Unternehmen Mondscheinsonate

Als Hitler 1940 die englische Industriestadt Coventry bombardieren ließ, erfolgte die Antwort prompt und blutig



Premierminister Winston Churchill wusste seine schwer geprüften
Landsleute hinter sich, als er ihnen Blut, Schweiß und Tränen im
Kampf gegen Nazideutschland ankündigte. Die Bronzebüste steht
auf der Prager Kleinseite unterhalb des Hradschin.




Propagandaminister Goebbels erfand das Wort "coventrieren"
für seinen Hass- und Durchhaltereden. Die Karikatur von 1942
zeigt den Obernazi darüber nachdenkend, wie er die Kölner
Bombentrümmer wegdiskutieren kann. (Foto/Repro: Caspar)

Mit der Bombardierung der mittelenglischen Industriestadt Coventry mit etwa 230 000 Einwohnern durch deutsche Flugzeuge in der Nacht vom 14. zum 15. November 1940 begann die systematische Zerstörung von Städten und Industriebetrieben aus der Luft. Die von Propagandaminister Joseph Goebbels gesteuerten deutschen Medien jubelten und behaupteten, der zehnstündige Angriff mit dem zynischen Decknamen "Unternehmen Mondscheinsonate" sei die einzig richtige Antwort auf die Weigerung des britischen Premierministers Winston Churchill, sich auf Friedensverhandlungen mit dem Großdeutschen Reich einzulassen. Angeblich seien nur militärische Ziele getroffen worden, und der Angriff sei nichts als Vergeltung, denn die Briten hätten mit den Bombardierungen begonnen. Deshalb sei es nur richtig, es ihnen mit gleicher Münze heimzuzahlen. Von nun an würden "pausenlose Vergeltungsangriffe" auf London und andere Städte geflogen, bis Winston Churchill, der "größte Kriegstreiber aller Zeiten" einlenkt, so Goebbels und weitere Nazifunktionäre.

Angeblich soll der britische Premierminister von einem Angriff gewusst, doch nichts unternommen haben, um nicht zu verraten, dass das britische Militär den deutschen Funk-Code kennt. Zwar hatten britische Nachrichtenleute die mit der Verschlüsselungsmaschine Enigma verschickten deutschen Funksprüche gekannt, die auf einen nächtlichen Großangriff deuteten. Doch welches Ziel er haben würde, war nicht klar. Deshalb hat man in Coventry auch keine Vorkehrungen unternommen, um die Bevölkerung in Sicherheit zu bringen.

Von dem Angriff auf Coventry und andere britische Städte versprachen sich Hitler und seine Generale, die bereits Polen und halb West- und Nordeuropa erobert hatten und sich auf den Überfall auf die Sowjetunion vorbereiteten, die Errichtung der Luftherrschaft über Südengland mit dem Ziel, die Insel zu erobern. Doch so schlau das "Unternehmen Seelöwe" von den Deutschen auch geplant war, die Invasion gelang nicht. Churchill, der seinen Landsleuten harte Zeiten mit "Blut, Schweiß und Tränen" angekündigt hatte und die Mehrheit der Briten auf seiner Seite wusste, lehnte jeden Kompromiss ab und stand alle Bedrohungen durch. Er konnte dies tun, weil England durch die USA gegen die Weltherrschaftspläne des Deutschen Reichs unterstützt wurde.

Die Naziführung rechnete nicht damit, dass die Royal Air Force schon bald norddeutsche Städte, darunter als erste Mannheim, Lübeck, Rostock, Köln und Hamburg sowie Berlin bombardieren und ihre Angriffe erst unmittelbar vor Kriegsende einstellen wird. Wenn jemand die Lufthoheit besaß, dann waren es die Briten und, nach der Kriegserklärung des Deutschen Reiches an die USA am 11. Dezember 1941, die Amerikaner. Zu den letzten Städten, die von dem erbarmungslosen, auf die Zermürbung der Deutschen abzielenden Luftkrieg betroffen waren, gehörten Dresden (13. Februar 1945), Berlin (26. Februar 1945 und mehrfach davor), Bielefeld (14. März 1945), Würzburg (16. März 1945) und Potsdam (14. April 1945).

Bei dem verheerenden Bombenangriff auf das dicht bewohnte Zentrum von Coventry waren rund 550 Flugzeuge im Einsatz. Es wurden 500 Tonnen Sprengstoff und 56 Tonnen Brandbomben abgeworfen, die verheerende Zerstörungen anrichteten. Zwischen 500 und 600 Menschen kamen ums Leben, tausende wurden verletzt, und es wurden etwa 70 000 Wohnungen, die dort befindlichen Flugzeugmotorenwerke sowie kleinere Rüstungsbetriebe zerstört. In Trümmern sank auch die altehrwürdige St.-Michael-Kathedrale, das Wahrzeichen der aus dem Mittelalter stammenden Stadt. Zwar lagen Teile der in Coventry befindlichen Industriebetriebe in Schutt und Asche, doch schon bald wurden die Reste der Rüstungsindustrie ins Umland ausgelagert sowie durch neue Anlagen ergänzt. Nach gut einem Monat war die Kapazität der Fabriken wieder erreicht. Coventry wurde zum Symbol eines von beiden Seiten erbarmungslos geführten Luftkrieges, der keinen Unterschied zwischen Zivilisten und Militärs macht und nur das einzige Ziel kennt, Angst und Schrecken zu verbreiten und die Bevölkerung zum Aufgeben zu bewegen. Wie das geht, hatte 1937 die deutsche Legion Condor bereits im Spanischen Bürgerkrieg durch die Bombardierung der baskischen Stadt Guernica mit vielen hundert Toten exerziert.

Im Überschwang des blutigen Erfolgs vom 14. November 1940 prägte Propagandaminister Joseph Goebbels den Begriff "coventrieren" für solche Angriffe, und Hitler drohte, er werde eine britische Stadt nach der anderen ausradieren. Der für die deutsche Luftwaffe zuständige Reichsmarschall Hermann Göring war unvorsichtig zu sagen, er möchte "Meier" heißen, wenn je ein britisches Flugzeug über Deutschland auftauchen sollte. Wer ihn später beim Wort nahm und ihn "Hermann Meier" nannte, kam wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung ins Zuchthaus oder Konzentrationslager oder verlor seinen Kopf.

In seinem bald nach dem Krieg veröffentlichten Buch LTI (Lingua tertii imperii, Die Sprache des Dritten Reiches) erinnerte der Dresdner Sprachwissenschaftler Victor Klemperer, der als Jude unter die faschistischen Rassengesetze fiel und seine Arbeit verlor, jedoch wie durch ein Wunder die Nazizeit und den Krieg überstand, auch an den Bombenangriff auf Coventry und dem was folgte. ",Ausradieren' und ,Meier heißen': knapper und vollständiger zugleich haben sich der Führer und sein Reichsmarschall niemals charakterisiert, der eine in seinem Wesen als größenwahnsinniger Verbrecher, der andere in seiner Rolle als Volkskomiker. Man soll nicht prophezeien; aber ich glaube, ,ausradieren' und ,Meier" bleiben".

Die Luftschlacht um England zwischen August 1940 und März 1941 ging für das Deutsche Reich gründlich verloren, unzählige Flugzeuge wurden von den Briten abgeschossen, und wer von den Besatzungen überlebte, geriet in Kriegsgefangenschaft. An Personalmangel litt die Royal Air Force nicht. Ihr Personal war hoch motiviert und setzte sich aus Briten und anderen Bewohnern des Commonwealth sowie aus Piloten zusammen, die nach Kriegsbeginn am 1. September 1939 aus Deutschland und den von ihm besetzten Gebieten geflohen war. Dass das "Unternehmen Seelöwe" keinen Erfolg hatte und England zum Friedensschluss nicht bereit war, empfanden Hitler und seine Generale als Schlappe. Die NS-Propaganda nahm offiziell davon keine Kenntnis und begründete den als "Unternehmen Barbarossa" geplanten Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 als Freiheitskampf gegen die "jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung".

Ungeachtet der großen Zerstörungen drang aus Coventry schon zu Weihnachten 1940 über die britische BBC der Ruf zur Versöhnung und zur Überwindung von Hass- und Rachegedanken. Dieser der christlichen Nächstenliebe verpflichtete Appell führte nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der Naziherrschaft zur Partnerschaft zwischen Coventry und Dresden und zu freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden durch mörderische Luftangriffe schwer getroffene Städte. Nach dem Angriff wurde aus Zimmermannsnägeln, die die mittelalterlichen Deckenbalken der Kathedrale von Coventry zusammengehalten hatten, ein Nagelkreuz geschmiedet. Es steht heute als Zeichen der Versöhnung und des Friedens auf dem Altar der neuen Kathedrale. Weitere Eisenkreuze dieser Art befinden sich weltweit in über 160 Kirchengemeinden, die auf diese Weise eine Nagelkreuzgemeinschaft bilden. Auch in der wieder aufgebauten Frauenkirche in Dresden ist auf dem Altar ein solches Symbol aufgerichtet.



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