Durch Tunnel in den Westen

Was an der Bernauer Straße über die Berliner Mauer sowie über Fluchtversuche und abgerissene Bauwerke berichtet wird



In der Bernauer Straße sind überall Bild- und Texttafeln aufgestellt,
die unter anderem über die Mauer im Kalten Krieg berichten und
zeigen, wie die Leute auf westlicher Seite Verwandte und Freunde
im Osten, auf Leitern stehend, grüßten.




Im Hauseingang der Bernauerstraße 97 wird an den Fluchthelfer
Wolfgang Fuchs und seine Freunde erinnert und geschildert,
unter welchen Umständen sie die Tunnel gegraben haben.




Archäologen haben Kellerreste des Hauses Bernauer Straße 10 a ausgegraben,
das gleich nach dem Mauerbau geräumt und zugesperrt und
1963 bis 1965 abgerissen wurde. Zu sehen sind unter anderem
Reste der damals zugemauerten Fensterhöhlen.




Nicht aus Lehm gebrannt, sondern aus diesem umweltfreundlichen Stoff
geschüttet und zu einer festen Masse gestampft, erhebt sich an der
alten Stelle die neue Versöhnungskapelle, in der auch Relikte
aus der alten Versöhnungskirche stehen.




Ein Modell aus Bronze beim Dokumentationszentrum Berliner Mauer und
Nordbahnhof gegenüber hilft bei der Orientierung und zeigt,
wie dicht das Gelände ehemals bebaut war. (Fotos: Caspar)

Die Berliner Mauer und innerdeutsche Grenze trennte 10795 Tage und Nächte eine Stadt und eine ganze Nation. Die Sperranlagen in und um die Hauptstadt hatten eine Gesamtlänge von 155 Kilometern, davon zwischen Ost- und Westberlin 43,1 und zwischen Westberlin und der DDR 111,9 Kilometer. Die etwa 3,60 Meter hohe Betonplattenwand war 106 km lang. Jedes Segment aus stahlarmiertem, 15 Zentimeter starkem Beton war 1,20 Meter breit und wog etwa 2,6 Tonnen. Der drei bis vier Meter hohe Metallgitterzaun maß 67 Kilometer. Es gab einen 105 Kilometer langen Kfz-Graben, einen 127 Kilometer langen Kontakt- und Signalzaun, einen sechs bis sieben Meter breiten und 124 Kilometer langen Kolonnenweg sowie 302 Beobachtungstürme, 20 Bunker, 260 Hundelaufanlagen. Daran erinnern an der Bernauer Straße in Berlin ein Dokumentationszentrum sowie zahlreiche Bild- und Texttafeln, Gedenksteine und weitere Objekte. Überall in der Stadt sind bunt bemalte Mauersegmente aufgestellt, und das längste Mauerstück hat es als East-Side-Gallery zu internationalem Bekanntheitsgrad gebracht.

Mauer war die inoffizielle Bezeichnung für die am 13. August 1961 errichteten Sperranlagen. Den Begriff hatte SED-Chef Walter Ulbricht erstmals am 15. Juni 1961 in einer Pressekonferenz verwendet, als er behauptete, niemand habe die Ansicht, eine Mauer zu errichten. Er tat das, um die Öffentlichkeit zu beruhigen, dabei waren die mit der Sowjetunion abgestimmten Vorbereitungen schon längst angelaufen. Offiziell hießen der immer mehr ausgebauten Sperranlagen Antifaschistischer Schutzwall oder Staatsgrenze West. Nach dem Abriss der Mauer im Winter 1989/90 sind nur noch wenige Originalteile erhalten. Wo immer von der Mauer die Rede ist, wird auch von der offiziell in der DDR so genannten Republikflucht gesprochen. Der dem Arbeiter-und-Bauern-Staat verlassen wollte, riskierte er sein Leben, seine Freiheit und seinen Arbeitsplatz, und auch die jeweiligen Familien wur-den mit Strafen belegt.

Beobachter der Berliner Fluchthelferszene rechnen mit etwa 70 Tunneln, durch die mehr 250 Personen in den Westen gelangt sein sollen. Während der Tunnelfluchten kam es zu mindestens vier Todesfällen, außerdem wurden über 200 Helfer und so genannte Republikflüchtige verhaftet und zu schweren Haftstrafen verurteilt. Die Tunnel wurden von beiden Richtungen unter den Grenzanlagen gegraben, und zwar neun Tunnel aus Richtung Osten und 30 aus Richtung Westen. Einzeln zu graben war unmöglich, deshalb machten sich mehrere Gruppen ans Werk. Dazu gehörten die Gruppen um Hasso Herschel, um Harry Seidel und Fritz Wagner, um Detlef Girrmann und Wolfgang Fuchs. Sie wurden auf östlicher Seite als Staatsfeinde und geldgierige Verräter verteufelt, für den Westen waren sie Helden. Wenn Fluchtversuche oberhalb und unterhalb der Erdoberfläche scheiterten und die DDR-Behörden der Beteiligten habhaft wurden, folgten Gerichtsprozesse und hohe Zuchthausstrafen.

An der Bernauer Straße und der Heidelberger Straße wurden besonders viele Tunnel gegraben. Im Eingang zum Haus Bernauer Straße 79 erinnert eine Gedenktafel an Wolfgang Fuchs, der mit seinen Freunden in den Jahren 1963 und 1964 zwei rund 145 Meter lange Tunnel vom Westteil hinüber zur Strelitzer Straße 54/55 in einer Tiefe von zehn Metern gegraben hat. Die Grabungen begannen im Keller einer stillgelegten Bäckerei. Fuchs und seine Freunde brauchten für die Tunnel jeweils ein halbes Jahr. Man kann sich gut vorstellen, welcher Anstrengungen es bedurfte, um sich Meter für Meter voranzuarbeiten. Alles musste mit großer Umsicht getan werden. Es durften keine Unfälle passieren, und die Röhren mussten so gesichert werden, dass sie nicht einstützen. Strenges Stillschweigen war geboten, denn man wusste, dass die Ostberliner Seite auf ungewöhnliche Transporte, Vorgänge und Geräusche achtete und auch ihre Spitzel bei Fluchthelfern platzierte. Immer wieder flogen unter spektakulären Umständen Fluchttunnel auf.

Der Stollen zwischen der Bernauer Straße und der Strelitzer wurde im Januar 1964 verraten. Die Staatssicherheit warf eine Granate in das Erdloch und machte so die Röhre in einer Tiefe von zehn Metern unpassierbar. Allerdings gelang in einem zweiten, parallel dazu angelegten Tunnel im Oktober 1964 nicht weniger als 57 Männern, Frauen und Kindern die Flucht nach Westberlin. Das brachte Ulbricht, Honecker und Mielke in Rage, zumal die Aktionen auf westlicher Seite weidlich ausgeschlachtet wurden. Um weitere Aktionen dieser Art ein für allemal zu unterbinden, grub die Stasi an der Bernauer Straße einen eigenen Tunnel und stattete ihn mit Abhörtechnik aus, was weitere Tunnelfluchten an dieser Stelle unmöglich machte. Geschildert wird an der Bernauer Straße auf den Tafeln, wie die westliche Seite mithilfe des "Studios am Stacheldraht" DDR-Grenzsoldaten und Polizisten zu beeinflussen versuchte, nicht auf Flüchtende zu schießen und selber die Flucht anzutreten. Die Lautsprechersendungen wurden 1965 eingestellt. Schließlich erfahren Besucher, wer die Mauertoten waren und warum trotz großer Wohnungsnot zahlreiche Wohnhäuser entlang des Grenzstreifens und im Hinterland abgerissen wurden. Dargestellt wird auch das Schicksal die Versöhnungskirche, die dem freien Schussfeld der Grenzer im Wege stand und daher im Januar 1985 gesprengt wurde.

Nach der Öffnung der Mauer am 9. November 1989 war der Wunsch verständlich, sie so schnell abzureißen und unsichtbar zu machen. Heute stehen die wenigen noch erhaltenen Wachtürme und Betonwände unter Denkmalschutz und werden durch Absperrgitter vor "Mauerspechten" geschützt. Es handelt sich um folgende Standorte: Bornholmer Straße, East-Side-Gallery, Nordbahnhof, Pflugstraße, Niederkirchnerstraße/Stresemannstraße, Schillingbrücke, Rudow/Alt-Glienicke. Abgebaut ist ein kleines Stück Mauer am Leipziger Platz, der eine neue Bebauung in den alten achteckigen Konturen erhält.

Die Gedenkstätte für die Toten der Berliner Mauer wurde am 13. August 1998 eingeweiht. Die nach Entwürfen des Architekten Sven Kohlhoff gestaltete Anlage war sehr umstritten und ist auch schwer verständlich. Angezweifelt wurde und wir, ob mit dieser Anlage die ganze Brutalität des Grenzregimes, die Leiden der Opfer und ihrer Angehörigen vermittelt werden kann. Der damals 2,2 Millionen DM teure Komplex ist kein Park mit Überbleibseln aus dem Arsenal der DDR-Grenzer. Er lässt einen Blick auf das leere Gelände hinter der originalen Betonwand an der Bernauer Straße nur durch Sehschlitze zu. Eine Spiegelwand im Inneren der Gedenkstätte verlängert optisch die Anlage ins Unendliche. Auf der Rückseite, zur Straße hin, ist die Widmung angebracht. Sie lautete ursprünglich: "Gedenkstätte Berliner Mauer in Erinnerung an die Teilung der Stadt vom 13. August 1961 bis zum 9. November 1989 und zum Gedenken an die Opfer errichtet durch die Bundesrepublik Deutschland und das Land Berlin". Dieser lakonische Wortlaut rief Proteste von Opferverbänden hervor, die die Widmung als zu ungenau und diskriminierend empfanden. So wurde sie dahingehend präzisiert, dass die Stätte dem Gedenken an die "Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft" gewidmet ist.

Ein Stein auf dem Gelände des Sophienfriedhofs, über den der Mauerstreifen verlief, weshalb Gräber umgebettet werden mussten und Besuchern das Betreten der Ruhestätte fast unmöglich gemacht wurde, erweitert den Personenkreis, an den hier gedacht wird. "Gedenkstätte für die Opfer des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Teilung. Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch mehr Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth" lautet die Widmung, die darauf aufmerksam macht, dass auf dem Friedhof zahlreiche Kriegstote, darunter viele Bombenopfer, bestattet sind.

Literaturhinweis: Dietmar Arnold, Sven Felix Kellerhoff: Die Fluchttunnel von Berlin, Ber-lin 2011, ISBN 978-3-548-60934-8; Marion Detjen: Ein Loch in der Mauer. Die Geschichte der Fluchthilfe im geteilten Deutschland 1961-1989, München 2005, ISBN 3-88680-834-3.

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