Das Politbüro verstand keinen Spaß

Abweichler von der Parteilinie wurden in der DDR wegen Boykotthetze und Staatsverleumdung hart bestraft / Wie politische Verfolgung im Bautzener "Gelben Elend" aufgearbeitet wird



Wer im Osten mit der in Westberlin gedruckten "Tarantel" erwischt
wurde, wer sie gar verteilte und auch Meldungen aus dem Sender Rias
verbreitete sowie politische Witze riss, bekam es wegen
Boykotthetze und ähnlichen Vorwürfen mit der DDR-Justiz zu tun.




In der Stasi-Haftanstalt Berlin-Hohenschönhausen waren die von ihren
Kameraden isolierten Häftlinge quälenden Verhören unterworfen.
Das bis 1990 von der Außenwelt abgeschirmte Gefängnis ist heute
eine vielbesuchte Gedenk- und Begegnungsstätte.






Wer in Hohenschönhausen aufmuckte, kam in die Zwangsjacke, überdies trugen
Gefangene solche Holzpantinen, die sie selber anfertigen mussten.
Exponate in der Ausstellung im ehemaligen Stasi-Gefängnis.(Fotos: Caspar)


Die 1949 beschlossene DDR-Verfassung enthielt, ungewöhnlich für solche Dokumente, im Artikel 6 eine wichtige Strafvorschrift. "Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleichberechtigt. Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhass, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze. Wer wegen Begehung dieser Verbrechen bestraft ist, kann weder im öffentlichen Dienst noch in leitenden Stellen im wirtschaftlichen und kulturellen Leben tätig sein. Er verliert das Recht, zu wählen und gewählt zu werden." Der Artikel 7 betraf die Gleichberechtigung von Mann und Frau, und im Artikel 8 wurde festgelegt, dass die persönliche Freiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Postgeheimnis und das Recht gewährleistet sind, sich an einem beliebigen Ort niederzulassen. "Die Staatsgewalt kann diese Freiheiten nur auf Grund der für alle Bürger geltenden Gesetze einschränken oder entziehen."

Das hörte sich gut an, wurde vielfach aber nicht beachtet, wie die vielen Strafverfolgungen und die Eingriffe in die persönliche Freiheit und Freizügigkeit der DDR-Bewohner schon in der Frühzeit des Arbeiter-und-Bauern-Staates, wie er sich selber bezeichnete, zeigte. Da weitere Strafgesetze erlassen wurden, diente der Artikel 6 nur noch als allgemeine Vorschrift zu deren Ausgestaltung. Erst 1964 entfiel der Begriff "Boykotthetze". Statt dessen wurden staatsfeindliche Hetze, Spionage und Terror mit hohen Zuchthausstrafe und in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft. Offiziell schaffte die DDR die Todesstrafe erst 1987 ab. Die letzte Exekution fand am 26. Juni 1981 statt, als der Stasi-Hauptmann Werner Teske wegen "begangener, vollendeter und vorbereiteter Spionage besonders schweren Falls in Tateinheit mit Fahnenflucht in schwerem Fall" in der Strafvollzugsanstalt Leipzig durch "unerwarteten Nahschuss" hingerichtet wurde. Dank der "konsequenten Bestrafung von Nazi- und Kriegsverbrechen" in der DDR und der stabilen sozialen Lage seien die "historischen Erfordernisse" für die Todesstrafe entfallen, hieß es damals.

Schon kleinste Verstöße gegen die dehnbare Strafbestimmung konnten hart geahndet werden. Das galt auch für die Herstellung, den Besitz und die Verbreitung von so genannten Hetzschriften und die Verleumdung und Verächtlichmachung des Staates und einzelner seiner Bürger. Schon harmlose Witze über die so genannten führenden Persönlichkeiten sowie der Aufruf, sich "gesellschaftlicher Arbeit" zu verweigern und den von "oben" angeordneten Demonstrationen fernzubleiben, konnte zur Verhaftung und Verurteilung führen. Hingegen war massive Hetze gegen die Bundesrepublik und ihre Politiker und ganz allgemein gegen den kapitalistischen Westen von der Verfassung der DDR und ihrem Strafgesetzen gedeckt, weil sie dem Klassenfeind galt. Wer jedoch mit westlichem Propagandamaterial oder wegen des Weitererzählens von Informationen aus dem Westberliner Sender Rias erwischt und/oder angezeigt wurde, kam vor Gericht und war, wenn er aus dem Zuchthaus entlassen wurde, für den sozialistischen Staat erledigt. Die so genannte staatsfeindliche Verbindungsaufnahme zu westlichen Journalisten war ebenso verboten wie die Sammlung von frei zugänglichen Informationen und Dokumenten, denn Staat und Staatspartei ließen sich ungern an ihre unrealistischen Versprechen und Voraussagen erinnern.

Als Boykotthetze, ob offiziell in der Verfassung und den Gesetzen als Begriff existierend oder nicht, konnte alles und jedes ausgelegt werden. Selbst die eigentlich von der Partei immer wieder eingeforderte Kritik und Selbstkritik durfte nur vorsichtig und verklausuliert vorgebracht werden. Nach dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU, 1956) hat man auch in der DDR nachgefragt, wie die vom Parteichef Nikita Chruschtschow vorgetragene Kritik an den Verbrechen des 1953 verstorbenen sowjetischen Diktators Stalin zu bewerten seien und wie der "Genosse Gott" nach den Moskauer Enthüllungen einzuschätzen sei. Statt sich einer kritischen Bestandsaufnahme zu unterziehen, gab SED-Chef Walter Ulbricht die Parole aus, Stalin sei nicht mehr den Klassikern des Marxismus-Leninismus zuzurechnen. Auswüchse wie den um Stalin entfalteten Personenkult und schon gar keine Rechtsbeugung habe es in der DDR nicht gegeben und werde es auch nicht geben, behauptete der Oberstalinist Ulbricht. Bis zu seiner Entmachtung kurz vor dem VIII. Parteitag der SED im Jahr 1971 durch seinen "Ziehsohn" Erich Honecker hatte er genau diesen Kult um seine Person gepflegte und jede Kritik an ihm unterdrückt, weshalb es in den von der Partei "angeleiteten" Medien niemals vorkam.

Dessen ungeachtet gab es Widerstand gegen die Unbeweglichkeit und Ignoranz von Ulbricht und seiner Clique sowie die Forderung nach Demokratisierung des Arbeiter-und-Bauern-Staates, die diese Bezeichnung tatsächlich rechtfertigt. Eine Gruppe um den Verleger Walter Janka und den Philosophen Wolfgang Harich verfasste im November 1956, drei Jahre nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953, ein Programm zur Demokratisierung der Gesellschaft in der DDR. Als die "Umtriebe" der Abweichler und Reformkommunisten bekannt wurden, kamen Janka und seine Freunde ins Gefängnis. So genante Gruppenbildung war das schlimmste, was jemand vorgeworfen werden konnte. Janka wurde am 6. Dezember 1956 mit dem Vorwurf verhaftet, an einer konterrevolutionären Verschwörung beteiligt gewesen zu sein, weshalb das Gericht ihn wegen Boykotthetze zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilte und zusätzlich noch verschärfte Einzelhaft anordnete. Was der Dissident und seine Freunde wollten, wurde in den DDR-Medien nicht thematisiert. Die Angeklagten galten als Staatsfeinde, Verräter und Anführer einer Bande, die im Interesse und auf Weisung des, wie es hieß, westdeutschen Imperialismus einen "anderen Sozialismus" anstrebten.

Walter Janka verbüßte seine Strafe im Zuchthaus Berlin-Lichtenberg und ab 1958 im Zuchthaus Bautzen II, genannt das Gelbe Elend, wo er schwer erkrankte. Über sich schrieb er im Rückblick: "Wieder musste Janka an die Jahre der Nazizeit denken. Immer beginnt es damit, die Köpfe zu verunstalten"- also die Haare abzuschneiden. Als man ihm die Instandsetzung der Heizung in seiner Zelle verweigerte, war das wie damals, als Janka in den dreißiger Jahren bei den Nazis in Bautzen gesessen hatte. Damals in der großen Haftanstalt. Am Rande der Stadt. Die Einwohner von Bautzen nennen sie ‚das gelbe Elend', weil alle Gebäude aus gelben Klinkersteinen gemauert sind." Am 23. Dezember 1960 wurde Janka auf Grund internationaler Proteste vorzeitig aus der Haft entlassen. Nach anfänglicher Arbeitslosigkeit durfte der Parteikritiker als Dramaturg bei der DEFA arbeiten. 1972 hat man ihn wieder als Verfolgten des Naziregimes anerkannt und wieder in die SED aufgenommen und 1989, kurz vor dem Ende des SED-Regimes, sogar mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet. Das Oberste Gericht der DDR hob Anfang 1990 das 1957 gegen ihn ausgesprochene Urteil auf, vier Jahre später war der in Kleinmachnow lebende Janka gestorben.

Zurück nach Bautzen. Dort befanden sich im Oktober 1989, als die Macht der SED schon ins Rutschen kam und Partei- und Staatschef seiner Posten enthoben war, noch 2.100 Menschen im Zuchthaus Bautzen, darunter viele "Politische" und Republikflüchtlinge. Der Häftlingsalltag war hier im Sinne von Abschreckung besonders hart und menschenverachtend gestaltet. 1992 wurde die Haftanstalt Bautzen II aufgrund ihrer besonderen Bedeutung als Ort politischer Unterdrückung geschlossen. Vor allem der Initiative und der Hartnäckigkeit ehemaliger Bautzen-Häftlinge ist die Einrichtung der Gedenkstätte zu verdanken. 1991 stellte die CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages den Antrag auf Einrichtung einer Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und Sozialismus in der JVA Bautzen. Die Gedenkstätte in der MfS-Sonderhaftanstalt Bautzen II sollte sowohl als Ort des Gedenkens als auch als Museum und Begegnungsstätte dienen. Nach ihrer Gründung im Februar 1994 übernahm die Stiftung Sächsische Gedenkstätten den Auf- und Ausbau des Gedenkortes. Da das Konzept ausdrücklich auch die Erinnerung an die Opfer der NS-Diktatur einschließt, wird in Bautzen die Geschichte von drei unterschiedlichen Haftanstalten aufgearbeitet und dokumentiert, nämlich die Periode zwischen 1933 und 1945, sowie die Zeit, als hier die sowjetische Besatzungsmacht das Kommando über ein so genantes Speziallager hatte, sowie den langen Abschnitt während der DDR-Zeit, als hier Regimekritiker und andere politische Häftlinge einsaßen.

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"