

Goebbels unterdrückte durch seine "Bestellungen" genannten Anweisungen an die Presse jedwede Kritik an den herrschenden Zuständen und Hitlers Entscheidungen. Der Minister bestimmte diktatorisch, worüber etwas an welcher Stelle in welcher Aufmachung berichtet werden soll und erließ ins Detail gehende Sprachregelungen und Argumentationshilfen. Wo er Abweichungen von seinen Presseanweisungen bemerkte, hagelte es Rügen, Verbote, Entlassungen und Haftstrafen und Schlimmeres. In der DDR wurde von Partei- und staatlichen Gremien in ähnlicher Weise verfügt, wie in den Medien über ein Ereignis oder das Auftreten wichtiger Politiker berichtet wird. Wer eine Zeitung las, wusste ungefähr, was auch in den anderen stand.

Peinliche Panne

Wie solche Presseanweisungen aussahen, hat der Historiker und Auschwitz-Überlebende Joseph Wulf in seinem Buch "Presse und Funk im Dritten Reich. Eine Dokumentation" (Sigbert Mohn Verlag Gütersloh 1964) dargestellt. Sie wurden im Propagandaministerium von hochrangigen Beamten verlesen, doch wenn Goebbels persönlich erschien, war mit Informationen über besonders spektakuläre Ereignisse zu rechnen. Im Spätsommer 1941 gab es eine schlimme Panne. Im Auftrag von Hitler hatte der Pressechef der Reichsregierung und Staatssekretär im Propagandaministerium Otto Dietrich vor der Reichspressekonferenz erklärt, der Ostfeldzug sei mit einem vollen Erfolg beendet worden, jetzt würde der Sieg über der Sowjetunion nur noch durch den Einsatz von Polizeikräften gesichert. Das war reinstes Wunschdenken, denn der Kampf ging weiter. Der von Hitler angekündigte "gewaltige Hieb" gegen die Rote Armee blieb aus, Moskau wurde nicht erobert, die Katastrophe vor Stalingrad stand noch bevor, und der Krieg endete am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht.

In seinem Siegestaumel behauptete Hitler am 3. Oktober 1941 im Berliner Sportpalast bei der Eröffnung des Winterhilfswerks, die Sowjetunion sei gebrochen und werde sich nie wieder erheben. In diesem Sinne wurde die Presse angewiesen zu verkünden: "Der Krieg im Osten ist entschieden, der Kampf ist aber noch nicht beendet." Der Völkische Beobachter, das Zentralblatt der NSDAP, verstieg sich zu der Aussage "Stalins Armeen sind vom Erdboden verschwunden". Rückblickend erklärte Otto Dietrich, Hitler sei der festen Überzeugung gewesen, der ganze Krieg sei gewonnen, der Traum unserer Gegner vom Zweifrontenkrieg sei ausgeträumt. "Ich hatte keinen Grund zu bezweifeln, was der Feldherr und Oberste Befehlshaber mir in seinem Hauptquartier über die Ereignisse im Osten zu Zwecke der Veröffentlichung so spontan mitteilte."

Nichts über Charly Chaplin und Thomas Mann

Die Presseanweisungen schrieben genau vor, was sie zu sagen und was sie zu unterlassen haben. Das ging bis hin zur Vermeidung von Fremdwörtern. So waren in der Sportberichterstattung Worte wie Goalkeeper für Torwart oder Hat-Trick für das Erzielen von drei Toren nacheinander verboten. Außerdem sollten sich die Medien bei der Berichterstattung über Hinrichtungen genau an die amtlichen Meldungen halten und jede Erwähnung von Hitler als derjenige unterlassen, der die Todesurteile bestätigt und auf schnellen Vollzug drängt. "Grausige Einzelheiten aus Kampfhandlungen sollen in Kriegsberichten gestrichen werden, auch falls sie der Zensur entgangen sind. Erlebnisberichte von Soldaten, die nicht der PK [Propagandakompanie, H. C.] angehören, dürfen nicht als PK-Berichte bezeichnet werden", wies der Minister an. Verboten waren Fotos von Regierungsmitgliedern, die an reich gedeckten Tischen prassen. Ab 1936 durfte nicht mehr sollte über den beliebten Schauspieler Charly Chaplin berichtet werden, der sich später in seinem Film "Der Große Diktator" über Hitler und Mussolini lustig machte. Im gleichen Jahr wurde angewiesen, über führende sowjetische Beamte und Politiker nur noch mit dem Zusatz "Jude" zu berichten, und 1937 erging der Befehl, den Name des Schriftstellers Thomas Mann aus dem Gedächtnis aller Deutschen zu löschen, "da er nicht würdig ist, den Namen Deutscher zu tragen." Im gleichen Jahr lief eine "großzügige Propaganda-Aktion gegen die katholische Kirche" an, weil sie es gewagt hatte, gegen Maßnahmen des NS-Regimes unter anderem im Zusammenhang mit der gezielten Ermordung von Alten, Kranken und Schwachen zu protestieren. Im März 1939 wurde die Verwendung des Begriffs "Großdeutsches Weltreich" als unerwünscht erklärt. "Letzteres Wort ist für spätere Gelegenheiten vorbehalten", und ab 5. Mai 1939 erging die Anweisung, alle scharfen Äußerungen gegen die Sowjetunion zu unterlassen. Ein paar Monate später schlossen Hitler und Stalin den berühmt-berüchtigten Nichtangriffspakt mit geheimem Zusatzprotokoll, auf dessen Grundlage eine Teilung Polens in zwei Interessenssphären erfolgte.

Die Serie der Ge- und Verbote ließe sich unendlich fortsetzen. Nicht immer wurde befolgt, was im Propagandaministerium und an anderen Orten ausgeheckt wurde. Da und dort konnte man "zwischen den Zeilen" sogar etwas wie verhaltene Nörgelei an Entscheidungen des NS-Regimes lesen, und es wurden auch Berichte und Kommentare zu wirtschaftlichen, kulturellen, historischen, naturwissenschaftlichen, sportlichen und lokalpolitischen Themen ohne den üblichen völkischen Nazischwulst vor. Bei genauem Hinsehnen zeigt sich, dass die von Goebbels gegängelte Presse gelegentlich mehr zu bieten hatte als braunen Einheitsbrei. Heute ist sie für Historiker eine wichtige Quelle, um zu verstehen, wie die Deutschen und ihre Führer damals "tickten". Die Medien gaben sich innerhalb der ihr gezogenen engen Grenzen bisweilen bunt und weltoffen, ja frech und spitz. Absichtsvoll wurden Tages- und Wochenzeitungen wie die Frankfurter Zeitung und Das Reich geduldet, mit denen sich das Regime als weltgewandt und modern präsentierte und die Zensur etwas moderater als üblich gehandhabt wurde.

Die Parteitags- und Kriegsberichterstattung, der von den Medien betriebene Personenkult um Hitler sowie die Hetze gegen Juden und andere so genannte Fremdvölkische unterlagen einer besonderen Kontrolle, und Chefredakteure und Autoren waren gut beraten, sich genau an die Anweisungen zu halten. Nach der Sportpalastrede am 18. Februar 1943 zum totalen Krieg wies Goebbels die Presse in klein geschriebener Fernschreiberschrift an: "tagesparole: die rede des reichsminister dr goebbels im berliner sportpalast bildet die aufmachung der echten freitagfrueblaetter. die teile der rede, die sich mit dem bolschewismus und dem totalen krieg befassen, verdienen besondere hervorhebung. in der textaufmachung wie in den stimmungsbildern ist die antwort des volkes auf die ihm vorgelegten fragen als willenskundgebung der ganzen nation zu verzeichnen. [...] das thema bolschewismus muesse in den deutschen tageszeitungen sehr stark in den vordergrund treten."

Bis zum Ende des Regimes gaukelte der für solche Zuwendungen sehr empfängliche Goebbels in seinen mit 2000 Reichsmark seinen exzellent honorierten Kommentaren in dem Wochenblatt Das Reich sowie unzähligen Reden und Aufrufen den "Volksgenossen" vor, dass ungeachtet der nicht mehr leugbaren Rückzüge, die man als Frontbegradigung kaschierte, und Niederlagen der Sieg bevorsteht, nur müsste man mit fanatischem Willen die allergrößten Anstrengungen unternehmen, ihn auch wirklich zu erringen.

Journalisten mit brauner Vergangenheit

Viele Erfüllungsgehilfen der Goebbels'schen Presseanweisungen machten nach dem Ende des NS-Reiches in der Bundesrepublik Deutschland weiter und behaupteten, wenn sie denn nach ihrer Verstrickung in die NS-Politik gefragt wurden, nur nach Weisungen "von oben" gehandelt zu haben. Einer von ihnen war der tief in die Nazipropaganda verstrickte Journalist und nach 1945 viel beschäftigte Autor von Fernsehkrimis Herbert Reinecker. Andere ehemalige Nazischreiber, denen nach einer gewissen Karenzzeit ein Neustart in der Bundesrepublik Deutschland gelang, waren Karl Silex, Giselher Wirsing und Werner Höfer. Höfer musste 1987 die Moderation des Internationalen Frühschoppens im Fernsehen aufgeben, als bekannt wurde, dass er am 20. September 1943 im Berliner 12 Uhr Blatt die Hinrichtung des Pianisten Karlrobert Kreiten begrüßt und gerechtfertigt hat, der wegen seines Zweifels am "Endsieg" denunziert und vom Volksgerichtshof zum Tod verurteilt wurde. Unter der Überschrift "Künstler - Beispiel und Vorbild" hatte Höfer geschrieben: "Wie unnachsichtig jedoch mit einem Künstler verfahren wird, der statt Glauben Zweifel, statt Zuversicht Verleumdung und statt Haltung Verzweiflung stiftet, ging aus einer Meldung der letzten Tage hervor, die von der strengen Bestrafung eines ehrvergessenen Künstlers berichtete. Es dürfte heute niemand Verständnis dafür haben, wenn einem Künstler, der fehlte, eher verziehen würde als dem letzten gestrauchelten Volksgenossen. Das Volk fordert vielmehr, dass gerade der Künstler mit seiner verfeinerten Sensibilität und seiner weithin wirkenden Autorität so ehrlich und tapfer seine Pflicht tut, wie jeder seiner unbekannten Kameraden aus anderen Gebieten der Arbeit. Denn gerade Prominenz verpflichtet!"

In der frühen DDR brachte es Georg Dertinger zum Außenminister. Er war Mitverfasser der erwähnten "Bestellungen" aus den Pressekonferenzen im Goebbels-Ministerium und Mitarbeiter des Dienstes aus Deutschland oder Dertinger-Dienstes, der Provinzzeitungen und das Ausland mit nazifreundlichen Artikeln belieferte. Altnazi Günter Kertzscher avancierte sogar zum stellvertretenden Chefredakteur des SED-Zentralorgans Neues Deutschland. Einigen Journalisten dieser Art zog 2013 die Ausstellung "Zwischen den Zeilen? Zeitungspresse als NS-Machtinstrument" in der Berliner Topographie des Terrors die Maske vom Gesicht.

19. September 2016

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