"Kolberg" für die Kriegsmoral

Veit Harlans im Auftrag von Goebbels produzierter Propagandafilm konnte 1945 nichts mehr für den Endsieg ausrichten



Der Frieden von Tilsit von 1807 hatte für das besiegte Preußen verheerende
Folgen. Der Hohenzollernstaat raffte sich zu tiefgreifenden
Reformen auf und stand 1813 an der Spitze der Befreiungsbewegung.






Heinrich George (oben rechts, darunter links), der den zu allem entschlossenen
Bierbrauer und Reeder Joachim Nettelbeck spielt, reißt in "Kolberg" Bedenken-
träger aller Art mit und lässt Feiglinge hinter sich. Der berühmte Schauspieler
starb 1946 im ehemaligen KZ Sachsenhausen, in dem die Rote Armee
Naziverbrecher und andere Personen gefangen hielt.(Repros: Caspar)

Film ist Waffe, Film ist Opium fürs Volk - das wussten niemand besser als Hitler und Goebbels. Zahlreiche Unterhaltungsfilme sorgten in Berlin und dem übrigen Deutschen Reich für gute Laune. Die Crème der damaligen Schauspielerzunft und bedeutende Regisseure traten an, um die "Volksgenossen" aufzuheitern und ihre trübseligen Gedanken angesichts der deprimierenden Nachrichten von den Fronten, der ewigen Bombenangriffe und der hohen Verlusten an Blut und Gut, der immer schlechter werdenden Versorgung und des zunehmenden Gestapo-Terrors zu vertreiben.

Schwierige Zeiten vorhersehend, ließ Propagandaminister Goebbels ab 1943 mit großem Aufwand an kriegswichtigen Gütern und teuren Massenszenen ein Melodram herstellen, das als "der" Durchhaltefilm der Nazizeit in die Geschichte einging. Der über 3000 Meter lange Farbfilm der Ufa "Kolberg" war mit 8,5 Millionen Reichsmark eine der teuersten Produktionen der Nazizeit. Das Melodram wurde am 30. Januar 1945, dem zwölften Jahrestag der nationalsozialistischen "Machtergreifung", uraufgeführt und von der Nazipresse emphatisch als Film der Nation gefeiert. Goebbels versprach sich von ihm wehrkraftfördernde Wirkungen, doch die Zeit war schon abgelaufen, und die erhoffte Wirkung verpuffte.

Wenn es um Stärkung der Kriegsmoral und die Entfachung von "völkischen" Emotionen ging, kam Spitzenregisseur Veit Harlan in Einsatz. Er hatte sich seinen Arbeitgebern Hitler und Goebbels bereits durch den antisemitischen Hetzstreifen "Jud Süß" (1940), den Historienfilm "Der große König" über Friedrich II. von Preußen (1942) und andere als staatspolitisch wertvoll eingestufte Inszenierungen empfohlen und spielte blendend auf der Klaviatur der cineastischen Volksverführung. Das trug ihm das Wohlwollen seiner Auftraggeber ein, und so konnte es sich Harlan auch leisten, mitten im Krieg für "Kolberg" von der Wehrmacht Regimenter auszuleihen und massenhaft ansonsten rationiertes, weil kriegswichtiges Material zu verbrauchen.

"Kolberg" schildert Episoden aus der Zeit der Okkupation Preußens durch die Franzosen nach dem Krieg von 1806, in dem Preußen als Verlierer auf der Strecke blieb. Am 1. Juni 1943, nur wenige Monate nach der vernichtenden Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad und der Ausrufung des totalen Kriegs, forderte Goebbels, der Großfilm Kolberg soll am Beispiel dieser Stadt zeigen, "dass ein in Heimat und Front geeintes Volk jeden Gegner überwindet." Der Herr über die Medien und die Künste ahnte, dass der Film genau in die militärisch-politische Landschaft passen wird, "die wir wahrscheinlich zu der Zeit zu verzeichnen haben werden, wenn dieser Film erscheint".

Wie Friedrich der Große niemals kapitulieren, immer an den Sieg glauben und das Letzte für ihn hergeben, lieber sterben als sich dem Feind ergeben - das war die Botschaft von "Kolberg". Namhafte Künstler wie Heinrich George, Horst Caspar und Paul Wegener wurden aufgeboten, um den kriegsmüden Deutschen neuen Mut einzuhauchen. Während sich der preußische König Friedrich Wilhelm III. nach der verlorenen Schlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 mit seiner Familie vor den siegreichen Franzosen nach Ostpreußen absetzt und Napoleon I. als Triumphator in Berlin einzieht, halten die Bewohner der kleinen pommerschen Festung Kolberg den französischen Belagerern stand. Denn mit jener preußischen Niederlage war der Krieg gegen Frankreich für Preußen noch nicht beendet, das gelang erst durch den Frieden von Tilsit im Juli 1807.

Natürlich haben die Kolberger Angst, sie sind uneins, ob sie sich dem übermächtigen Feind ergeben oder ob sie mit Gottvertrauen weiter aushalten sollen. Von dem alten Reeder und Bierbrauer Joachim Nettelbeck, den Heinrich George als gütigen, aber zu allem entschlossenen Übervater darstellt, werden die Zaudernden aufgerichtet. "Lieber in Trümmern begraben als kapitulieren" ist sein Credo, das genau mit den Vorstellungen von Hitler und Goebbels übereinstimmt, alles zerstören als mit dem Unvermeidbaren, mit einer bedingungslosen Kapitulation abzufinden und den Wahnsinn des Krieges zu beenden. Dem an seinen Prinzipien eisern festhaltenden Filmhelden schließen sich die Mehrheit der Bewohner und die Soldaten an, wohl wissend, dass sie auf verlorenem Posten stehen. Kapitulationswillige Angsthasen und Kleingeister bleiben im Film auf der Strecke, Feiglinge gehen unter. Seht, so geht es Euch, wenn Ihr aufgeben wollt, lautet die Botschaft von "Kolberg" an die Deutschen.

Unerwähnt ist, dass sich das historische Kolberg 1807 nur durch massive englische, dänische und schwedische Hilfe von der Ostsee aus halten konnte. Außerdem übersieht der Film, dass das wirkliche Kolberg von den Belagerern in Schutt und Asche gelegt wurde und die Einwohnerschaft schrecklich leiden musste. Da der Film nicht mit solchen Bildern enden durfte, bettete Harlan das dramatische Geschehen von 1807 in eine Rahmenhandlung ein. Sie spielt 1813, sechs Jahre später, in einer Zeit, als sich Preußens König Friedrich Wilhelm III. an die Spitze der gegen Frankreich gerichteten Volksbewegung stellt. Der zaudernde, ängstliche Monarch wird mit Hinweis auf die mutigen Kolberger vom früheren Verteidiger der Festung und späteren Feldmarschall August Wilhelm Neidhardt von Gneisenau zu diesem Schritt ermuntert. "Das Volk wird die Armee sein, das ganze Volk. Das Volk steht auf, der Sturm bricht los" ruft der Film-Gneisenau seinem königlichen Oberbefehlshaber zu und benutzt die gleichen Worte aus dem Mund von Theodor Körner aus dem Jahr 1813, mit denen Propagandaminister Goebbels seine berüchtigte Rede vom Februar 1943 "Wollt ihr den totalen Krieg" enden ließ. Im Film ruft Gneisenau in typischer NS-Diktion den Kolbergern zu: "Wir lassen nicht los, und wenn wir uns mit unseren Nägeln einkrallen, an unsere Stadt. [...] Dann muss man uns die Hände einzeln abhacken oder uns erschlagen, einen nach dem anderen. [...] Lieber unter den Trümmern begraben als kapitulieren". Mit dem Prädikat "staatspolitisch und volkstümlich wertvoll" bedacht, wurde der Historienfilm am 30. Januar 1945, dem Feiertag der nationalsozialistischen Machtergreifung, in Berlin und der von Deutschen besetzten Atlantikfestung La Rochelle uraufgeführt und kam noch in einige im "Altreich" tätige Kinos.

Propagandaminister Goebbels pries den Film als "künstlerisches Loblied auf die Tapferkeit und Bewährung, die bereit ist, auch das größte Opfer für Volk und Heimat zu bringen". Viel genutzt hat die ideologische Aufrüstung mit dem aufwändig gemachten Durchhaltefilm nicht. Die allgemeine Kriegsmüdigkeit ließ sich durch das Epos nicht bekämpfen. Veit Harlan mühte sich nach dem Krieg und dem Ende der Nazidiktatur, die Mitverantwortung an "Kolberg" und anderen Streifen auf Goebbels abzuladen und sich lediglich als Befehlsempfänger zu stilisieren. Passiert ist ihm nicht viel, im Gegenteil, in der jungen Bundesrepublik gelang ihm mit einigen Filmen ein Neustart. Heute ist sein zwar durch hervorragende Schauspieler geadelter, aber sonst übler Propagandaschinken nur noch Spezialisten bekannt.

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