"Keine Feier ohne Meyer"
Beim Teufel Alkohol verdiente der Staat schon immer kräftig mit, doch regte sich auch Widertstand




Drastisch nimmt die Karikatur aus der Kaiserzeit die "Junker
und die Protzen",also die Profiteure des Alkoholkonsums
bei den Deutschen, aufs Korn.




"Kinder sauft", rät der wohlgenährte und mit Orden behängte
Schnapsfabrikant der armen Familie, und meint damit,
dass sie dann aller Sorgen ledig ist. Karikatur von
Eduard Thöny im "Simplicissimus" von 1909.




"Vater sitzt in die Destille und Mutter liegt im
Landwehrkanal,heite gibt's keen Kaffee" lässt Heinrich
Zille die Kinder auf seiner Zeichnung von 1902
"Das kalte Frühstück" sagen. (Repros: Caspar)

Heinrich Zille, der Zeichner des Berliner "Milljöhs", hat aus bester Kenntnis der Berliner Säufer- und Budikenwelt ein bleibendes Denkmal gesetzt. Hinter der von ihm geschilderten Kneipengemütlichkeit verbergen sich soziales Elend, Gewalt, Krankheiten und Perspektivlosigkeit. Mit viel Liebe zum Detail sprach Zille ein in Berlin und darüber hinaus weit verbreitetes Problem an, das des Alkoholismus. Um 1905 sollen in der Reichshauptstadt auf einhundert Familien etwa vier Kneipen gekommen sein. Das war, verglichen mit Hamburg, Dresden, München oder Leipzig, ein bedenklich hoher Anteil. An jeder Straßenecke konnte man in der Reichshauptstadt Bier und billigen Schnaps trinken. Angesichts der beengten Wohnverhältnisse in den berüchtigten Mietskasernenvierteln blieb einem großen Teil der Arbeiterschaft, der kleinen Angestellten und anderer Bevölkerungskreise offenbar nichts anderes übrig, als ihre Freizeit vor allem in Kneipen zu verbringen. In der Säuferszene gab es viele Obdachlose, aber auch Familienväter, und wenn sie ihr bisschen Geld beim Trinken, Rauchen und Kartenspielen ausgegeben hatten, schrieben die Wirte an und verschoben die Bezahlung auf den nächsten Lohntag. Verständlich, dass die um die Existenz ihrer Familien besorgten Ehefrauen und Mütter am Zahltag regelmäßig vor den Fabriktoren erschienen, um ihren Männern etwas vom Lohn abzunehmen, bevor er verflüssigt wurde.

Gegen den grassierenden Alkoholmissbrauch mit all seinen schlimmen Auswirkungen wie Kriminalität, Prostitution, Krankheit und Verelendung regte sich Widerstand. Mediziner warnten vor den Gefahren für die Gesundheit und erklärten, dass es um die Nachkommen der Trinker nicht zum Besten bestellt sei. Doch auch Geistliche, Politiker und Militärs schalteten sich ein. Die Erkenntnis griff um sich, dass die Wirtschaft und die Armee mit Betrunkenen nichts anfangen können. Indes waren die Appelle, vom "Teufel Alkohol" abzulassen, scheinheilig, denn der Staat verdiente an ihm über Steuern kräftig mit, und die Brauereien und Schnapsfabriken malten das Gespenst der Insolvenz an die Wand, wenn ihre Kunden ausbleiben.

Dessen ungeachtet etablierte sich in Berlin und im Kaiserreich eine Abstinenzbewegung, die sich in bürgerlichen Schichten, aber auch in der Arbeiterbewegung Gehör verschaffte. Antialkoholvereine wetterten gegen Bierpaläste und Kneipen, aber auch gegen Schnapsfabrikanten und die mächtigen Brauereikonzerne. In den Kampagnen wurden argumentiert, dass betrunkene und von "Gehirnerweichung" befallene Proletarier ihre Rechte nicht mehr wahrnehmen können. Zu "Biersklaven" erniedrigt, seien sie ein leichtes Opfer von Ausbeutung und außerdem für die Revolution verloren. Diesen Vorwürfen hielten Lobbyisten entgegen, dass in SPD-Parteilokalen und bei Arbeiterausflügen viel getrunken wird, ja dass sich das ganze Elend nur im "Suff" ertragen lässt.

Erfolgreich im Kampf für den Alkohol war das 1890 in der Oranienburger Straße gegründete und schon bald im Wedding produzierende Spiritus- und Produkten-Kommissions-Geschäft von Hermann Meyer. Es unterhielt quer durch die Stadt Filialen für Alkoholitäten und Lebensmittel und verfügte 1898 bereits über etwa 250 solcher Niederlagen. Die Meyer-Läden gehörten bald zum Stadtbild wie Blumenfrauen, Polizisten und Dienstmänner. Erfolgreich mit dem Slogan "Keine Feier ohne Meyer" werbend, erlebte die Firma Höhenflüge und schwierige Zeiten. Dass der 1913 verstorbene Firmengründer Hermann Meyer und zwei seiner Teilhaber Juden waren, spielte vor 1933 keine große Rolle. Nach der Errichtung der NS-Diktatur zunehmend antisemitischen Angriffen ausgesetzt und mit anderen als "typisch jüdisch" diffamierten Firmen zum Totengräber des deutschen Volkes abgestempelt, wurde die Firma bis 1938 arisiert, wie man damals sagte. Wer von den Mitarbeitern jüdischer Herkunft noch konnte, floh ins Ausland, viele aber schafften es nicht und wurden ermordet.

Das Schnaps- und Lebensmittelimperium wurde 1941 in Robert Melchert & Co. AG umbenannt. Eine Annonce umschrieb die rassistisch begründete Enteignung so: "Früher Meyer - Jetzt Melchert. Natürlich: Jeder Berliner erinnert sich bei dem Namen ,MEYER' an die vielen kleinen Schnaps- und Lebensmittelfilialen von früher. Seit 3 Jahren hat sich dieses Bild geändert. Aus den vielfach unscheinbaren und oft im Keller gelegenen Läden wurden saubere, neuzeitlich ausgestattete und gut geleitete Wein-, Spirituosen- und Lebensmittel-Geschäfte, zum Teil erstklassige Feinkost-Häuser. Heute geben wir der Firma den Namen des Mannes, der als Träger dieser Entwicklung unser Unternehmen zu Ansehen und Erfolg führte".

Nach dem Zweiten Weltkrieg schaffte die Firma Meyer in den Berliner Westsektoren unter ihrem alten Namen ein Comeback, während ihre Einrichtungen im Ostteil und in der Sowjetischen Besatzungszone enteignet wurden. Das Unternehmen hat das 1962 in Westberlin gegründete Berlin Museum mit Kunstwerken und Exponaten aus seiner hundertjährigen Geschichte unterstützt und wurde 1990 von diesem mit einer Ausstellung geehrt.

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