Impertinent und uneinsichtig

Nach ihrer Entmachtung gaben sich Margot Honecker und ihr Ehemann Erich Honecker als verfolgte Unschuld aus



Margot Feist war die jüngste Abgeordnete der DDR-Volkskammer. Das Plakat
von 1951 zeigt, wie sie dem Präsidenten Wilhelm Pieck zum 75. Geburtstag gratuliert.




Fröhliches Jugendleben im Zeichen des Sozialismus feiert ein Wandgemälde
von Max Lingner aus den frühen 1950-er Jahren in der Wandelhalle des heutigen
Bundesfinanzministeriums am Platz des 17. Juni Ecke Wilhelm- und Leipziger Straße.




Junge Pioniere nicht mit roten Halstüchern stehen fest an der Seite der
Partei - so wenigstens hätte es Margot Honecker immer und überall gewollt.




Das Plakat schildert die Geborgenheit der Jungen und Mädchen in der Schule
nach Motto "Fröhlich sein und singen". Die Realität unterschied sich wesentlich
von solcher Propaganda. (Foto/Repros: Caspar)


Margot Honecker, geb. Feist, die Witwe von Erich Honecker und früherer DDR-Volksbildungsministerin, ist in Chile mit 89 Jahren gestorben. Es gibt wohl kaum jemand, der ihr eine Träne nachweint, um einen von ihrem Mann 1989 in Bezug auf die Fluchtbewegung aus der DDR benutzten und ihm von seinen Untertanen übel genommenen Satz zu verwenden. Die Nachrufe waren wenig ehrenvoll. Von gusseiserner Lady und lila Hexe war die Rede wegen der ungewöhnlichen Haartönung, durch die Margot Honecker in besseren Tagen schon von weitem zu sehen war, von uneinsichtiger Dogmatikerin und Stalinistin und manch anderem war die Rede. Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen und Jenaer Bürgerrechtler Roland Jahn fordert, endlich die Taten und Untaten der Volksbildungsministerin aufzuarbeiten. Jahrzehntelang habe sie gnaden- und rücksichtslos sozialistische Ideologie an Schulen und in Kindergärten der DDR durchgesetzt. Generationen von jungen Menschen hätten sich ihren dogmatischen Vorgaben und unterordnen müssen, und manche Charaktere seien gebrochen worden und würden bis heute an Schäden aus dieser Zeit leiden.

Auch Hubertus Knabe, Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, kritisiert Margot Honecker. "Viele Menschen leiden bis heute unter den Folgen der brutalen Umerziehung. Sie hat all dies stets verteidigt. Einem Strafverfahren entzog sie sich durch Flucht nach Chile, wo sie 26 Jahre lang eine auskömmliche Rente aus Deutschland bezog - die sie als ‚unverschämt niedrig' bezeichnete." Es sei diese Impertinenz gewesen, die sie in der DDR zur meistgehassten Funktionärin nach Stasi-Chef Erich Mielke gemacht habe. "Bis zu ihrem Tod blieb sie ihrem Ruf einer bösen, verstockten Frau treu. Es gibt wenige Menschen, bei deren Tod einem partout nichts Positives einfallen will. Margot Honecker ist solch eine Person." Sie habe zu den SED-Genossen gehört, die bis zum letzten Tag keinerlei Kritik an ihrem eigenen Handeln zugelassen hätten, erklärte der Vorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, Dieter Dombrowski. Der von der Stasi drangsalierte und bedrohte Berliner Pfarrer und DDR-Dissident Rainer Eppelmann sagte 1993 über Margot Honecker: "Wenn Kindern das Rückgrat gebrochen, wenn sie zur Lüge und Heuchelei erzogen wurden, wenn Eltern und Schüler vor Schulleitern, FDJ-Sekretären und Staatsbürgerkundelehrern den Kotau machten, wenn im Unterricht das Töten verherrlicht wurde, dann trug dafür vor allem Margot Honecker die Verantwortung."

Kaltherzig und unbelehrbar

1994 war ein Ermittlungsverfahren gegen Margot Honecker wegen Zwangsadoptionen von Kindern von so genannten Republikflüchtlingen eingestellt worden. Auch Ermittlungen wegen der unmenschlichen Zustände in DDR-Jugendwerkhöfen führten zu keiner Verurteilung. Uneinsichtig und selbstgerecht hielt die nach Chile ausgewanderte Ex-Ministerin an ihrer Überzeugung fest, alles zum Wohl der Kinder und Heranwachsenden in der DDR getan zu haben. In einem der seltenen Interviews, das sie nach dem Tod ihres Mannes (1994) einem deutschen Fernsehteam gab, behauptete sie, dem Sozialismus in der DDR habe die Zeit gefehlt, um alle seine Vorzüge zu entfalten. Nach ihrer Meinung zu den Toten an der Mauer gefragt, räumte sie ein, es lasse einen nicht ruhig, wenn ein junger Mensch auf diese Weise ums Leben kommt, doch liege die Schuld an dem Toten selbst. "Der brauchte ja nicht über die Mauer zu klettern. Diese Dummheit mit dem Leben zu bezahlen, das ist schon bitter". Die hier zum Ausdruck kommende Kaltherzigkeit deckt sich mit Argumenten anderer Apologeten des SED-Regimes, die den Flüchtlingen die Schuld an den Todesschüssen gaben und nicht den Verhältnissen, die viele Menschen zum Verlassen der DDR veranlassten.

Aus einer Familie stammend, die unter dem NS-Regime litt, trat die 1927 in Halle an der Saale geborene Margot Feist nach dem Krieg in die KPD und bald darauf in die SED ein. Sie lernte den jungen SED-Funktionär und Vorsitzenden der FDJ Erich Honecker kennen und lieben, der aber noch verheiratet war. Der in solchen Dingen sehr ehrpusselige Parteichef Walter Ulbricht nötigte Honecker, sich von seiner Frau Edith Baumann zu trennen und die Beziehung mit Margot Feist durch eine Heirat zu legitimieren, was dann auch geschah. Die Nähe zur Parteiführung tat der jungen Aufsteigerin in jeder Hinsicht gut. Wie ihr Mann, mit dem sie die Tochter Sonja hatte, machte sie Karriere, stieg in der Hierarchie der Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend und bei den Thälmannpionieren auf, saß in der DDR-Volkskammer und wurde 1963 Ministerin für Volksbildung und Mitglied des Zentralkomitees der SED.

Wehrerziehung und Zwangsadoptionen

Margot Honecker konnte charmant und offen für neue Ideen sein, und manche Leute, auch solche im Ausland, ließen sich von ihren ungezwungenen Auftreten und ihrer weltgewandten Fassade blenden. Dabei hielt sie stur an den Dogmen fest und ließ sich auch nicht durch akademisch gebildete Pädagogen und Erziehungswissenschaftler von ihrer eingeschlagenen Richtung nicht abbringen. Als sich in der Endphase der DDR oppositionelle Strömungen und Meinungen in DDR-Schulen Gehör verschafften, hagelte es Disziplinarmaßnahmen gegenüber Schülern und Lehrern, und immer hatte die Staatssicherheit ihre Hand im Spiel, um Abweichungen von vorgegebenen Normen im Keim zu unterdrücken.

Als Ehefrau des mächtigen Erich Honecker war Margot Honecker nahezu unantastbar. An der Spitze des Volksbildungsministeriums stehend, war sie für das Wohl und Wehe von hunderttausenden Lehrern, Kindergarten-, Heim- und Horterziehern sowie Schulfunktionären und vor allem von Generationen von Schülerinnen und Schülern verantwortlich. Wie ihr Mann all die Jahrzehnte innerlich unbeirrt dem "großen Stalin" verbunden und verpflichtet, prägte sie mit Gesetzen, Weisungen und Verboten das sozialistische Bildungssystem. Sie führte sie den Polytechnischen Unterricht in den Schulen und den Wehrunterricht ein. Sie trug Verantwortung für die Jugendwerkhöfe, für die Benachteiligung von Kindern regimekritischer und von christlicher Eltern, denen aus politischen Gründen höhere Bildung und ein Studium verweigert wurde, und sie erließ Weisungen, um politischen Häftlingen ihre Kinder zum Zwecke der Zwangsadoption zu entziehen.

Auf der Prioritätenliste der SED und des Ministeriums für Volksbildung stand die Wehrerziehung ganz oben, mit der "die uneingeschränkte Bereitschaft aller Bürger zur Verteidigung unserer sozialistischen Errungenschaften" erreicht werden sollte. Die Unterweisungen begannen bereits im Kindergarten und umfasste Besuche bei Patenbrigade in den so genannten bewaffneten Organen, also Polizei und Armee. Wehrerziehung, jene laut ostdeutscher Lexikondefinition "Gesamtheit aller Maßnahmen zur ideologischen, charakterlichen und physischen Formung der Bürger unseres Staates im Hinblick auf die umfassende Verteidigung der DDR", fand in Kinderferienlagern und bei Ferienspielen statt. Sie wurde in den höheren Klassen als praxisnahe Ausbildung mit Hilfe von Attrappen von Waffen und Munition fortgesetzt. Geübt wurden Antreten sowie Marschieren im Gleichschritt, Melden und Grüßen, ferner Orientieren und Überlebenstraining in unbekanntem Gelände. Außerdem gab es Vorformen des in der Nationalen Volksarmee praktizierten Politunterrichts, in dem die Heranwachsenden einer Art Rotlichtbestrahlung unterzogen wurden.

Sanktionen gegen Oppositionelle

Seit 1978 war der Wehrunterricht in den 9. und 10. Klassen für Jungen obligatorisch, verbunden mit zweiwöchigen Wehrlagern, Mädchen wurden derweil in der Zivilverteidigung ausgebildet. Bei den Veranstaltungen standen die Nationale Volksarmee und die Gesellschaft für Sport und Technik Gewehr bei Fuß. Wer sich der Wehrerziehung und vormilitärischen Ausbildung in der Oberschule, bei der Lehrlingsausbildung und im Studium aus politischen und/oder religiösen Gründen entziehen wollte, bekam erhebliche Schwierigkeiten und schlechte Beurteilungen, die sich auf den weiteren beruflichen Werdegang der Verweigerer und ihrer Eltern negativ auswirken konnten. Dennoch haben sich viele junge Leute der vormilitärischen Ausbildung entzogen und wurden dabei von Friedensgruppen und den Kirchen unterstützt. Im Oktober 1988 ließ Margot Honecker vier Pankower Oberschüler von der Schule entfernen, die an einer Wandzeitung nach dem Sinn von Militärparaden zum Nationalfeiertag gefragt hatten. Der Fall fand großes Aufsehen und war einer der Nägel am Sarg des zweiten deutschen Staates, den zu verteidigen auch Margot Honecker geschworen hatte. Einer der damals relegierten Schüler, der heutige CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Lengsfeld, sagte über die Ministerin, ihre Untaten sprächen für sich. "Das von Margot Honecker verantwortete Bildungssystem war die DDR im Kleinen: vernormt, dogmatisch, unfrei."

Kaum hatte Erich Honecker am 18. Oktober 1989 seinen Posten als SED-Generalsekretär, als Staatsratsvorsitzender und Chef des Nationalen Verteidigungsrates verloren, war es auch mit seiner Frau vorbei. Die ehemals gefürchtete Hardlinerin trat mit der Regierung Stoph zurück, und im Dezember 1989 musste sie sich vor dem Volkskammer-Untersuchungsausschuss zur Überprüfung von Amtsmissbrauch und Korruption verantworten. Von der Staatsanwaltschaft verhört, wies sie die Inanspruchnahme von Westdevisen weit von sich und behauptete, keine Privilegien genossen zu haben. Sie habe in Wandlitz nicht eingekauft, sondern in Berlin, sagte sie später einem Vertrauten. In Gegenwart ihres Mannes erklärte sie, Regierungsempfänge und repräsentative Auftritte seien nichts für sie gewesen. Dass die Ehe mit Erich Honecker nicht intakt war, pfiffen die Spatzen von den Dächern, aber im Interesse der Partei- und Staatsräson blieben die beiden zusammen. Eine Scheidung hätte auch das Ende als Volksbildungsministerin bedeutet, außerdem hätte sie aus der Politbürosiedlung Wandlitz ausziehen und sich mit weniger Komfort und angemaßten Vorechten zufrieden geben müssen (zum Thema Wandlitz folgt auf dieser Internetseite ein Beitrag). Kenner der Szene behaupteten, Frau Honecker sei im "Wartburg" und mit Perücke durch die Republik gefahren, und sie habe sich, längst der Realität des DDR-Alltags entrückt, gewundert, warum vor den Läden so lange Warteschlangen stehen. Ab 1992 lebte die Ex-Ministerin nahe ihrer Tochter Sonja, die mit einem Chilenen verheiratet ist, in Santiago de Chile. Der todkranke Erich Honecker folgte ihr 1993 dorthin, nachdem in Berlin alle Gerichtsverfahren gegen ihn eingestellt worden waren.

(9. Mai 2016)

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