Das Ergebnis stand schon vorher fest

Bei den politischen Prozessen hagelte es Todesurteile und lange Zuchthausstrafen, und viele trafen nicht nur Naziverbrecher



Das Haus 3 Bezirksamtsgeländes Fröbelstraße an der Prenzlauer Allee in Berlin erinnert
an Menschen, die hier vom NKWD, dem sowjetischen Volkskommissariat für Innere
Angelegenheiten, gefangen gehalten wurden. Die Haftstätte wurde 1950
an das Ministerium für Staatssicherheit übergeben. Zeitzeugenberichte belegen,
dass hier Menschen inhaftiert worden waren, die
als der Gegner der sowjetischen Besatzungsordnung und der DDR verdächtigt wurden.








Im ehemaligen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen wird darüber berichtet,
wie aus Beschuldigten so genannte Geständnisse abgepresst wurden. An gleicher
Stelle werden Dokumente über Hinrichtungen gezeigt, die in Leipzig vollzogen wurden.




Rudolf Herrnstadt wurde 1953 als Chefredakteur des "Neuen Deutschland" abgesetzt.
Weil Moskau es so wollte, blieb Walter Ulbricht nach dem 17. Juni 1953 an der Macht,
und Herrnstadt und weitere Rivalen des Parteischefs kamen und Gefängnis oder
wurden in die Provinz abgeschoben. (Fotos/Repro: Caspar)

Die nach dem Krieg in der DDR durchgeführten Schauprozesse waren hochpolitische Veranstaltungen nach sowjetischem und nationalsozialistischem Vorbild. Unter den Augen eines handverlesenen Publikums wurden unzählige Angeklagte vor die Gerichte des Volkes gestellt, wie man damals sagte. Die üblichen Vorwürfe waren Spionage, staatsfeindliche Betätigung und Gruppenbildung, Fahnenflucht, Menschenhandel, Grenzdurchbruch und allgemein Terrorismus, hinzu kamen Verfahren wegen Kriegs- und weiteren Verbrechen aus der Nazizeit. Über sie wurde in den DDR-Medien nach Vorgaben der Parteiführung breit berichtet, andere Prozesse wurden geheim geführt, und nichts drang nach draußen. Die Berichterstattung voll Gift und Galle sollte abschreckend wirken und der sozialistischen Bewusstseinsbildung dienen. Wo kein Beweismaterial beigebracht werden konnte, hat man welches gefälscht, und so konnte man wirkliche und angebliche Staatsfeinde zu hohen Zuchthausstrafen, oft auch zur Todesstrafe verurteilen.

Für die Abwicklung der "Prozesse mit erweiterter Öffentlichkeit" gab es klare Direktiven an die Gerichte aus dem SED-Politbüro, die von der Anklage, der Verteidigung, welche kaum als solche zu bezeichnen war, und den Richtern beachtet werden mussten. Unter diesen Umständen war ein faires, rechtsstaatliches Verfahren ausgeschlossen. Für eine solche Anweisung legte das SED-Politbüro 1950 fest: "Der Prozess ist so zu führen, dass die Rolle des Monopolkapitals, seine Zersetzungsarbeit mit Hilfe käuflicher Agenten und deren verbrecherische Tätigkeit in der Deutschen Demokratischen Republik deutlich zu Tage tritt. […] Die Anklageschrift ist vor der Herausgabe dem Sekretariat [des Politbüros, H. C.] zur Begutachtung vorzulegen."

Rote Guillotine wütet

Als besonders eifrige Richterin betätigte sich im Stil des Nazi-Juristen Roland Freisler die als Rote Hilde oder noch schlimmer Rote Guillotine gefürchtete Justizministerin Hilde Benjamin. In diesem Zusammenhang müssen die so genannten Waldheim-Prozesse erwähnt werden. Die Aufsehen erregende Strafverfahren gegen 3432 politische Gefangene fanden im Zuchthaus Waldheim, 40 Kilometer von Chemnitz/Karl-Marx-Stadt entfernt, statt und folgten sowjetischen Vorgaben. Die Angeklagten wurden wegen tatsächlicher beziehungsweise angeblicher Nazikriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Schnellverfahren zu Freiheitsstrafen zwischen 15 und 25Jahren beziehungsweise zu Todesstrafen verurteilt. Es gab nur vier Freisprüche. Die zuvor von der SED ausgesuchten "Volksrichter" ohne juristische Ausbildung beriefen sich auf Untersuchungsergebnisse und Geständnisse, die von den sowjetischen Ermittlungsorganen oft unter Folter erzwungen worden waren. Rechtfertigungsversuche wurden nicht zugelassen, Rechtsbeistände auch nicht. In der Regel fanden die Waldheim-Prozesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, aus Gründen der politischen Wirksamkeit und Abschreckung aber wurden einige Schauprozesse im Rathaus von Waldheim veranstaltet. Sie boten für die junge DDR eine willkommene Bühne, um sich als konsequent antifaschistischer Staat zu präsentieren und mit dem Finger auf die Bundesrepublik zu zeigen, wo echte und vermeintliche Altnazis und Kriegsverbrecher weitgehend unbehelligt lebten und in hohe und höchste Ämter gelangen konnten.

Im Stil Stalinscher Prozesse fanden in den frühen 1950-er Jahren verschiedene Verfahren gegen SED-Funktionäre wie Paul Merker, Max Fechner und andere statt, die ungeachtet ihrer Verdienste im antifaschistischen Widerstand und beim Aufbau der jungen DDR bei Ulbricht und Genossen in Ungnade gefallen waren. Sie hatten im Vorfeld des Volksaufstands des 17. Juni 1953 gewagt, den rigiden Kurs des Parteichefs Ulbricht in Richtung Aufbau des Sozialismus infrage zu stellen und das im Parteiprogramm festgelegte Prinzip von Kritik und Selbstkritik ernst zu nehmen und auch für die Parteispitze einzufordern.

In einer Rundverfügung verbot Justizminister Max Fechner am 5. September 1951 den Begriff "politische Gefangene", vielmehr müsste in Frage kommende Personen stets als kriminelle Verbrecher genannt werden. "Heute wird niemand wegen seiner Gesinnung wegen inhaftiert. … Wenn im Einzelfalle eine nähere Kennzeichnung der Strafgefangenen erforderlich ist, sind konkrete Bezeichnungen zu wählen, wie beispielsweise nach Artikel 6 der Verfassung, nach Befehl Nr. 201 usw." Gemeint mit Artikel 6, dass jemand wegen angeblicher Boykotthetze, Spionage gegen die DDR und ähnlicher Delikte verurteilt wurde. Der Befehl 201 vom 16. August 1947 betraf die Verfolgung und Bestrafung von Nazi-Kriegsverbrechern und weiteren Personen, die schwerwiegende Verbrechen in der NS-Zeit verübt haben.

Nach Merseburg abgeschoben

Mit dem Leben davon kam Rudolf Herrnstadt, der von 1950 bis 1953 Mitglied des ZK der SED und Chefredakteur der Parteizeitung Neues Deutschland war. Vergeblich setzte er sich für die Demokratisierung innerhalb der SED ein, doch verlor er 1953 den Machtkampf gegen seinen Rivalen Ulbricht. Dieser warf ihm und weiteren Funktionären "parteifeindliche Fraktionsbildung" vor und schob ihn nach dem Ausschluss aus der SED nach Merseburg ins Zentralarchiv der DDR ab. Herrnstadt wollte einen Sozialismus mit menschenfreundlichem Antlitz, doch unterstellte ihm Ulbricht parteischädliche Fraktionsbildung und Wühltätigkeit. Ende 1989, als die SED vor den Scherben ihrer Geschichte stand und begann, diese kritisch aufzuarbeiten, wurden der geschasste Funktionär mit weiteren "Unpersonen" rehabilitiert.

Im Merseburger Archiv befindliche Schüleraufsätze über die von Kaiser Wilhelm II. in Auftrag gegebene Berliner Siegesallee wurden 1960 von dem sieben Jahre zuvor in Ungnade gefallenen SED-Funktionär Rudolf Herrnstadt unter dem Titel "Die Beine der Hohenzollern" publiziert und vom marxistisch-leninistischen Klassenstandpunkt aus kommentiert. Der Verfasser konnte dies nicht unter seinem richtigen Namen tun, sondern musste das Pseudonym R. E. Hardt benutzen. Der mit großen intellektuellen Gaben und dem ehrlichen Glauben an die, wie er meinte, gute kommunistische Sache ausgestattete Herrnstadt war eine tragische Figur im ostdeutschen Machtpoker nach Stalins Tod 1953. Mag sein, dass er die "Beine der Hohenzollern" und die anderen unter seinem richtigen Namen in der DDR veröffentlichten Bücher "Die erste Verschwörung gegen das internationale Proletariat", um sich Enttäuschungen und Frust von der Seele zu schreiben. Welche politische Tendenz die Edition von 1960 über die Schüleraufsätze hatte, mit der der Verlag Rütten & Loening seine neue Buchreihe "Geschichte in der Tasche" eröffnete, mag eine jenem Beine-Buch beigelegte Ankündigung illustrieren: "Der gesunde Menschenverstand würde sich weigern es zu glauben, wenn es nicht dokumentarisch belegt wäre: im Jahre 1901 stellte ein Oberlehrer des Joachimsthaler Gymnasiums in Berlin seinen Primanern das Aufsatzthema ,Die Beinstellung der Standbilder in der Siegesallee'. Wilhelm II. ließ sich die Aufsätze vorlegen, zensierte sie und versah sie mit Randbemerkungen. Ein Vorgang, würdig der Beschreibung durch die Feder eines Satirikers. Wie R. E. Hardt mit tödlicher Ironie diesen Vorgang zu einer wahrhaftigen historischen Groteske gestaltet, wie er gleichsam den Humus zutage fördert, aus dem ,solche Blüten wachsen wie dieser Oberlehrer und diese Primaner, diese Schule und diese Denkmäler' . Das macht die Geschichte von den Beinen der Hohenzollern für den erheiterten Leser zu einer Geschichte mit tiefer Moral". Der schwer lungenkranke Publizist starb 1968 in Halle an der Saale, seine Rehabilitierung hat Ulbricht bis zu seinem Ende verweigert.

Milde Strafen für DDR-Juristen

Die aus Angst vor ideologischer Aufweichung geführten Verfahren erregten in der Bundesrepublik großes Aufsehen und provozierten kritische Fragen nach der Rechtsstaatlichkeit in der DDR. Um die Wogen zu glätten, ließ die SED-Führung zum dritten Jahrestag der Gründung der DDR 1952 eine Amnestie vorbereiten und überprüfte die Urteile, sofern nicht schon Hinrichtungen stattgefunden hatten. Nur wenige bei den Waldheim-Prozessen Verurteilten kamen vorzeitig frei. Ab 1991 wurden gegen seinerzeit an den Verfahren beteiligten Juristinnen und Juristen wurden von der bundesdeutschen Justiz Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sofern sie verurteilt wurden, kamen sie mit milden Strafen davon.

Die Juristin Hilde Benjamin war ab als Nachfolgerin des als "Staatsfeind" abgesetzten Max Fechner DDR-Justizministerin. Als SED-und Staatschef Walter Ulbricht aus Stasi-Kreisen hörte, dass "die Dr. Hilde Benjamin" einem "mehrere Personen umfassenden lesbischen Kreis" angehört, musste Ulbricht handeln. Er war ein besonders prüder Mann, der "sittliche Verfehlungen" aller Art nicht duldete und ihnen die von ihm erfundenen Zehn Gebote der sozialistischen Moral entgegenstellte. Vielleicht mutmaßte man, dass die angebliche oder wirkliche sexuelle Orientierung der Roten Hilde westlichen Geheimdiensten bekannt wird, was diese und mit ihr die DDR-Führung in ein schiefes Licht hätte bringen können. Da man der Ministerin nichts anhaben konnte, sie aber nicht mehr in der Regierung haben wollte, auf der anderen Seite aber ihre Verdienste als "Rechts"-Expertin schätzte, wurde sie 1967 auf eine Professur an die Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft "Walter Ulbricht" in Potsdam-Babelsberg abgeschoben. Nach dem Ende der DDR wies ihr Sohn Michael Benjamin alle Vorwürfe an die Adresse seiner Mutter als "völligen Unsinn" zurück.

26. September 2016

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