Macht triumphierte über freiheitlichen Geist

Karlsbader Beschlüsse vom August 1819 gaben Weg für massive Unterdrückung der Opposition und unabhängigem Denken rei




"Wie lange möchte uns das Denken wohl noch erlaubt sein" fragen
Mitglieder eines Denkerklubs, der zum Schweigen verurteilt ist.
Karikatur aus dem frühen 19. Jahrhundert. (Repro: Caspar)


Vier Jahre nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 schränkten deutsche Fürsten, allen voran der Franz I., Kaiser von Österreich, und Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, mit den Karlsbader Beschlüssen die Arbeit der Universitäten und der Presse massiv ein. Die im Ergebnis einer Konferenz im böhmischen Karlsbad vom 6. bis 31. August 1819 erlassenen Bestimmungen legten harte Maßnahmen gegen "revolutionäre Umtriebe" sowie zur Verfolgung von so genannten Demagogen fest und versetzten der Gedanken- und Pressefreiheit einen schweren Schlag. Durch strikte Anwendung der Zensur sollte alles verhindert werden, was in Österreich-Ungarn, im preußischen Staat und den übrigen Mitgliedsländern des 1815 gegründeten deutschen Bundes "Missvergnügen" erregt und gegen bestehende Verordnungen aufreizt. Getrieben von der Angst, in Europa könne es zu revolutionären Unruhen wie im späten 18. Jahrhundert in Frankreich kommen, nahmen die Regierungen die Ermordung des Schriftstellers und russischen Generalkonsuls August von Kotzebue am 23. März 1819 durch den Studenten und Burschenschafter Karl Ludwig Sand zum Anlass für die drastische Knebelung des freien Geistes und die Ausschaltung oppositioneller Kräfte. Verboten war jede Kritik an der Feudalherrschaft und am fürstlichen Gottesgnadentum.
Preußens König Friedrich Wilhelm III. hatte sein Versprechen während der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 vergessen, für die Ausarbeitung einer Verfassungsurkunde und die Bildung einer "Repräsentation des Volkes" zu sorgen, die über alle Gegenstände der Gesetzgebung beraten soll. Um die Monarchie und die feudalen Eliten weiter im Sattel zu halten, jede Einflussnahme der Bürger auf die Staatsgeschäfte zu verhindern und revolutionären, liberalen und sonstigen Elementen das Wasser abzugraben, bestimmte die Preußische Zensur-Verordnung, dass alle im Land der Hohenzollern herauszugebenden Bücher und Schriften einer speziellen Behörde zur Genehmigung vorgelegt und ohne deren schriftliche Erlaubnis weder gedruckt noch verkauft werden dürfen. Das war ein schwerer Schlag gegen Literaten, Professoren, Studenten und andere so genannte Freigeister sowie Drucker und Verleger, sofern sie nicht "staatstragend" waren. Wer in Bild und Schrift gegen die herrschende Ordnung opponierte und deren Gottesgnadentum in Zweifel zog, erhielt Berufsverbot, wurde von der Universität geworfen und auf andere Weise in seinem Schaffen behindert. Betroffen waren in Preußen von den Einschränkungen auch die Berliner Akademie der Wissenschaften sowie einzelne Universitäten, deren Befreiung von den Zensurbestimmungen suspendiert wurde.
In Berlin wurde als letzte Instanz beim Kammergericht ein Ober-Zensur-Kollegium eingerichtet, das über Beschwerden von Verfassern und Verlegern befand, aber auch die Ausführung der Zensurgesetze überwachte. Hier wurden auch Versuche begutachtet und verworfen, die bedrückenden Zensurbestimmungen zu umgehen. Vorsichtshalber schrieben Autoren heikle Texte um, und manche bedienten sich einer Art Sklavensprache, die von den Zensoren nicht, wohl aber von den Lesern verstanden wurden. Auch kam es vor, dass von der Zensur bedrohte Bücher und Schriften, mit einem falschen Druckort versehen, in Umlauf gebracht wurden.
Um die Öffentlichkeit zu besänftigen, behauptete die Verordnung: "Die Zensur wird keine ernsthafte und bescheidene Untersuchung der Wahrheit hindern, noch den Schriftstellern ungebührlichen Zwang auflegen, noch den freien Verkehr des Buchhandels hemmen. Ihr Zweck ist, demjenigen zu steuern, was den allgemeinen Grundsätzen der Religion, ohne Rücksicht auf die Meinungen und Lehren einzelner Religionspartheien und im Staate geduldeter Sekten zuwider ist, zu unterdrücken, was die Moral und gute Sitten beleidigt." Die Verordnung behauptete, die Zensur wolle dem "fanatischen Herüberziehen von Religionswahrheiten in die Politik" ebenso wie der dadurch entstehenden "Verwirrung der Begriffe" entgegen arbeiten. Auch sollte die Verletzung der Würde und Sicherheit des preußischen Staates sowie der übrigen Bundesstaaten verhindert werden. Alle auf "Erschütterung der monarchischen Verfassungen abzweckende Theorien" sowie jede Verunglimpfung der mit Preußen befreundeten Regierungen waren bei schwerer Strafe verboten.
Die Karlsbader Beschlüsse wurden als so diskriminierend empfunden, dass ihre Abschaffung bei immer wiederkehrenden Protesten gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und dann auch in der Revolution von 1848/49 auf der Tagesordnung standen. Zwar wurde die Zensur in der Kaiserzeit nach 1871 gelockert, doch der Tatbestand der Majestätsbeleidigung, der Gotteslästerung und der revolutionären Agitation, was immer man darunter verstand, war weiter mit hohen Strafen belegt, wurden aber von gewitzten Autoren und Verlagen trickreich umgangen.

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