"Vernichtung durch Arbeit"

Gedenkstätte und Kirchgemeinde verurteilen Schändung der Freiluftausstellung zur Geschichte des KZ-Außenlagers Jamlitz-Lieberose



Ein ehemaliger Sachsenhausen-Häftling hat auf Zeichnungen dargestellt,
wie die SS-Schergen die entkräfteten und kranken Gefangenen zur
Zwangsarbeit angetrieben haben. Wer nicht mithalten konnte, wurde ermordet.




An einer Straße von Lieberose nach Jamlitz erinnert eine in DDR-Zeiten
errichtete Gedenkstätte an die ermordeten Häftlinge
dieses Außenlagers des KZ Sachsenhausen und alle anderen
Opfer des Faschismus (Foto um 1974).




In der Mordstätte "Station Z" im ehemaligen KZ Sachsenhausen kamen
zahlreiche Gefangene des Naziregimes, darunter auch solche aus Jamlitz-Lieberose,
auf elende Weise ums Leben.




Überall im Land Brandenburg ehren solche Steine die Opfer und die Überlebenden
der von der SS gegen Kriegsende befohlenen Todesmärsche. (Fotos/Repros. Caspar)

Die Freiluftausstellung zur Geschichte des KZ-Außenlagers Jamlitz-Lieberose, in dem überwiegend jüdische Häftlinge inhaftiert waren und zahlreiche von ihnen in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs von der SS ermordet wurden, ist im Mai 2016 geschändet worden. Unbekannte hatten Scheiben von Schautafeln zerstört, die auf die Geschichte dieses Ortes des Schreckens aufmerksam machen. Der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Prof. Dr. Günter Morsch, verurteilte den heimtückischen Angriff als schändlich und forderte strenge Konsequenzen. Jamlitz war eines der schlimmsten Außenlager des KZ Sachsenhausen. "Da viele der vorwiegend jüdischen Häftlinge direkt aus Auschwitz nach Lieberose kamen und, sobald sie nicht mehr arbeitsfähig waren, direkt zur Vernichtung in die Gaskammern von Auschwitz-Birkenau zurück gebracht wurden, handelt es sich um einen Ort der Schoa." Morsch erinnerte daran, dass der 2009 eingeweihte jüdische Friedhof bereits mehrfach geschändet wurde. Dort waren 1971 die Gebeine von 577 Opfern eines Massakers der SS gefunden worden. Da weitere antisemitische Angriffe auf die Gedenkstätte und den Friedhof nicht ausgeschlossen sind, fordert die Gedenkstättenstiftung die zuständigen Behörden auf, alles zu tun, um die Täter zu ermitteln und zu bestrafen. Außerdem verlangt sie eine dauerhafte und wirkungsvolle Überwachung der beiden Gedenkstätten, um Wiederholungstäter abzuschrecken. Nach vorangegangenen Schändungen des jüdischen Friedhofs 2014 und 2015 ist der erneute Angriff bereits die dritte Schandtat innerhalb von drei Jahren, die sich gegen die Darstellung und das Gedenken der Opfer des KZ Jamlitz richtet.

Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) und die Evangelische Kirchengemeinde Lieberose und Land verurteilen die erneute Schändung des Erinnerungsortes KZ-Außenlager Jamlitz-Lieberose. Die Kirchengemeinde Lieberose, die mit dem Land Brandenburg Trägerin der Dokumentationsstätte KZ-Außenlager Jamlitz-Lieberose ist, hat Anzeige erstattet, die Kriminalpolizei ermittelt. Pfarrerin Marion Gardei erklärte, gerade in Zeiten, in denen rechtsextreme und rechtspopulistische Kräfte frech das Haupt erheben und wieder erstarken, könnte eine solche Schandtat nicht hingenommen werden. "Unsere kirchliche Erinnerungsarbeit zielt darauf, Orientierung für die Gegenwart zu geben, damit wir lernen, gegen Antisemitismus und Intoleranz aufzustehen. Offensichtlich müssen wir noch viel mehr tun." Die Gemeinde begrüßt, dass das Land Brandenburg seine Unterstützung bei der Pflege der Freiluftausstellung und der Aufklärungs- und Bildungsarbeit in Aussicht gestellt hat.

Massenmord kurz vor Kriegende

Das Außenlager des KZ Sachsenhausen in Jamlitz wurde 1943 im Zusammenhang mit dem Aufbau des SS-Truppenübungsplatzes Kurmark errichtet. Die 6000 bis 10 0000 Häftlinge, die hier bis Anfang Februar 1945 unter mörderischen Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten, waren überwiegend Juden, darunter viele aus Ungarn und Polen. Bei der Auflösung des Lagers wurden am 2. und 3. Februar 1945 in zwei Massenmordaktionen 1342 kranke und marschunfähige Häftlinge von der SS erschossen. Rund 1500 Häftlinge trieb die SS auf einen etwa 200 Kilometer langen Todesmarsch in das Hauptlager Sachsenhausen, in dessen Verlauf mehrere Häftlinge erschossen wurden. Nach der Ankunft im Hauptlager ermordete die SS mehrere hundert Häftlinge in einer Station Z genannten Vernichtungsanlage.

Unzählige Zwangsarbeiter Jamlitz-Lieberose und den vielen anderen NS-Konzentrationslagern kamen in deutschen Rüstungs- und anderen Betrieben ums Leben und waren Opfer des Prinzips "Vernichtung durch Arbeit". Zwar verhießen Inschriften an den Eingangstoren mancher Konzentrationslager "Arbeit macht frei", und den Häftlingen wurde vorgegaukelt, sie könnten ihr Leben durch fleißige Befolgung der Befehle ihrer Bewacher und allergrößte körperliche Anstrengungen erhalten. In Wirklichkeit aber sollten die ausgehungerten und kranken Gefangenen nur so lange am Leben bleiben, wie sie die ihnen befohlene Zwangsarbeit verrichten konnten. "Hinsichtlich der Vernichtung asozialen Lebens steht Dr. Goebbels auf dem Standpunkt, dass Juden und Zigeuner schlechthin, Polen, die etwa 3 bis 4 Jahre Zuchthaus zu verbüßen hätten, […] vernichtet werden sollten. Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit sei der beste", heißt es in einem Aktenvermerk vom 14. September 1942 des Reichsjustizministers Otto Thierack über ein Gespräch mit Propagandaminister Goebbels und Reichsführer SS Himmler. In seinem Tagebuch notierte Goebbels dazu: "Wer an dieser Arbeit zugrunde geht, um den ist es nicht schade. SS-Gruppenführer Thierack konkretisierte den Plan in einer Besprechung mit Himmler am 18. September 1942 so: "Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit. Es werden restlos ausgeliefert die Sicherheitsverwahrten, Juden, Zigeuner, Rissen und Ukrainer, Polen über 3 Jahre Strafe, Tschechen oder Deutsche über 8 Jahre Strafe nach Entscheidung des Reichsministers". Die Vernichtung durch Arbeit deckte sich mit den Plänen zur so genannten Endlösung der Judenfrage, der während des Zweiten Weltkriegs sechs Millionen Juden zum Opfer fielen.

Weiternutzung durch die Rote Armee

Neben Buchenwald bei Weimar und Sachsenhausen bei Oranienburg ist das kleine brandenburgische Dorf Jamlitz im Landkreis Dahme-Spreewald der dritte historische Ort in Ostdeutschland, an dem ein Konzentrationslager nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende des NS-Reiches als sowjetisches Speziallager weiter genutzt wurde. Das ehemalige Frauen-KZ Ravensbrück diente der Roten Armee als Kaserne. In Jamlitz gab es ab November 1943 das von der Waffen-SS eingerichteten Nebenlager des KZ Sachsenhausen. Dieses Arbeitslager wurde im Laufe des Jahres 1944 zum größten jüdischen Häftlingslager im Osten des Altreiches ausgebaut. Es diente dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau einerseits als Arbeitskräftequelle. Auf der anderen Seite wurden von hier Gefangene, die nicht mehr arbeitsfähig waren, nach Auschwitz zurückgebracht, um sie zu ermorden.

1971 wurde bei Staakow ein Massengrab mit Gebeinen der Vernichtung durch Arbeit und auf andere Weise ums Leben gekommenen Menschen entdeckt. Die verantwortlichen Behörden der DDR errichteten nicht am historischen Ort der Mordtaten in Jamlitz, sondern einige Kilometer weiter in der Stadt Lieberose ein Mahnmal und später ein Museum. In Jamlitz wurden steinerne Reste für das KZ beseitigt, und so erinnerte von 1973 bis zum Ende der DDR 1990 nichts mehr an dieses Lager. Das hatte auch mit seiner Nachnutzung als Speziallager Nr. 6 Jamlitz der Roten Armee vom September 1945 bis April 1947 zu tun. Ein von Dora Miethe verfasstes und vom Buch des damaligen Instituts für Denkmalpflege über Gedenkstätten der Arbeiterbewegung, des antifaschistischen Widerstands und des Aufbaus des Sozialismus in der DDR erwähnt das den Opfern des Faschismus gewidmete Ehrenmal in Lieberose an der Kreuzung Beeskow/Jamlitz und bildet es auch ab. Die Weiternutzung der Außenstelle des KZ Sachsenhausen durch die sowjetische Besatzungsmacht wurde aber mit keinem Wort erwähnt.

Sowjetischen Unterlagen zufolge durchliefen etwa 10.200 Gefangene dieses Lager, in dem fast jeder Dritte starb. Damit verzeichnete das Lager Nr. 6 eine der höchsten Todesraten aller sowjetischen Speziallager. In Jamlitz saßen mehrheitlich NS-Funktionsträger und Militärangehörige meist niedrigen Ranges ein, hinzu kamen zahlreiche Jugendliche, denen Naziverbrechen vorgeworfen wurden. Bei einigen bisher recherchierten Fällen konnten tatsächlich Kriegs- und weitere Verbrechen ermittelt werden.

HINWEIS Das SS-Führungshauptamt ließ mit primitivsten Hilfsmitteln in Jamlitz-Lieberose durch die Gefangenen Kasernen, Straßen und militärische Anlagen für den SS-Truppenübungsplatz Kurmark errichten. Dass eine Bundeswehrkaserne in Storkow, Landkreis Oder-Spree, den gleichen Namen trägt, scheint bisher wohl kaum Anstoß erregt zu haben und sollte schleunigst zur Überlegung führen, durch eine Namensänderung jeden Anschein zu vermeiden, als gäbe es zwischen dem ehemaligen Truppenübungsplatz der SS und der Bundeswehrkaserne Kurmark in Storkow irgendeine Verbindung. (15. Mai 2016)

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