Großbeeren hielt den Kaiser auf

Ein riesiger Turm erinnert an die französische Niederlage im August 1813 vor den Toren Berlins



Zerlumpt, krank, erschöpft kehrten die Überlebenden der
Grande armée im Winter 1812/13 in die Heimat zurück.




Das Volk dankt König Friedrich Wilhelm III. für den "Aufruf
an Mein Volk". Grafik im Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts.




Der König von Preußen verband seinen Aufruf mit der Information,
dass er mit Zar Alexander I. ein Militärbündnis abgeschlossen hat.




Auf einer Verkehrsinsel mitten in Großbeeren erhebt sich ein
1913 zur Hundertjahrfeier der Schlacht vor den Toren Berlins
eingeweihter Gedenkturm, der 32 Meter hoch ist und auch die
Leistungen der preußischen Landsturmmänner würdigt.



"Hier zeigt die Zeit im Schattenspiel: / Napoleon den Großen; /
Wie er von seiner Höhe fiel, / In Nesseln, mit dem Bloßen",
verspottet die Karikatur von 1813 den tiefen Fall, den der
Kaiser der Franzosen erleiden musste. (Foto/Repros: Caspar)

Napoleon I. musste im Winter 1812 mit seiner Grande Armée und ihren Hilfstruppen in Russland eine herbe Niederlage hinnehmen. Während der Kaiser, gegen die Kälte durch dicke Pelze geschützt, nach Frankreich floh, versuchten seine Soldaten, sich durch den eiskalten russischen Winter nach Hause zu kämpfen. Ein in Paris veröffentlichtes Bulletin verkündete, Seine Majestät erfreue sich bester Gesundheit. Unzählige Soldaten und Offiziere erreichten, wie ihr Kaiser aus dem eisigen Russland fliehend, nicht mehr die Heimat oder trugen lebenslange Verletzungen davon. Durch Berlin zogen jammervolle Gestalten. "Man sah keine Kanonen, keinen Zug Kavallerie - nur elende, von den grässlichsten Wunden entstellte Krüppel, denen Hände, Arme, Füße fehlten oder durch den Frost gänzlich zerstört waren", beschrieb ein Zeitzeuge das sich den Berlinern bietende "Bild des unerhörten Grauens". Laut und lauter wurde die Forderung, dass sich Preußens König Friedrich Wilhelm III. zum Krieg gegen die Franzosen aufraffen möge.

Das russische Desaster bekümmerte Napoleon I. wenig. Er rekrutierte neue Kräfte im eigenen Land und zwang seine Verbündeten, ihm weitere "Hilfsvölker" zur Verfügung zu stellen. Doch es regte sich Widerstand. Am 30. Dezember 1812 schlossen die bis dahin mit Frankreich verbündeten preußischen Truppen auf der einen Seite und russische Truppen auf der anderen mit der Konvention von Tauroggen einen Waffenstillstand. Friedrich Wilhelm III. wurde erst nachträglich um Erlaubnis für diesen spektakulären Schritt gebeten und war entsetzt. Den an dem Coup beteiligten preußischen General Johann David Ludwig Yorck beschuldigte er des Hochverrats. "Jetzt oder nie ist der Moment, Freiheit, Unabhängigkeit und Größe wiederzuerlangen. Ich schwöre Ew. Königlichen Majestät, dass ich auf dem Sandhaufen ebenso ruhig wie auf dem Schlachtfelde, auf dem ich grau geworden bin, die Kugel erwarten werde", erklärte Yorck seinem ängstlichen Oberbefehlshaber, der sich um gut Wetter mit dem übermächtigen Franzosenkaiser mühte, doch sich, von seinen Ratgebern gedrängt, eines Besseren besann und sich alsbald an die Spitze der Volksbewegung gegen die Franzosen stellte.

Nach dem verlorenen Krieg Preußens gegen Frankreich 1806 und dem Tilsiter Friedensschluss von 1807 hatte die Hohenzollernmonarchie für wenige Jahre nur noch die Größe eines Mittelstaates. Führende Politiker sorgten für die Reformierung des Landes ein und ebneten den Weg zu den Befreiungskriegen. Sie begannen offiziell durch den berühmten Aufruf "An Mein Volk", den Friedrich Wilhelm III. am 17. März 1813 in Breslau verkündet hatte. Mit dem dramatischen Appell betrat der König Neuland. Noch nie hatte sich ein Hohenzoller mit einem fast in bittendem Ton gehaltenen Aufruf an seine Untertanen gewandt. Denn bisher hieß es stets "Mund halten und Ordre parieren". Man kann sich vorstellen, dass dem König von Preußen solche Worte nicht leicht fielen: "Wir erlagen der Uebermacht Frankreichs. Der Friede, der die Hälfte Meiner Unterthanen mir entriß, gab uns seine Segnungen nicht; denn er schlug uns tiefere Wunden als selbst der Krieg. Das Mark des Landes ward ausgesogen, die Hauptfestungen bleiben vom Feinde besetzt, der Ackerbau ward gelähmt, sowie der sonst so hoch gebrachte Kunstfleiß unserer Städte. Die Freiheit des Handels ward gehemmt und dadurch die Quellen des Erwerbs und des Wohlstandes verstopft. Das Land ward ein Raub der Verarmung. Durch die strengste Erfüllung eingegangener Verbindlichkeiten hoffte Ich Meinem Volk Erleichterung zu bereiten, und den französischen Kaiser endlich überzeugen, daß es sein eigener Vortheil sey, Preußen seine Unabhängigkeit zu lassen. Aber Meine reinsten Absichten wurden durch Uebermuth und Treulosigkeit vereitelt, und nur zu deutlich sahen wir, daß des Kaisers Verträge mehr noch wie seine Kriege uns langsam verderben mußten."

Um Tapferkeit vor dem Feind und patriotischen Einsatz in der Heimat auszuzeichnen, stiftete der Preußenkönig am 10. März 1813, dem Geburtstag seiner 1810 verstorbenen Gemahlin Luise, das Eiserne Kreuz, mit dem auch einfache Soldaten und Zivilisten ausgezeichnet werden konnten. In Berlin und dem übrigen Hohenzollernreich bildeten sich Landwehreinheiten, die sich mit Unterstützung des zu Spenden ausgerufenen Volkes ausrüsten mussten. Ungeduldig warteten sie auf den Befehl zum Losschlagen, und schon bald hatten sie Gelegenheit, ihren Mut, den Mut der Verzweiflung, unter Beweis zu stellen. So schnell gedachte Napoleon I. einmal besetztes oder abhängiges Terrain nicht aufzugeben. Zwar war er im Russlandfeldzug von 1812 gescheitert, doch hatte er noch genügend Kraft, um die von ihm abhängigen Regionen zur Räson zu bringen. Der Kaiser bediente sich in den nun beginnenden Befreiungskriegen einiger treuer Vasallen. König Friedrich August I. von Sachsen stellte ihm "Hilfsvölker" und Geld zur Verfügung und wurde nach der verlorenen Völkerschlacht bei Leipzig am 18. Oktober 1813 als Gefangener ins Schloss Friedrichsfelde im heutigen Berliner Tierpark abgeführt. Von seinem Land fiel beim Wiener Kongress 1814/15 ein bedeutender Teil an Preußen, weshalb man die neuen Untertanen Beutepreußen nannte.

Es waren vor allem unzureichend ausgebildete, aber hoch motivierte preußische Landwehrmänner, die in der Schlacht von Großbeeren südlich von Berlin am 23. August 1813 den Vormarsch der Franzosen auf Berlin stoppten. Nicht auszudenken war, was geschehen wäre, wenn der Feind die Hauptstadt besetzt und den König gefangen genommen hätte. Mit Preußen wäre es aus gewesen, und die Geschichte hätte sich ganz anders entwickelt. Der Schlacht von Großbeeren vorausgegangen waren mit wechselndem Ausgang im Frühjahr und Sommer 1813 militärische Auseinandersetzungen zwischen französischen beziehungsweise preußischen und mit ihnen verbündete Truppen. Durch die Entscheidung von Großbeeren war der Plan der Franzosen gescheitert, Berlin zu erobern, den König von Preußen gefangen zu nehmen und so ein wichtiges Zentrum des Widerstands auszuschalten.

Die preußischen Generale Friedrich Wilhelm von Bülow und Bogislaw Friedrich Emanuel Tauentzien und ihre Truppen sowie die an der Schlacht beteiligten Russen und Schweden wussten, was auf dem Spiel steht. Beide Seiten schossen erbittert mit Kanonen aufeinander und zerstörten Großbeeren, doch entscheidend waren die Kämpfe mit aufgepflanzten Bajonetten Mann gegen Mann. Beide Seiten verzeichneten zusammen genommen 4000 Tote und Verwundete. Als die Nachricht von der französischen Niederlage Berlin erreichte, war der Jubel groß. In den folgenden Wochen konnten neue Versuche der Franzosen, zur preußischen Hauptstadt vorzustoßen, durch weitere preußische Siege abgewehrt werden.

Nach der Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 18. Oktober 1813 war es für Napoleon I. nur noch eine Frage der Zeit, dass er seine Herrschaft endgültig verlor. Die ihm 1814 von den Siegermächten zugewiesene Insel Elba im Mittelmeer reichte Europas ehemals mächtigsten Mann allerdings nicht aus, so dass er im Frühjahr 1815 nach Frankreich zurück kehrte und nach etlichen Schlachten endgültig und für allemal geschlagen wurde. Auf die ferne Insel Sankt Helena deportiert, starb der Gefangene der britischen Krone 1822 mit nur 52 Jahren. Nach den Befreiungskriegen ließen Friedrich Wilhelm III. und weitere Monarchen den Helden dieses Kampfes Denkmäler errichten.

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