"Hier stehst du schweigend, doch wenn du dich wendest, schweige nicht

Neues Buch von Helmut Caspar über Untaten und Taten, Wörter und Unwörter aus der Zeit des faschistischen Regimes in Deutschland



Dass sich hinter der Maske des Preußentums die Fratze der
braunen Brandstifter und Mörder verbirgt, haben hellsichtige
Menschen schon vor Hitlers so genannter Machtergreifung am
30. Januar 1933 erkannt, wie diese Karikatur unterstreicht.




Der Brandanschlag auf das Berliner Reichstagsgebäudes in der
Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 war für die neuen
Machthaber ein willkommener Anlass, brutal und
blutig gegen die Opposition im Inneren vorzugehen.




Die Topographie des Terrors auf dem Gelände des früheren
Gestapohauptquartiers in Berlin veranschaulicht, wie
aus dem Deutschen Reich die NS-Diktatur wurde, welche
Ziele sie hatte und wer sich zu Hitlers willige Helfer machte.




Zum 80. Jahrestag der Errichtung der NS-Diktatur fand 2013
in Berlin die vielbeachtete Freiluftausstellung "Zerstörte Vielfalt"
statt. Auf zahlreichen Säulen und Tafeln wurde des Schicksals
ermordeter und überlebender Juden gedacht. (Fotos: Caspar)

Ausnahmsweise berichte ich auf meiner Internetseite in eigener Sache. Angeregt von dem Werk des Dresdner Romanisten und Überlebenden der faschistischen Rassenpolitik Victor Klemperer "LTI Lingua Tertii Imperii" ging ich vor Jahren auf die Suche nach charakteristischen Begriffen aus der Nazi-Sprache, und je mehr ich mich in dieses Thema befasste, um so mehr fand ich Wörter, die es verdient haben, für heutige Leser in einem Buch gut verständlich erläutert zu werden. Das im Februar 2016 im Verlag edition bodoni mit Sitz in Buskow bei Neuruppin erschienene Nachschlagewerk mit 350 Seiten will und kann sich nicht an dickleibigen Enzyklopädien und mehrbändigen Einzeldarstellungen messen. Aber es scheint geboten, angesichts der rechtsextremen Entwicklungen in unserem Lande Begriffe von der Lügenpresse bis zur Volksgemeinschaft, von fremdvölkischer Überfremdung bis zum arteigenen Blut und zur Rassenreinheit zu benennen und zu brandmarken. Dass sie heute ungeachtet ihrer tiefbraunen Belastung in bestimmten Kreisen wieder en vogue sind und auf einschlägigen Internetseiten zu finden sind, ist ein unerträglicher Skandal und erfordert eine klare Antwort.

Das Motto des Lesebuches "Hier stehst du schweigend, doch wenn du dich wendest, schweige nicht" fand ich auf dem Jüdischen Friedhof an der Schönhauser Allee im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Für mich als Historiker, Journalist, Buchautor und kritischer Beobachter vergangener und heutiger Ereignisse und Gestalten ist es Antrieb, mich mit den Verbrechen der NS-Diktatur zu befassen und zu ergründen, warum Millionen Menschen zu Hitlers willigen, ja begeisterten Helfern wurden und sich dabei die Hände blutig machten. Am Ende des Buches gehe ich der Frage nach, wie in beiden deutschen Staaten die so genannte Vergangenheitsbewältigung vonstatten ging und wer nach der ersten Schuld durch Wegsehen, Verharmlosen, Leugnen und Berufung auf Befehlsnotstände eine zweite Schuld auf sich lud.

Mein Buch erfasst bei weitem nicht die überaus komplexe Geschichte der Nazi-Zeit und des Zweiten Weltkriegs, sondern konzentriert sich auf vier Schwerpunkte. Es sind dies die Weltherrschaftspläne der Nazis und ihre Helfershelfer, ferner die vielfältigen Widerstandsformen und -gruppen, die nicht die Kraft hatten, entscheidend in das Rad der Geschichte einzugreifen. Die Zerschlagung des NS-Regimes und damit die Befreiung Deutschlands durch die Anti-Hitler-Koalition bilden den dritten Schwerpunkt. Schließlich geht es um den Umgang der Deutschen in Ost und West mit den ungeheuerlichen Verbrechen, die von Deutschen begangen wurden, und um das Fortleben der Täter und der Opfer bis heute. Erinnert wird vornehmlich an Geschehnisse in Berlin, doch bietet das Buch bietet nicht nur Lexikalisches, sondern bemüht sich darüber hinaus, Hintergründe zu erschließen und aktuelle Bezüge herzustellen. Die Stichworte zeigen, wie das NS-Regime seine unmenschlichen Maßnahmen einerseits mit verschleiernden Wörtern umschrieb und auf der anderen Seite die Dinge unverblümt beim Namen nannte, die ihm bei der Durchsetzung seiner rassistischen Politik und seiner Weltherrschafts- und Kriegspläne wichtig waren.

Mit seinem 1947 und später in weiteren Auflagen veröffentlichten Buch über die Sprache des Dritten Reichs hat Victor Klemperer ein Grundlagenwerk darüber geschaffen, wie der Alltag in der NS-Zeit funktioniert hat und wie es möglich war, dass so viele Deutsche den demagogischen Parolen und Verheißungen der Nazis folgten. Aus seinem Amt als akademischer Lehrer und Professor vertrieben, in Dresdner Judenhäusern untergebracht und zur Zwangsarbeit verpflichtet, blieb dem Sprachforscher durch einen grausamen Zufall die Deportation als einer der letzten Dresdner Juden erspart. Am 13. Februar 1945, als er sich bei der Gestapo melden sollte, ging die Stadt im anglo-amerikanischen Bombenangriff unter. "Am Abend dieses 13. Februar brach die Katastrophe über Dresden herein: die Bomben fielen, die Häuser stürzten, der Phosphor strömte, die brennenden Balken krachten auf arische und nichtarische Köpfe, und derselbe Feuersturm riss Jud und Christ in den Tod; wen aber von den etwa 70 Sternträger diese Nacht verschonte, dem bedeutete sie Errettung, denn im allgemeinen Chaos konnte er der Gestapo entkommen", beschrieb Klemperer seine Rettung. Er lebte und lehrte hochgeehrt in der DDR und starb 1960 in Dresden. "Ich möchte gar zu gerne am Auspumpen der Jauchengrube Deutschlands mitarbeiten, dass wieder etwas Anständiges aus diesem Lande werde", erklärte er 1946 und tat dies im deutschen Osten, den er im Vergleich zum deutschen Westen mit seinen zu neuen Ehren gekommenen Naziverbrechern als das kleinere Übel betrachtete

Klemperer und viele andere Juden, Nazigegner und weitere vom NS-Regime als so genannte Gemeinschaftsfremde eingestufte Menschen konnten überleben, weil sie stille Helfer hatten. An sie erinnern hierzulande manche Gedenkstätten, und eine ist die Blindenwerkstatt Otto Weidt in der Rosenthaler Straße unweit des S-Bahnhofs Hackescher Markt in Berlin. Der sehbehinderte Fabrikant von Besen und Bürsten war ein entschiedener Nazigegner. Er half Juden wo er nur konnte, nahm sie bei sich auf, versorgte sie mit Lebensmitteln, die er sich illegal auf dem "schwarzen Markt" verschaffte, und stattete sie mit Arbeitserlaubnissen und falschen Papieren aus. Er ermunterte Vertraute, sich untergetauchter Juden anzunehmen. Indem er Polizisten und Beamte bestach, gelang es ihm, einige seiner Schützlinge zu retten. Die Ausstellung "Blindes Vertrauen" in der ehemaligen Bürstenfabrik zeichnet ein erschütterndes Bild der ständig von Entdeckung, Deportation und Tod bedrohten Juden. Sie würdigt Otto Weidt als einen jener stillen, unbesungenen Helden, die dem blutbesudelten Naziregime Humanität und Mitleiden entgegensetzten, und sie zeigt, dass es in der Nazizeit couragierte Menschen gab, die ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten, um anderes zu retten.

In mein Gedächtnis eingebrannt sind die Warnungen und Mahnungen, die Thomas Mann aus dem Exil über die BBC London seinen Landsleuten während des Zweiten Weltkriegs zurief und später unter dem Titel "Deutsche Hörer" veröffentlicht hat. "Die Welt braucht Frieden, um Lebens und Sterbens willen braucht sie ihn, und darum kann sie den Nationalsozialismus, der keinen anderen Sinn und Zweck hat als Krieg, der nie etwas anderes meinte und in sich trug als Krieg, nicht brauchen. Koste es was es wolle, an Zeit und Opfern, - die Erde muss von ihm befreit, die Menschen von ihm erlöst werden!" sagte der Literaturnobelpreisträger am 1. Januar 1945. Es wurde noch unendlich viel Blut vergossen, es sanken noch viele Städte in Schutt und Asche und Millionen Menschen mussten ihre Heimat verlassen, bis die Nazidiktatur im Orkus der Geschichte verschwunden war. Die Worte des Dichters sind uns heute angesichts zunehmender globaler Konflikte und Bedrohungen und einer bedenklichen Entwicklung nasch rechts ernste Mahnung.

Nicht alle Menschen in diesem Land haben sich von der NS-Ideologie gelöst. Alt und Neonazis weinen auch heute Hitler und seinem Großdeutschen Reich Tränen nach. Es gibt Unverbesserliche, die dieses zurück haben wollen, "arischer Blutreinheit" das Wort reden und so genannte Fremdvölkische, neuerdings auch Zuwanderer und Flüchtlinge zum Teufel jagen möchten. Allen denen, die dieser neuen Verherrlichung eines im Orkus der Geschichte verschwundenen Regimes und Hass gegen alles Fremde und Ungewohnte eine Absage erteilen wollen und ihre Argumente mit historischen Fakten untermauern möchten, sei das Lesebuch zur Beachtung und Beherzigung empfohlen. Die alphabetisch geordneten Stichworte des Buches reichen von der Adolf-Hitler-Spende bis zum Giftgas Zyklon B. Sie werden durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis ergänzt, das sowohl auf Quellen verweist, aus denen ich geschöpft habe, aber auch als Anregung für vertiefende Lektüre gedacht ist.

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