"Fühl in des Thrones Glanz, die hohle Wonnegans"

Warum die altehrwürdige Kaiserhymne in ein Spottlied gegen Wilhelm II. umgedichtet wurde



Man könnte ihn lieben, wenn er nur kein Preuße wäre, kommentiert der sprichwörtliche
Herr Huber 1906 einen Besuch Wilhelms II. in München.




In diesen Figuren könnte man durchaus den als Militär, Redner, Künstler und überhaupt
als Alleskönner posierenden Kaiser Wilhelm II. sehen.




Ob dieses satirische Schaubild zum 25jährigen Regierungsjubiläum von "Wilhelm dem
Plötzlichen" juristische Konsequenzen gefunden hat, ist nicht bekannt.




Das alte Europa gibt auf dieser Karikatur dem kleinen Willy Ratschläge,
doch sieht es aus, als ob er sie ignoriert. (Repros: Caspar)

Vor fast einhundert Jahren ging im Deutschen Reich die Monarchie unter, Kaiser, Könige und andere Fürsten büßten nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg im Verlauf der Novemberrevolution von 1918 ihre Kronen ein. Deutschland wurde Republik und hatte mit den Folgen dieser Katastrophe zu kämpfen, während es sich die Verursacher und Kriegsgewinnler gut gehen ließen. Kaiser Wilhelm II. trauerte im holländischen Exil herrlichen Zeiten nach. Auf den Straßen sangen die Leute Spottlieder, in Karikaturen wurde der ruhmlose Abgang des Monarchen aufs Korn genommen.

Als der deutsche Kaiser und preußische König noch fest im Sattel saß, war er per Gesetz vor Kritik geschützt. Man musste sie vorsichtig vortragen, wollte man nicht des Majestätsverbrechens angeklagt werden und ins Gefängnis kommen. Einen Ausweg gab es, indem man den Reichskanzler und andere Vertraute des Monarchen anging oder sich an der kaiserlichen Kunstförderung und den protzigen Staatsbauten rieb. Hin und wieder wurde mit kritischem Unterton über die spektakulären Auftritte des Herrschers berichtet, und in den Satireblättern tauchten Gestalten auf, die entfernt dem sich im Glanze seiner Uniformen spreizenden Kaiser ähnelten.

Da Wilhelm II. und seine fürstlichen Standesgenossen persönlich über Kritik erhaben waren und die Gerichte peinlich darauf achteten, dass das auch so blieb, mussten Journalisten, Schriftsteller und Zeichner bei ihrer Kritik vorsichtig sein. Immer wieder haben sie versucht, am Image des Reichsoberhaupts zu kratzen, und manchmal wurden die Verfasser und Zeichner ins Gefängnis gesteckt und freche Journale eine Zeitlang verboten. Das passierte dem Münchner Satireblatt "Simplizissimus" mehrfach, und jedes Mal steigerte die öffentliche Aufmerksamkeit die Auflage der Zeitschrift.

Widerlicher Byzantinismus am Berliner Hof

Gründe, sich über den Kaiser zu ereifern, fanden sich immer. Denn im Vollgefühl seiner Macht und Unantastbarkeit, aber wohl auch weil Diplomatie und Geschmeidigkeit nicht seine Sache war, nahm der Monarch kein Blatt vor den Mund und provozierte seine Untertanen, aber auch das Ausland mit verbalem Säbelrasseln und kriegerischen Sprüchen. Jedoch erwiesen sich viele Ankündigungen und Drohgebärden als hohles Geschwätz, denn Wilhelm II., der 1888 den Thron bestiegen hatte, war kein absolut herrschender Mann wie seine Vorfahren, sondern musste Rücksicht auf die Reichsverfassung, den Reichstag und dann und wann auch auf Volkes Meinung nehmen.

Der am Hofe Wilhelms II. in Berlin und Potsdam gepflegte Umgangston, namentlich die kritiklose, liebedienerische Unterwerfung von Schranzen, Militärs, Künstlern, Poeten, Geschichtsschreibern, Journalisten und anderen Personen unter den absoluten Willen des Monarchen, wurde von dessen Gegnern mit dem Begriff Byzantinismus umschrieben. Dies geschah in Anlehnung an das starre, bis ins Letzte ausgefeilte Hofprotokoll, das in nachchristlicher Zeit bei den in Byzanz residierenden oströmischen Kaisern gepflegt wurde. Dieses Gebaren erlaubte keinen Spielraum für Kreativität und schnelles Reagieren auf ungeplante Ereignisse und Gefahren. Auch in anderen Machtzentren trieb der Byzantinismus durch kriecherisches und schmeichlerisches Verhalten seltsame Blüten, denken wir an das, was sich im Umkreis des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. (reg. 1643-1715) oder um die Person des überall Feinde witternden sowjetischen Diktators Josef Stalin (1879-1953) oder seiner ostdeutschen auf Kritik überaus empfindlich reagierenden Amtskollegen Walter Ulbricht (1893-1973) und Erich Honecker (1912-1994) abspielte.

Um Kaiser Wilhelm II. ungeachtet aller Sanktionsandrohungen etwas am Zeug zu flicken und seine Existenz kritisch zu hinterfragen, wurde die schon 1795 in Berlin gesungene, dann aber nach der Reichseinigung von 1871 auf Wilhelm I., den Sieger der drei Einigungskriege von 1864, 1866 und 1870/71, gemünzte Kaiserhymne umgedichtet. Das laut gedrucktem Notenblatt mit "frischem Schwung" zu singende Lied beginnt mit diesen Worten: "Heil dir im Siegerkranz, / Herrscher des Vaterlands! / Heil, Kaiser, dir! / Fühl in des Thrones Glanz / Die hohe Wonne ganz, / Liebling des Volks zu sein! / Heil Kaiser, dir!" Sie beschreibt weiter, dass die Liebe des Vaterlandes und die Liebe des freien Mannes den Herrscherthron "wie Fels im Meer" gründen. Die Hymne endet mit dem Wunsch, Kaiser Wilhelm möge lange seines Volkes Zier und Stolz der Menschheit sein.

Hoffnung auf Rückkehr auf den Thron

Die Zeile, in denen die "hohe Wonne ganz" beschrieben wird, die der kaiserliche Volksliebling auf seinem Thron fühlt, hatte es in sich, denn Spötter machten daraus eine "hohle Wonnegans", und so erhielt Wilhelm II. neben den Spottnamen Reisekaiser und Wilhelm der Eroberer, Denkmalwilly wegen der vielen Denkmäler, die er in Auftrag gegeben und eingeweiht hat, und Wilhelm der Plötzliche aufgrund seiner unkalkulierbaren Eskapaden den wenig schmeichelhaften Titel "kaiserliche Wonnegans". Ob der Monarch davon erfuhr, ist nicht bekannt. Wir wissen nur, dass man am Hof in Berlin und Potsdam alles tat, dass dem hohen Herr solche Schmähungen nicht zu Ohren oder vor die Augen kamen.

Als er entmachtet war, mag das eine oder andere zu ihm ins Exil gelangt sein. Tief beleidigt und auf Rache sinnend, betrieb die "Wonnegans" seinen Rückflug auf den Thron, doch ließen sich die Dinge nicht mehr ändern. Anbiederungen des Ex-Kaisers an die Nazis nach 1933 hatten keinen Erfolg, denn Hitler ließ sich von den Hohenzollern und Vertretern anderer Herrscherhäusern nicht beeindrucken und auch nichts vorschreiben. Als Ex-Kaiser Wilhelm II. 1941 in holländischen Doorn starb, schickte der "Führer" einen Kranz und ließ eine Ehrenwache an den Sarg aufstellen.

20. Oktober 2016

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