"Lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit"

Wolf Biermann ging vor 40 Jahren der SED-Führung so auf die Nerven, dass sie den Staatsfeind kurzerhand ausbürgerte







Dem bejubelten Konzert in Köln folgte prompt die Ausbürgerung, der Text im
Neuen Deutschland vom 17. November 1976 könnte direkt von dem tief beleidigten
Honecker stammen. Wie sehr der SED- und Staatschef sich und seinem Land mit
der Maßnahme geschadet hat, wurde schnell deutlich.




Das Plakat in den Armen eines bronzenen Bauarbeiters zwischen Rotem Rathaus
und der Marienkirche in Berlin hing nicht lange, es wurde schnell von der Polizei
entfernt. Nur das Foto blieb. Wo sich Kritik regte, schlugen Stasi und Justiz zu,
doch konnten die "Organe" nicht verhindern, dass heimliche Mitschnitte
von Hand zu Hand gingen und Biermann-Lieder sogar in Gefängnissen
in der Hoffnung auf bessere Zeiten gesungen wurden.




Für einen Besuch bei seinem todkranken Freund Robert Havemann erhielt
Wolf Biermann im April 1982 unter Auflagen eine einmalige Genehmigung
zur Einreise in die DDR. (Repros: Caspar)

Der Liedermacher Wolf Biermann ging schon lange den SED-Politbürokraten auf die Nerven. Erich Honecker nahm 1976 einen spektakulären Auftritt des in der DDR verfemten Künstlers in Köln zum Anlass, ihm die Wiedereinreise in das Land der Arbeiter und Bauern zu verweigern und ihm die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Dem aus einer kommunistischen Familie stammenden Künstler wurde "grobe Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten" vorgeworfen. Biermann hatte in Köln die Verhältnisse in der DDR hart kritisiert. Seinen begeisterten Zuhörern legte er ans Herz: "Wartet nicht auf bessre Zeiten / Wartet nicht mit eurem Mut / Gleich dem Tor, der Tag für Tag / An des Flusses Ufer wartet / Bis die Wasser abgeflossen / Die doch ewig fließen / die doch ewig fließen."

Die vor 40 Jahren verfügte Ausbürgerung schlug im Arbeiter-und-Bauern-Staat, aber auch im Westen hohe Wellen. In Künstler- und Intellektuellenkreisen hüben wie drüben wurde darüber diskutiert, ob es richtig ist, wenn der Staat in dieser Form mit seinen Kritikern umspringt und was an Biermanns Liedern denn so falsch ist. Die Staatssicherheit hatte den Künstler schon lange im Visier, befasste sich intensiv mit der Frage, wie er und seine Freunde "zersetzt" werden und seine Lieder und Gedichte unterdrückt werden können, wenigstens in der DDR. Der Sohn eines von den Nazis hingerichteten Hamburger Arbeiters, war 1953 als Sechzehnjähriger in die DDR übergesiedelt und war maßgeblich von Hanns Eisler geprägt worden. Er schrieb Gedichte und Lieder, gründete in Ost-Berlin das Berliner Arbeiter-Theater b.a.t. und machte sich schon mit seinen ersten Stücken bei den SED-Oberen unbeliebt. Über Biermann wurde ein befristetes Auftrittsverbot verhängt, und auch die Aufnahme in die SED wurde ihm verweigert. Dessen ungeachtet konnte er ab und zu im Westen auftreten und auch publizieren. Im September 1976 gelang ihm, dank eines Fehlers bei den Überwachungsorganen, nach elf Jahren des Verbots in Prenzlau sein einziges und letztes Konzert vor der Wende in der DDR zu geben.

Umjubeltes Konzert in Köln

Im gleichen Jahr wurde Wolf Biermann von der IG Metall zu einer Konzertreise in die Bundesrepublik Deutschland eingeladen, wofür ihm die Behörden der DDR eine Reisegenehmigung erteilten. Das Konzert fand am 13. November 1976 in der Kölner Sporthalle statt. Das WDR Fernsehen strahlte am 17. November 1976 eine gut zweistündige Zusammenfassung zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr und zwei Tage später das Konzert in voller Länge aus. Durch diese Übertragung erfuhren viele Menschen in der DDR zum ersten Mal etwas über Biermanns Lieder.

Viele Prominente in Ost und West protestierten gegen Biermanns Ausbürgerung. Am 17. November 1976 verfassten zwölf namhafte DDR-Schriftsteller einen von Stephan Hermlin initiierten offenen Brief an die DDR-Führung, in dem sie an diese appellierten, die Ausbürgerung Biermanns zurückzunehmen. "Wolf Biermann war und ist ein unbequemer Dichter - das hat er mit vielen Dichtern der Vergangenheit gemein. Unser sozialistischer Staat […] müsste im Gegensatz zu anachronistischen Gesellschaftsformen eine solche Unbequemlichkeit gelassen nachdenkend ertragen können", heißt es in dem von Sarah Kirsch, Christa Wolf, Volker Braun, Franz Fühman, Stephan Hermlin, Stephan Heym, Günter Kunert, Heiner Müller, Gerhard Wolf, Jureck Becker, Erich Arendt und Rolf Schneider unterzeichneten Brief. Um die Veröffentlichung sicherzustellen, übergab die Gruppe den Brief nicht nur dem Neuen Deutschland, von dem sie wussten, dass er ignoriert wird, sondern auch der französischen Nachrichtenagentur AFP, die ihn dann sogleich publizierte. Dem Protest schlossen sich in den folgenden Tagen rund einhundert weitere Schriftsteller, Schauspieler und bildende Künstler an, doch gab es auch Bekundungen ebenfalls von Prominenten gegen den Protest und Loyalitätserklärungen an die Adresse der SED und Regierung.

Um sicherzustellen, dass in Stasi-Kreisen der harte Kurs der Parteiführung gegen jedwede ideologische Aufweichung verstanden und befolgt wird, befahl Minister Mielke eine politische Offensive in allen Diensteinheiten und verstärkte Einflussnahme auf Verwandte Bekannte der hauptamtlichen und inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter. "Dabei kommt es darauf an, dass alle progressiven Kräfte einheitlich, geschlossen und offensiv handeln." Für seinen Befehl dürfte der Stasi-Chef Gründe gehabt haben, denn es gab damals Absetzbewegungen wie den Fall des Überläufers Werner Stiller. Dem Stasi-Oberleutnant gelang 1979 die Flucht in den Westen unter Mitnahme zahlreicher geheimer Dokumente, was umfangreiche interne Säuberungen im MfS und dem Parteiapparat auslöste.

Die lebhaft geführte Debatte um die Ausbürgerung von Wolf Biermann nahmen Honecker und seine Genossen zum Anlass, oppositionelle Künstler zu schikanieren und einige ins westdeutsche Exil zu treiben. Unter ihnen waren Biermanns frühere Lebensgefährtin, die Schauspielerin Eva-Maria Hagen und ihre Tochter Nina Hagen, die Schauspielerin Katharina Thalbach , die Schriftsteller Thomas Brasch und der Schauspieler Manfred Krug, um einige wenige Namen zu nennen. Stefan Heym, einer der Erstunterzeichner jenes Protestbriefes, wurde vorgeladen, unter Druck gesetzt und blieb standhaft. In seinem Erinnerungsbuch "Nachruf" hat der Schriftsteller beschrieben, wie die Kulturbehörden und die Justiz ihm am Zeug flicken wollten und was er den Genossen ins Gesicht geschleudert hat.

Ballade von den verdorbenen Greise

Der Fall Biermann und der Protest seiner Fürsprecher hatten strafrechtliche Folgen in Form einer Gesetzesnovelle. Nach dem § 219 des Strafgesetzbuches wurde die ungesetzliche Verbindungsaufnahme in nicht sozialistische Staaten hart geahndet. Unter Strafe gestellt war: "1. wer Nachrichten, die geeignet sind, den Interessen der DDR zu schaden, im Ausland verbreitet oder verbreiten lässt oder zu diesem Zweck Aufzeichnungen herstellt oder herstellen lässt, 2. wer Schriften, Manuskripte oder andere Materialien, die geeignet sind, den Interessen der DDR zu schaden, unter Umgehung von Rechtsvorschriften an Organisationen, Einrichtungen oder Personen im Ausland übergibt oder übergeben lässt". Damit wurden Publikationen von DDR-Schriftstellern im Westen ohne Genehmigung der DDR-Zensurbehörden kriminalisiert. Da sie im eigenen Land nicht publizieren durften und Arbeitsverbot hatten, wurde ihnen das Leben nahezu unmöglich gemacht.

Im wiedervereinigten Deutschland hielt Biermann konsequent seinen Kurs, er bekam zahlreiche Preise und Ehrungen, darunter das Große Bundesverdienstkreuz anlässlich seines 70. Geburtstages. Am 7. November 2014 sang Biermann anlässlich des 25. Jahrestages des Falles der Mauer auf Einladung des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert das Lied "Ermutigung". Er nannte sich "Drachentöter" und griff frontal die Abgeordneten der SED-Nachfolgepartei Die Linke als "Drachenbrut" und "elenden Rest dessen, was zum Glück überwunden ist" an. In seiner Ballade von den verdorbenen Greisen aus dem Jahr 1990 ging Biermann führende SED-Genossen von Krenz über Mielke, Hager und Schnitzler bis Honecker frontal an: "Hey Honney, du gingst aus Gesundheitsgründen / Ich glaube dir nichts und auch nicht dies / Die schlimmste Krankheit hattest du immer: / Die stalinistische Syphilis / Ich hab dich verachtet und ich hab dich gefürchtet / Und trotzdem bleibt da ein Rest von Respekt / Es haben dich die verfluchten Faschisten / Elf Jahre in Brandenburg eingesteckt. / Wir wollen dich nicht ins Verderben stürzen / Du bist schon verdorben genug / Nicht Rache, nein, Rente! / im Wandlitzer Ghetto / und Friede deinem letzten Atemzug."

Seelenbrot für Gefangene

Im Westen blieb sich Wolf Biermann treu. Er zahlreiche neue Lieder und war in der Friedensbewegung aktiv, von der Stasi ständig belauert. In seinen Liedern kritisiert scharf die DDR und brach mit seiner sozialistischen Überzeugung, obwohl er vorher stets dafür eingetreten war, wirklichen und menschlichen Sozialismus oder Kommunismus anstelle des in der DDR praktizierten Stalinismus aufzubauen.

Biermanns Lieder waren auch in der DDR bekannt, es gab illegal aus dem Westen eingeschmuggelte Schallplatten und illegale Tonbandmitschnitte, mochten Zoll und Stasi, was praktisch das gleiche war, dagegen vorgehen wie sie wollte. Das Lied "Ermutigung" war so etwas wie eine heimliche Nationalhymne der DDR. Der Text lautet so: "Du, lass dich nicht verhärten / in dieser harten Zeit. / Die allzu hart sind, brechen, / die allzu spitz sind, stechen / und brechen ab sogleich. / Du, lass dich nicht verbittern / in dieser bittren Zeit. / Die Herrschenden erzittern / - sitzt du erst hinter Gittern - / doch nicht vor deinem Leid. / Du, lass dich nicht erschrecken / in dieser Schreckenszeit. / Das wolln sie doch bezwecken / dass wir die Waffen strecken / schon vor dem großen Streit. / Du, lass dich nicht verbrauchen, / gebrauche deine Zeit. / Du kannst nicht untertauchen, / du brauchst uns und wir brauchen / grad deine Heiterkeit. / Wir wolln es nicht verschweigen / in dieser Schweigezeit. / Das Grün bricht aus den Zweigen, / wir wolln das allen zeigen, / dann wissen sie Bescheid." Wolf Biermann nannte es "Ermutigung" "beliebteste Lied in den Gefängnissen der DDR", das von den Gefangenen als eine Art "Seelenbrot" gesungen wurde, oft ohne dass sie den Namen des Verfassers kannten.

7. Oktober 2016

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