Für Massenverhaftungen war alles vorbereitet

Was sich hinter dem Kürzel Kz 4.1.3. verbarg und wie die Stasi gegen Regimegegner und unsichere Kantonisten vorging



Die heile Welt des Sozialismus ist auf einem Wandmosaik "Der roten Fahne"
am Dresdner Kulturpalast abgebildet. Die Realität in der DDR unterschied
sich in vieler Hinsicht von diesem Ideal.




Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR arbeitete eng mit den
sowjetischen Genossen zusammen und präsentierte sich auch durch
seine Abzeichen als Schild und Schwert der Partei.




Erich Mielke stimmte seine Leute mit solchen Sprüchen auf aktuelle
Kampfaufträge ein. Eine Blütenlese zeigt die Ausstellung im ehemaligen
Amtssitz des Stasiministers in Berlin-Lichtenberg.




Wer sich das Zeichen "Schwerter zu Pflugscharen" auf die
Kleidung nähte oder bei sich trug, geriet als feindlich-
negatives Element in den Blick der Stasi. (Fotos: Caspar)


Isolierungsobjekt war eine interne Bezeichnung des Ministeriums für Staatssicherheit für geheime Lager, in die so genannte feindlich-negative Personen im Fall einer inneren Krise oder militärischen Bedrohung von außen eingeliefert werden sollten. Selbstverständlich wurde der aus der Zeit des Nationalsozialismus stammende Begriff Konzentrationslager für diese Einrichtungen nicht verwendet. Man sprach statt dessen auch von Vorbeugungskomplexen. In x + 24 Stunden oder weniger sollten zahlreiche zuvor ausgewählte Unterkünfte mit Stacheldraht und Wachtürmen abgesichert und als militärische Sperrgebiete ausgewiesen werden. Zu diesem Zweck standen leer stehende Wohnheime, Lehrlingsunterkünfte, Messehallen, Sporteinrichtungen und Schulen, aber auch Schlösser und Burgen bereit, vorausgesetzt, sie befanden sich weiter als 60 Kilometer von der Staatsgrenze entfernt, um im Fall eines Ausbruchs Flüchtende schnell fassen zu können. Hinzu kamen Haftanstalten, die die DDR-Justiz und die Staatssicherheit quer durch die DDR unterhielten.

Pläne des Nationalen Verteidigungsrates (NVR) und des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zur Einrichtung der Isolierungslager oder Vorbeugungskomplexe gab es seit den 1960-er Jahren. Eine als Geheime Kommandosache deklarierte Direktive des Stasiministers Erich Mielke betraf den Umgang mitwirklichen oder potentiellen Staatsfeinden in so genannten Spannungsperioden. Für ihre Einweisung wurden richterliche Haftbefehle nicht gebraucht, alles lag in der Hand der Stasi. Die Festnahmen betrafen Personen und Personengruppen, "die unter dem begründeten Verdacht stehen, staatsfeindliche Handlungen zu begehen, zu dulden oder davon Kenntnis zu haben [... sowie] durch ihre Handlungsweise gegen die Interessen der Sicherheit der DDR und ihre Verteidigungsbereitschaft zu verstoßen." Die dehnbaren Bestimmungen betrafen also alles und jenen und daher auch Personen, die einen "feindlich-negativen Einfluss auf bestimmte Bevölkerungskreise ausüben und unter besonderen Bedingungen eine Gefahr darstellen können." In den weit über 200 MfS-Kreisdienststellen lagen bis zum Ende der DDR versiegelte Briefumschläge mit der Aufschrift "Kz 4.1.3." mit Angaben über die unter dieser und weiteren Kennziffern (Kz.) erfassten Personen, welche auf ein bestimmtes Codewort von Stasi- und Polizeikommandos verhaftet und für längere Zeit in die Isolierungs-, Vorbeuge- und Arbeitslager eingewiesen werden sollten.

Im Visier der Greifkommandos

Mielke unterschied zwischen der Internierung von Ausländern und Transitreisenden, die sich in Spannungsperioden und im Verteidigungszustand auf dem Gebiet der DDR aufhalten, und der Isolierung, durch die ausschließlich die eigene Bevölkerung, sofern sie von der Stasi als politisch unzuverlässig bis feindlich-negativ eingestuft wurde, vom großen Rest der DDR-Bewohner abgetrennt werden sollte. Ins Visier der Greifkommandos geriet unter anderem, wer einen Ausreiseantrag gestellt hatte, nicht zur Wahl ging, durch politische Witze auffiel, sich in Friedens- und Umweltgruppen sowie an Friedensgebeten und weiteren Aktivitäten der Kirche betätigte, aus der SED ausgeschlossen oder schon einmal inhaftiert war, kurzum wer als asozial, feindlich-dekadent und politisch unzuverlässig eingestuft war. Kandidaten für die Einweisung in die Isolierungsobjekte waren ferner Personen, die politischer Untergrundarbeit bezichtigt wurden, das Emblem "Schwerter zu Pflugscharen" an der Jacke trugen, den Wehrdienst an der Waffe verweigerte, Flugblätter verbotener Oppositionsgruppen verteilten, "ständige Teilnehmer Nikolaikirche" waren, also bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig dabei waren. DDR-Bürger, die verbotenerweise mit westlichen Journalisten sprachen und sich der "staatsfeindlichen Verbindungsaufnahme" schuldig machten, standen ebenfalls auf den Listen zur Einweisung in die Isolierungsobjekte. Im Dezember 1988 umfassten diese nach Angaben der für die Aufarbeitung der Hinterlassenschaften des Staatssicherheitsdienstes der DDR zuständigen ehemaligen Gauck- und heutigen Jahn-Behörde nicht weniger als 85 939 Personen.

Historiker vermuten, dass weitere mehr als 70 000 Menschen bei unerwünschter politischer "Auffälligkeit" in die Isolierungsobjekte verbracht werden sollten. Ein Drittel dieses Personenkreises sollte in MfS-Untersuchungshaftanstalten verschwinden, den großen Rest hätte man in abgelegene Gebäude und Lager verschleppt. Von der Stasi sollten schließlich Personen in Gewahrsam genommen werden, die zwar Schlüsselpositionen in der staatlichen Leitung, der Landesverteidigung, der Volkswirtschaft oder in anderen wichtigen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens tätig sind "und deren Zuverlässigkeit im Verteidigungszustand aufgrund ihres bisherigen Gesamtverhaltens anzuzweifeln ist". Mit anderen Worten rechnete das MfS damit, dass sich Personen in leitenden Stellungen und solche von besonderem Ansehen im "Ernstfall" gegenüber der SED- und Staatsführung nicht mehr loyal verhalten könnten, weshalb sie gegebenenfalls "herausgelöst" werden sollten. Eine Richtlinie von 1983 schrieb unter anderem vor, dass Aufseher, Stubenälteste, Brigadiere und andere Funktionsträger in den Isolierungslagern besondere Streifen auf der Kleidung und Armbinden tragen, die "Isolierten" sollten "festgelegte Kleidung" tragen, über deren Aussehen sich das Dokument ausschweigt.

Geheime Pläne blieben erhalten

Der nach dem Ende der SED-Herrschaft geäußerte Verdacht, dass in den Isolierungsobjekten Regimegegner hätten ermordet werden sollen oder gar ermordet wurden, ließ sich durch die erhalten gebliebenen Dokumente nicht erhärten. In Äußerungen und Geheimbefehlen des Stasiministers Mielke wurde zwar des Öfteren von Liquidierung des "Gegners" gesprochen, und es gab auch genaue Anweisungen darüber, welcher Mittel sich der Geheimdienst dabei bedienen soll, doch waren die Isolierungsobjekte wohl "nur" als Arbeitslager konzipiert. Da sich die Ereignisse im Wendeherbst 1989 überstürzten und die SED- und Staatsführung unter Egon Krenz vor einem Blutbad zurückschreckte und die ohnehin schon angespannte Lage nicht noch weiter anheizen wollte, kamen die Internierungspläne nicht zur Ausführung, weshalb die damit befassten Einsatzleitungen und Lager klammheimlich aufgelöst wurden. Da nicht alle Dokumente vernichtet wurden, wie befohlen, konnten die Pläne für die massenhafte Verhaftung von Oppositionellen am Tag X nach dem Ende der SED-Herrschaft publiziert werden.

Als Nachfolger von SED- und Staatschef Erich Honecker hob Egon Krenz in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrats Ende November 1989 die die Kennziffern 4.1.1 bis 4.1.5 betreffenden Befehle auf und dankte den Stasi-Mitarbeitern für ihren "wertvollen Beitrag zur Entwicklung und Stabilität der Landesverteidigung sowie zur Erfüllung der Bündnisverpflichtungen der DDR im Warschauer Vertrag". Ihm wurde jetzt, da die Angst vor Repressalien nachgelassen hatten, von eigenen Genossen vorgeworfen, mit Blick auf das Blutbad auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking einer gewaltsamen Unterdrückung der inneren Opposition das Wort geredet und damit dem Klassengegner in die Hand gespielt zu haben. In den 1990-er Jahren vor Gericht gestellt, machte Krenz für sich geltend, im Herbst 1989 Blutvergießen unter ostdeutschen Oppositionellen verhindert und den Planungen der Staatssicherheit für eine "Pekinger Lösung" verhindert zu haben. Sich selber stilisierte er als derjenige, der durch sein Eingreifen verhindert hat, dass die Montagsdemonstrationen in Leipzig in einem Blutbad enden. Das gleiche nahm auch der "Menschenfreund" Honecker für sich in Anspruch, weil er kurz vor seiner Entmachtung am 18. Oktober befohlen hatte, dass in Leipzig nicht geschossen werden darf.

(3. Mai 2016)

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