Hugenotten waren nicht immer und überall willkommen
Museum im Französischen Dom am Gendarmenmarkt erzählt vom Schicksal der Refugiés aus Frankreich



Gaspard II. de Coligny war einer der Hugenottenführer und eines der ersten
Opfer der Bartholomäusnacht von 1572. Des Admirals wird im Hugenottenmuseum gedacht.




Der aus einer Hugenottenfamilie stammende Maler und Grafiker Daniel Chodowiecki
hat auf Kupferstichen die Aufnahme der Refugiés durch den Großen Kurfürsten
Friedrich Wilhelm und andere historische Begebenheiten dargestellt.



Kunstvolle Erzeugnisse von hugenottischen Manufakturen werden
in der Ausstellung im Französischen Dom gezeigt.



Eine Medaille aus dem Jahr 1785 feiert die Aufnahme von Hugenotten durch das
Edikt von Potsdam einhundert Jahre zuvor. (Fotos/Repro: Caspar)

Die Behauptung, dass die französischen Hugenotten, die auf Grund des 1685 vom brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm erlassenen Edikts von Potsdam nach Berlin und in die Mark Brandenburg kamen, überall von den Einheimischen mit offenen Armen aufgenommen wurden, stimmt nicht. Untersuchungen zeigen, dass das durch Historienbilder, Skulpturen und Erzählungen seit dem 18. Jahrhundert vermittelte Bild von herzlicher Eintracht trügt. Viele Legenden über die freundliche Aufnahme der Hugenotten stammen von diesen selbst und schönen die Tatsachen. Glaubensflüchtlinge brauchten Jahre und Jahrzehnte, bis sie in ihrer neuen Heimat Fuß fassten. Nur wenigen Auserwählten gelang der Sprung nach oben, und aus diesen Kreisen rekrutierten sich die Militärs, Manufakturisten, Maler und Schriftsteller, die die dann doch nicht so einfache und vielfach auch enttäuschende Aufnahme ihrer Vorfahren in der Fremde mit schönen Legenden versahen.

Einzelheiten über die Beweggründe der Glaubensflüchtlinge, sich unter den Schutz des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und seiner Nachfolger auf dem preußischen Thron beziehungsweise sich in andere Fürstentümer zu begeben, vermittelt das Hugenottenmuseum im Französischen Dom am Gendarmenmarkt. Vertreibungen aus religiösen Gründen, die Zerstörung ganzer Landstriche durch Kriege, die Hoffnung, anderswo eine neue Existenz aufbauen zu können, und weitere Motive spielten eine Rolle, dass sich Franzosen entschlossen, ihre Heimat zu verlassen und sich in ein ungewisses Schicksal zu begeben. Die Ausstellung verdeutlicht, dass die Zuwanderung in das römisch-deutsche Reich sowie in einzelne Fürstentümer und Reichsstädte eine lange Geschichte hat, die heute aktuell wie nie zuvor ist. Das 1935 gegründete Hugenottenmuseum zeigt im Sockelgeschoss des Französischen Doms Gemälde, Skulpturen, Stiche, Bücher, Handschriften, Urkunden, Textilien und Alltagsgegenstände sowie Erzeugnisse von Manufakturen, die die Zugewanderten in Berlin und Umgebung eingerichtet haben. Dazu gehören eine von ihnen gebaute Sänfte, mit denen man sich durch die Stadt gegen eine kleine Taxe tragen lassen konnte, kunstvoll gestaltete Uhren sowie Gold- und Silberschmiedearbeiten.

Menschen bilden den größten Reichtum eines Landes - diese Maxime war Motor einer erfolgreichen Ansiedlungspolitik, die die Hohenzollern nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) betrieben haben. Da das durch den bis dahin mörderischsten Krieg aller Zeiten stark geschwächte Kurbrandenburg zu den am dünnsten besiedelten Gebieten im römisch-deutschen Reich gehörte, richtete der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm sein Augenmerk vor allem auf gut ausgebildete und vermögende Fremde. Er nahm zunächst unter dem Einfluss seiner aus den Niederlanden stammenden Gemahlin Luise Henriette von Oranien zahlreiche Holländer auf, lud aber auch französische Hugenotten ein, sich in seinem Staat anzusiedeln. Das berühmte "Edikt von Potsdam" aus dem Jahr 1685, dessen Entstehung und Wirkung in der Ausstellung anhand von historischen Drucken und Stichen geschildert wird, versprach den vom französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. vertriebenen Hugenotten sicheren und freien Zutritt. Dieses geschah nicht nur, weil sich Friedrich Wilhelm der bedrängten Glaubensbrüder und -schwestern innerlich verpflichtet fühlte, sondern auch weil er sich ökonomische Vorteile versprach. Die erfolgreiche Ansiedlungspolitik wurde bis ins 18. Jahrhundert hinein fortgeführt. Sogar König Friedrich II., genannt der Große, warb noch Mitte des 18. Jahrhunderts Handwerker und Landwirte aus Böhmen und anderen von den katholischen Habsburgern beherrschten Ländern an und stattete sie mit vielfältigen Privilegien in der Hoffnung aus, mit ihrer Hilfe Bevölkerungsverluste und wirtschaftliche Folgen seiner vielen Kriege ausgleichen zu können.

Dank der Einwanderungspolitik des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und seiner Nachfolger kamen bis zu 20 000 Franzosen nach Berlin und in andere Städte der Kurmark. Ein französischer Diplomat berichtete um 1700, er habe Berlin "angefüllt mit Franzosen" gefunden. "Sie flüchteten in Massen hierher, angezogen von der günstigen Aufnahme, die der Kurfürst den ersten bereitet hatte. Jeden Tag sah man hier Kaufleute, Handwerker und Edelleute in Mengen eintreffen." Die Reformierten hatten ihr Land verlassen, weil sie nicht bereit waren, nach dem Willen des Sonnenkönigs in den Schoß der katholischen Kirche zurückzukehren. Sie waren schrecklichen Drangsalierungen durch dessen Soldaten ausgesetzt, ein Thema, das in der Hugenottenausstellung ausführlich in Bild und Schrift beleuchtet wird.

Größter Auftraggeber der weitgehend autonom in "Kolonien" lebenden französischen Kaufleute, Manufakturbesitzer, Soldaten, Künstler, Gelehrten, Lehrer und Dienstboten waren der kurfürstliche, ab 1701 königliche Hof und die Armee. In Berlin, dem wichtigsten Siedlungszentrum der Hugenotten, gab es Arbeit und Brot, hier wurden ihnen zu günstigen Bedingungen Grundstücke und Baumaterialien sowie Mittel zur Einrichtung von Handwerksbetrieben zur Verfügung gestellt. Das hat die Alteingesessenen wenig erfreut, die nicht in den Genuss solcher Vergünstigungen kamen. Vor 300 Jahren machte die französische Kolonie bereits ein Fünftel der Berliner Einwohnerschaft aus. Sie besaß eine eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit, dazu Kirchen, Schulen und Hospitäler. Bedürftigen Landsleuten, die man auch "verschämte Arme" nannte, wurden durch eigene Sozialsysteme über Wasser gehalten.

Bevorzugte Wohnorte der Refugiés waren die kurfürstlichen Neugründungen Dorotheenstadt und Friedrichstadt sowie wegen der kurzen Wege auch die Gegend um das Stadtschloss, das derzeit seine Wiedergeburt als Humboldt Forum erlebt. Direkten Zugang zur Herrscherfamilie hatten hugenottische Beamte und Militärs sowie Diplomaten, Lehrer, Erzieher, Künstler und Gelehrte. Sie prägten als das Leben und die Weltsicht der Spitzen des Staates bis ins 19. Jahrhundert hinein, und sie finden sich in der Ausstellung auf zahlreichen Porträts und Historiendarstellungen wieder.

Neben dem, was die Franzosen und all die anderen Glaubensflüchtlinge an materiellen Gütern mitbrachten, waren ihre technischen und künstlerischen Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten für die Entwicklung Brandenburg-Preußens von unschätzbarem Wert. Viele Gewerke wurden erst von ihnen eingeführt. So bietet die Ausstellung eine bunte Palette von Luxusgütern wie Gobelins, Silbergefäße und Waffen, die aus hugenottischen Manufakturen stammen. In den vom Staat finanziell durch garantierte Abnahmequoten und Schutzprivilegien geförderten Unternehmen perfektionierte man das Weben und Färben von Textilien, das Wirken von Strümpfen sowie die Verarbeitung von Gold- und Silberfäden für Borten und Tressen, die auch für die Armee bedeutsam waren. Wer auf sich hielt, ließ Haarersatz bei französischen Perückenmachern fertigen und gab seine Kinder in die Obhut französischer Gouvernanten und Lehrer. Selbstverständlich wurde auch die französische Küche an der Spree heimisch. Die wenig verwöhnten Märker fanden ziemlich schnell Geschmack an unbekanntem Gemüse wie Spargel und Blumenkohl und ließen sich auch neue Obstsorten munden.

Nicht zu übersehen ist, dass die Fremden von vielen Einheimischen nicht gerade mit offenen Armen empfangen wurden. Man hatte auf beiden Seiten Anpassungsprobleme und sah einander als Konkurrenten an. Neid und Missgunst bestimmten das Verhältnis, denn den Neuankömmlingen wurden Vorteile gewährt, die den Berlinern und Brandenburgern vorenthalten wurden. Dazu gehörten eine mehrjährige Steuerbefreiung und das Zugeständnis, dass die Hugenotten keine Soldaten bei sich aufnehmen müssen, denn Kasernen gab es damals noch nicht. Da die fremden Manufakturisten in vieler Hinsicht innovativer waren und schneller mit der Mode gingen als die Einheimischen, kam es unter den Konkurrenten zu Reibereien und sogar handgreiflichen Auseinandersetzungen. Schließlich gab es auch in Glaubensdingen zwischen den Lutherischen und den Reformierten Differenzen, und es soll sogar vorgekommen sein, dass von der Kanzel gegen die Refugiés gewettert wurde, und das obwohl von "oben" Toleranz in Glaubensfragen verordnet war. Solche Zwistigkeiten, die bei Leuten, welche auf engem Raum miteinander leben und arbeiten nicht ausbleiben, kamen natürlich dem Hof zu Ohren. Die Hohenzollern versuchten, mit einer Flut von Edikten die Wogen zu glätten, und wo das nicht fruchtete, wurden gelegentlich Soldaten losgeschickt, um Tumulte aufzulösen.

Alles in allem profitierten die Berliner und Märker von den Neuankömmlingen. Sie übernahmen mit der Zeit nicht nur deren technisches Know-how, sondern auch Umgangsformen und Elemente ihrer Sprache. In besseren Kreisen einschließlich der Herrscherfamilie parlierte man französisch, und das gemeine Volk integrierte aufschnappte Ausdrücke, so dass die Umgangssprache ein kurioses Gemisch von Berliner Mundart und französelnden Ausdrücken wurde. Da die Franzosen in einer nach außen abgeschlossenen Kolonie lebten, sahen viele von ihnen keine Notwendigkeit, deutsch zu lernen, ein Phänomen, das auch heute bei manchen, vor allem älteren Migranten zu beobachten ist. Weitsichtige Leute indes sahen schon damals in der Pflege der Zweisprachigkeit ein Mittel, sich im Alltag und am Arbeitsplatz zu behaupten.

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"