Häftlinge bekamen Namen und Gesicht

Ehemaliges Stasi-Gefängnis in der Potsdamer Lindenstraße 54 erhielt den Status
einer Stiftung und wird vom Land Brandenburg und der Landeshauptstadt finanziell unterstützt



Hinter den Hohen Mauern des Hauses Lindenstraße 54 erstreckt sich ein bedrückendes
Labyrinth von Zellen sowie Räumen für Verhöre und Gefängnisverwaltung.




Der Bildhauer Wieland Förster erinnert mit dieser Skulptur im Hof des Gefängnisses an die Opfer zweier Diktaturen.





Wer das ehemalige Gefängnis besucht, lernt eine zum Glück überwundene Welt
der Unterdrückung, Ausgrenzung und Willkür kennen. (Fotos: Caspar)

Dass es mitten in Potsdam ein berüchtigtes Stasi-Gefängnis gab, in dem Menschen inhaftiert waren, die für Freiheit, Demokratie und nationale Einheit eintraten, bei so genannter Republikflucht gefasst wurden oder sich wegen ihrer Forderung nach "demokratischem Sozialismus" verdächtig gemacht hatten, wissen viele Potsdamer nicht. Die bedrückende Kontinuität von Willkür, Unterdrückung, Freiheitsberaubung und Mord im Haus Lindenstraße 54 und die persönlichen Schicksale der Betroffenen sind Themen von Führungen und Veranstaltungen in dem 1737 als Stadtpalais erbauten Haus mit einer roten Klinkerfassade. Im Guten wie im Bösen repräsentiert es wichtige Etappen deutscher, preußischer und Potsdamer Geschichte. 1809 war das Gebäude in der Nähe des Holländischen Viertels Tagungsort der ersten frei gewählten Stadtverordnetenversammlung und diente ab 1820 als Stadtgericht und Gefängnis.

Während der NS-Diktatur waren hier Widerstandskämpfer inhaftiert. Der Potsdamer Volksgerichtshof verurteilte den bekannten Sportler Werner Seelenbinder und andere Oppositionelle zum Tode. Am Eingang zur Gedenkstätte erinnert eine Tafel daran, dass in der Lindenstraße 54 vom März 1934 bis November 1944 das so genannte Erbgesundheitsgericht Potsdam zusammen trat und mehr als 4000 Menschen zur Zwangssterilisation verurteilte. "Die 'Erbgesundheitsgerichte' entstanden zur Durchsetzung des 'Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses'. Sie waren ein Instrument des rassistischen Terrors, der sich gegen Menschen richtete, die nicht in das NS-Menschenbild passten. Die hier verhandelten Zwangssterilisationsverfahren waren ein Eingriff in die Würde und Autonomie der Opfer". Der von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) verfasste und im März 2009 angebrachte Text macht darauf aufmerksam, dass die Opfer Jahrzehnte ausgegrenzt und erst 2007 rehabilitiert wurden.

Vom britischen Bombenangriff auf Potsdam am 14. April 1945 verschont, war das Haus von 1945 bis 1952 Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes. Ein hier tagendes Militärtribunal verurteilte im Minutentakt wirkliche oder vermeintliche Naziverbrecher zu langjährigen Haftstrafen oder zum Tode. Von 1952 bis 1989 wurden politische Häftlinge des DDR-Staatssicherheitsdienstes in dem Gefängnis inhaftiert, und in verschiedenen Räumen wird an das Schicksal der von den Bewachern nur mit einer Nummer angesprochenen Gefangenen sowie den bedrückenden Häftlingsalltag erinnert. Indem die von der Außenwelt isolierten Männer, Frauen und Jugendlichen einen Namen erhielten und an sie in Bild und Schrift erinnert wird, trägt die Gedenkstätte dazu bei, Traumata zu überwinden. Immer wieder bekunden Besucher beim Rundgang durch die Stätten ihrer Leiden, wie wichtig diese Art der Erinnerungskultur für sie und ihre Familien ist und dass sie einen Namen und ein Gesicht bekommen.

Dass die Lindenstraße 54 eine Gedenkstätte mit überregionaler Bedeutung geworden ist, ist dem Engagement zahlreicher Akteure zu verdanken. Unmittelbar nach der Übergabe des Gebäudes durch die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit sicherten Mitarbeiter des Potsdam-Museums das Gebäude und setzten sich für seinen Erhalt ein. Auf Initiative der "Fördergemeinschaft Lindenstraße 54" und einen Beschluss der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung wurde der weitläufige, durch Stacheldraht gesicherte Gebäudekomplex zu einer Gedenkstätte erhoben. Als einer der wichtigsten authentischen Gedenkorte im Land Brandenburg erinnert das Haus an die Diktaturgeschichte des 20. Jahrhunderts und die Überwindung der zweiten deutschen Diktatur durch die friedliche Revolution von 1989/90 in der DDR. Unterstützt wird die Gedenkstättenarbeit von der "Fördergemeinschaft Lindenstraße 54", die im Februar 1995 als politischer, parteiunabhängiger Verein gegründet wurde, um am Beispiel dieses Hauses an die Unterdrückung von Menschen durch Menschen und ihren Widerstand gegen diktatorische Systeme zu erinnern. Die Fördergemeinschaft bietet jenen Opfern ein Forum, die unter politischer Verfolgung leiden mussten, und informiert durch Vorträge, Gesprächsrunden und weitere Aktionen über die Opfer und die Täter. Seit Februar 2007 gibt es in dem ehemaligen Palais eine ständige Ausstellung über die Geschichte dieses Ortes als sowjetisches Geheimdienst- sowie als Stasi-Untersuchungsgefängnis. Die Ausstellung wurde vom Potsdam-Museum und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung gemeinsam erarbeitet.

Potsdams Bürgermeister Burkhard Exner und der Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Martin Gorholt, haben die neu gegründete Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße präsentiert. "An diesem authentischen Ort des Gedenkens - einem Haus, das im 20. Jahrhundert Erbgesundheitsgericht, Untersuchungsgefängnis des sowjetischen Geheimdienstes, Stasi-Untersuchungsgefängnis und später Haus der Demokratie wurde - wird die Stiftung künftig die Erforschung, Dokumentation und Förderung des Andenkens an Verfolgte von Diktaturen fortsetzen", so Bürgermeister Exner. Die Gedenkstätte Lindenstraße sei ein besonderer Kristallisationspunkt der Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte und stehe heute als Gedenkort für die Überwindung der Diktatur. "Sie ist ein wichtiger Bestandteil der zeitgeschichtlichen Erinnerungskultur unseres Landes und der historisch-politischen Bildung für nachfolgende Generationen. Gerade junge Menschen sollen für Mechanismen eines Unrechtssystems sensibilisiert werden - und damit auch für die Notwendigkeit, sich aktiv für Freiheit, Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Toleranz einzusetzen", sagte Gorholt. Die Stiftung wird mit finanziellen Mitteln bis zu 600 000 Euro jährlich ausgestattet, die je zur Hälfte durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur und von der Landeshauptstadt Potsdam aufgebracht werden.

Im Internet www.foerdergemeinschaft-lindenstrasse.de

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