Chancen gründlich vertan

Im Mai 1932 trat Reichskanzler Heinrich Brüning zurück, und sein Nachfolger Franz von Papen machte den Weg für Hitler frei



Viele Deutsche machten sich über das "Weimarer System" lustig, andere legten die
Lunte an und taten alles, um alte herrliche Zeiten zurück zu erobern.




Der Gegensatz zwischen oben und unten, reich und arm blieb auch in der Weimarer
Republik bestehen und hat viele in prekären Verhältnissen lebende Menschen
radikalisiert und auf die Straßen gebracht.




Noch nie war die Lage so unübersichtlich, so angespannt wie in der Zeit vor der
Errichtung der NS-Diktatur. Statt dass sich die Arbeiterparteien KPD und SPD
gegen die rechte Gefahr verbünden, vergeudeten sie Kraft und
Zeit durch Grabenkämpfe, die nur den Feinden der Republik nutzten.






Am Potsdamer Platz in Berlin und anderen Orten sowie Litfaßsäulen wurde 1932
aggressiv Wahlwerbung für Hitler und Hindenburg gemacht. Der wiedergewählte
Reichspräsident Paul von Hindenburg ernannte Hitler am 30. Januar 1933
zum Reichskanzler. (Repros: Caspar)

Vor ein paar Jahren wurde angesichts unsicherer Probleme in unserem Land an den früheren Reichskanzler Heinrich Brüning und die chaotischen Zustände kurz vor der Errichtung der Nazidiktatur erinnert. Man sah wie schon 1932 sechs Millionen Arbeitslose auf den Straßen und lange Schlangen vor den Suppenküchen, und es war von allgemeiner Verelendung und einem Generalstreik die Rede. Bürgerkriegsähnliche Zustände wurden an die Wand gemalt wie zu jener Zeit, als der Zentrumspolitiker Heinrich Brüning das Deutsche Reich nur noch mit Notverordnungen regierte und der Reichstag entmachtet war.

Alles Unsinn, kommentierten Politiker und Historiker solche Vergleiche. Weder sei der Bundestag ausgeschaltet noch bestehe die Gefahr, dass die Demokratie ausgehebelt wird, und schon gar nicht stünden rechtsextreme Demagogen von der Art eines Adolf Hitler oder Joseph Goebbels vor der Tür, um die Macht zu ergreifen. Die so sprechen, verweisen auf gesunkene Arbeitslosenzahlen und einen relativen Wohlstand des Gros der Deutschen. Dass sich rechtsradikale Kräfte formieren, in die Parlamente streben, ja dort auch schon Fuß gefasst haben, dass neonazistischer Mob mit Parolen wie "Deutschland den Deutschen" und "Ausländer raus" die Straßen stürmt und bedeutenden Zulauf hat, ja dass viele Leute Angst haben, abends vor die Tür zu gehen, gehört unstreitbar zum Bild dieser sich so freiheitlich-demokratisch gebenden Republik.

Regieren mit Notverordnungen

Als der aus den christlichen Gewerkschaften kommende Brüning Ende März 1930 zum Reichskanzler ernannt wurde, bildete er eine bürgerliche Minderheitenregierung, die vom Wohlwollen des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg abhängig war. Sie verkündete als wichtigste Ziele die Minderung der noch ausstehenden deutschen Reparationsleistungen an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs, den Abbau der hohen Arbeitslosigkeit und die Sanierung des Staatshaushalts. Das Konsolidierungsprogramm fand nicht die nötige Mehrheit im Reichstag, und so löste Brüning diesen auf und regierte unter Bezug auf den Artikel 48 der Reichsverfassung von 1919 mit Notverordnungen.

Bei der Neuwahl des Reichstags im September 1930 erzielte die Nazipartei einen erstaunlichen Zugewinn und schickte 107 Abgeordnete in das oberste deutsche Parlament. Das war ein bedeutender Sieg für die Partei der extremen Rechten, die bereits in verschiedenen deutschen Landesparlamenten und Landesregierungen vertreten war und massiv gegen das "System von Weimar" mobil machte. An den Nazis führte kein Weg vorbei, doch statt sich auf die Stärkung der Demokratie zu konzentrieren, bekämpften sich Kommunisten und Sozialdemokraten einander in den Parlamenten und auf der Straße, bezeichneten sich gegenseitig als Sozialfaschisten beziehungsweise rot lackierte Faschisten und ignorierten, was sich tatsächlich im Lande zusammenbraut.

Entschlossen, die Republik nicht durch einen Putsch wie den in München am 8. November 1923 sondern auf parlamentarischem Weg zu erobern, aber auch durch gewaltsame Aktionen auf der Straße sturmreif zu schießen, setzten Hitler und seine Leute auf die Unterstützung der Großindustrie, des Militärs und des Großgrundbesitzes, also auf Gruppen, denen der Parlamentarismus gegen den Strich ging. Von allen Seiten aufs Übelste verleumdet und attackiert, gelang es dem "Hungerkanzler" Brüning nicht, das Land politisch und wirtschaftlich zu stabilisieren. Arbeitslosigkeit und Verelendung nahmen ungekannte Ausmaße, alle Reformversuche stießen ins Leere. Unter diesen Umständen war es Brüning unmöglich zu regieren. Das von ihm veranlasste Verbot der braunen Terrortruppen SA und SS waren der Auslöser dafür, dass Hindenburg ihm das Vertrauen entzog.

Kabinett der Barone

Mit seinem Rücktritt am 30. Mai 1932 machte der Brüning Platz für das von Franz von Papen geführte "Kabinett der Barone", das streng deutschnational ausgerichtet war und ebenfalls ohne parlamentarischen Rückhalt regierte. Vom Reichspräsidenten und ehemaligen kaiserlichen Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und seiner Camarilla gedeckt, stellte Papen insgeheim die Weichen für Hitlers "Machtergreifung" und wurde am 30. Januar 1933 mit einem Kabinettsposten belohnt.

Mit tödlicher Konsequenz wurde 1932/3 die Chance vertan, das Reich vor der Katastrophe zu bewahren. Viele Deutsche hatten mit der nach der Abschaffung der Monarchie im November 1918 gegründeten Republik nicht viel im Sinn. Aufrufe und Warnungen weitsichtiger Vertreter der politischen Klasse sowie des Geistes- und Kulturlebens verhallten ungehört. Von den Medien und an den Stammtischen wurden Politiker vom Schlage eines Brüning für Verelendung und die Erfüllung der als erniedrigend empfundenen Bestimmungen des Versailler Vertrags verantwortlich gemacht. Die Sehnsucht nach Ruhm, Ehre sowie und alter Kaiserherrlichkeit war so ausgeprägt, dass die Zeichen an der Wand nicht verstanden wurden.

Die Aktionseinheit der KPD und SPD gegen Hitler, der die Brechung der "jüdisch-imperialistischen Zinsknechtschaft" und den Aufstieg der Deutschen zu neuer Größe immer wieder versprach, kam erst zustande, als es zu spät war. Antifaschisten und andere Oppositionelle konnten nach dem 30. Januar 1933 nur noch im Untergrund für die Beseitigung der Naziherrschaft kämpfen, sofern sie nicht gleich verhaftet und/oder ermordet wurden. Als die Nazidiktatur errichtet wurde, empfand das ein großer Teil der Bevölkerung, der chaotischen Zustände überdrüssig und auf wirtschaftlichen Aufschwung hoffend, als Akt der Befreiung. Heinrich Brüning war in der NS-Zeit eine Unperson. Der gescheiterte Politiker ging in den Untergrund und emigrierte nach einigen Zwischenstationen in die USA, wo er an der Harvard University Verwaltungswissenschaften lehrte. Ein Comeback als Politiker war ihm nach dem Ende der Naziherrschaft und dem Zweiten Weltkrieg nicht möglich. In den frühen fünfziger Jahren lehrte er als Professor für politische Wissenschaften in Köln, um dann in die USA zurückzugehen, wo er am 30. März 1970 starb.

28. September 2016

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