"In der Not: Opfertod"

Vor 80 Jahren wurde das Berliner Olympiastadion eröffnet, und die Gestapo sorgte mit Massenverhaftungen für ein "sauberes" Sportspektakel



Während der Wettkämpfe kreiste ein Zeppelin mit Hakenkreuzfahne über
dem neuerbauten Olympiastadion. Plakat von 1936.




In den vergangenen Jahren wurde das Berliner Olympiastadion umfassend für
die Aufgaben des 21. Jahrhunderts fit gemacht.




Die an siegreiche Athleten vergebene Medaille von 1936 lässt nicht erkennen,
dass die Olympischen Spiele eine von den Nazis organisierte und dominierte Show war.




Das Olympiagelände wurde 1936 mit riesigen Muskelmännern und
mythischen Figuren geschmückt, einige sind noch erhalten.




Die 4,28 Meter hohe Glocke aus Gussstahl wurde am 11. Mai 1936
in den Glockenturm gehoben. Die Sprengung 1947 durch die Briten
überstand sie mit einem kleinen Riss. Die Glocke im Glockenturm
ist eine Nachbildung. (Fotos/Repro: Caspar)


Olympische Spiele sollten bereits 1916 im Deutschen Stadion in Berlin veranstaltet werden. Doch machte der Erste Weltkrieg dem Plan einen Strich durch die Rechnung, denn niemand konnte und wollte in der Arena um sportlichen Lorbeer kämpfen. Als 1931 die Olympischen Spiele für 1936 nach Berlin vergeben wurden, geschah dies auch deshalb, weil in der deutschen Reichshauptstadt bereits weitläufige Sportanlagen existierten. Das NS-Regime nutzte die Chance, die Austragung der XI. Olympischen Spiele in Berlin für seine außenpolitische Aufwertung und bediente sich alter Baupläne. Da sich Hitler als großer Künstler und Architekt empfand, war er persönlich daran interessiert, dass die Anlagen noch viel prächtiger und monumentaler gebaut werden als je zuvor. Albert Speer, Hitlers rechte Hand in Sachen Architektur und Städtebau, hat eine charakteristische Äußerung seines Chefs über die Zukunft des Olympiageländes überliefert. "Als wir über die Olympischen Spiele sprachen, wies ich ihn darauf hin, dass das Leichtathletiksportfeld nicht den vom Olympischen Komitee vorgeschriebenen Maßen entsprach. ,Das ist mir egal', sagte Hitler. ‚1940 werden die Spiele in Tokio durchgeführt, aber danach werden sie für alle Zeiten in Deutschland stattfinden, in diesem Stadion. Und dann werden wir die notwendigen Abmessungen vorschreiben.'"

Bei der Ausführung der Baupläne des Architekten Werner March spielte Geld keine Rolle. Auf dem Reichssportfeld entstanden ein riesiger Olympischer Platz, das Olympiastadion für 100 000 Zuschauer und ein als Aufmarschplatz und für Kundgebungen konzipiertes Maifeld mit dem alles überragenden Glockenturm. Hinzu kamen die nach einem Helden der NS-Bewegung benannte Dietrich-Eckart-Freilichtbühne, die heute als Waldbühne bekannt ist, sowie das Sportforum mit der Reichsakademie für Leibesübungen und das Haus des Deutschen Sports. Ergänzt wurde das Ensemble durch weitere Stadien und andere Bauten. Die neuen Arenen wurden üppig von Bildhauern mit nordisch-muskulösen Athle-tenfiguren ausstaffiert. Neben dem von Albert Speer konzipierten Nürnberger Reichsparteitagsgelände, der riesigen KdF-Ferienanlage in Prora auf der Ostseeinsel Rügen und dem Zentralflughafen Berlin-Tempelhof verkörpert das 131 Hektar große Reichssportfeld und das Olympiastadion überdeutlich den Herrschafts- und Machtanspruch seiner Bauherren.

Das Regime wusste mit den Olympischen Spielen sowohl national als auch international Eindruck zu schinden und das Deutsche Reich als ein Land darzustellen, in dem der Sport aufgeblüht ist wie nie zuvor. Sport spielte im NS-Staat eine herausragende Rolle. Er war für ihn wichtig als Kitt für die Volksgemeinschaft, als Mittel der Disziplinierung der "Volksgenossen" von Kindesbeinen an und als Maßnahme, die Jugend zu stählen und sie körperlich und mental auf einen künftigen Krieg vorzubereiten. Mit Helden des Sports ließ sich im In- und Ausland punkten. Spitzensportler wie der Boxer Max Schmeling und der Rennfahrer Rudolf Caracciola genossen die besondere Gunst der Naziführung. In den Medien waren sie ständig präsent, und viele Menschen wollten so sein wie sie. Straff nach dem Führerprinzip in NS-Vereinen organisiert und überwacht, diente der Sport militaristischen Zielen und war Teil der Erziehung der Deutschen zu einem durch und durch gestählten Krieger- und Herrenvolk. Nach Hitlers Worten sollte "der deutsche Junge der Zukunft schlank und rank sein, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl" sein.Diesem Ziel ordnete sich der Sport unter, dafür wandte der Staat viel Geld auf. Die Mittel strömten zurück in Form von Begeisterung der so genannten Volksgemeinschaft für den Führer und unbedingter Gefolgschaft bis in den Tod.

Unbeachtet blieben im Vorfeld der Olympiade von 1936 Boykottaufrufe, die in den USA und im Internationalen Olympischen Komitee wegen der Ausgrenzung von jüdischen Sportlern erhoben wurden. Ungehört blieb auch der Appell des Schriftstellers Heinrich Mann auf der Konferenz zur Verteidigung des Olympischen Idee im Juni 1936 in Paris: "Ein Regime, das sich stützt auf Zwangsarbeit und Massenversklavung; ein Regime, das den Krieg vorbereitet und nur durch verlogene Propaganda existiert, wie soll ein solches Regime den friedlichen Sport und freiheitliche Sportler respektieren? Glauben Sie mir, diejenigen der internationalen Sportler, die nach Berlin gehen, werden dort nichts anderes sein als Gladiatoren, Gefangene und Spaßmacher eines Diktators, der sich bereits als Herr dieser Welt fühlt." In vielen Ländern gab man sich damit zufrieden, dass Nazideutschland für ein paar Wochen die antisemitische Hetze zurück stellte und Gastfreundschaft und Friedfertigkeit zelebrierte

Die Naziführung feierte die Winterspiele von 1936 in Garmisch-Partenkirchen und die Sommerspiele in Berlin frenetisch als "Höhepunkt aller bisherigen Olympischen Spiele". Die Wettkämpfe und Siegerehrungen wurden im Rundfunk und zum Teil auch im Fernse-hen, das damals noch in den Kinderschuhen steckte, sowie durch Korrespondentenberich-te und Fotos in alle Welt übertragen. Kritische Kommentare außerhalb des Nazireiches über die Diskriminierung jüdischer oder schwarzer Sportler und solcher, die dem rassistischen Weltbild der Nazis nicht entsprachen, wurden vom Propüagandaminister Joseph Goebbels als üble Hetze und Erfindung der ausländischen "Lügenpresse" zurück gewiesen.

Für kurze Zeit wurden vor und während der Spiele in Nazi-Deutschland politische Prozesse ausgesetzt, Verhaftungen von Oppositionellen verschoben, die tägliche Hetze gegen die jüdische Bevölkerung, die durch die Nürnberger Rassengesetze von 1935 ihrer Rechte beraubt waren, reduziert. Kaum wahrgenommen wurde, dass im Sommer 1936 zahlreiche "missliebige" Personen, also solche, die nichts ins politische und rassistische Konzept der Nazis passten, von der Straße weg in die Konzentrationslager verschleppt wurden. Lautlos führte die Gestapo im Juli 1936 Verhaftungen und Deportationen etwa von Sinti und Roma, aber auch von so genannten Asozialen durch, denn die NS-Führung wollte der Weltöffentlichkeit ein "sauberes und ordentliches" Deutschland präsentieren, und viele Gäste ließen sich täuschen. Nach der Abreise der internationalen Sportwelt und der auswärtigen Journalisten schlug der Sicherheitsdienst wieder brutal zu.

Während die sportliche Jugend der Welt im Olympiastadion um Siegeslorbeer kämpfte und die deutsche Mannschaft mit 33 Goldmedaillen die Athleten der USA mit 24 Goldmedaillen hinter sich ließ, wurde in Sachsenhausen bei Oranienburg ein neues Konzentrationslager eröffnet, in dem bis 1945 über 200 000 Menschen aus Deutschland und ab 1939 aus halb Europa gefangen gehalten und gequält wurden und viele starben. Kaum wahrgenommen wurde auch, dass die Gestapo im Sommer 1936 Sinti und Roma sowie so genannte Asoziale verhaftete und wegsperrte, weshalb das NS-Regime viel Lob für die "saubere" Reichshauptstadt einheimsen konnte.

Natürlich wusste das NS-Regime vor 70 Jahren mit den Berliner Olympiabauten und auch einer Reihe von repräsentativen Kunstausstellungen und Kulturfesten sowie glanzvollen Empfängen für Staatsgäste, Diplomaten und der Crème der damaligen Sportwelt Eindruck zu schinden. Die Zeitungen, und nicht nur die in Deutschland, überschlugen sich mit Lobeshymnen. Kritische Kommentare außerhalb des Nazireiches wurden kaum zur Kenntnis genommen. In alle Welt wurden die Wettkämpfe und Siegerehrungen per Rundfunk und durch unzählige Korrespondentenberichte übertragen. Dokumentarfilme, die von Hitlers Starregisseurin Leni Riefenstahl gekonnt inszeniert wurden, und Wochenschauen schilderten die Eröffnungsfeier vom 1. August 1936, bei der sich Adolf Hitler einmal mehr in die Pose eines großen Staatenlenkers und Freund des Sports warf, machten mit den wichtigsten Anlagen bekannt und hielten die spannendsten Momente des Sportspektakels fest. Erstmals war auch das Fernsehen mit von der Partie. Das noch in den Kinderschuhen steckende Medium bestand seine Feuertaufe, als es Sendungen aus dem Olympiastadion in ausgewählte Berliner Haushalte und in öffentliche Fernsehstuben übertrug.

Dass hinter allem handfeste politische und propagandistische Absichten standen, steht außer Frage und sollte bei aller Betrachtung des gewaltigen Olympiastadions und der Anlagen in seinem Umkreis nicht übersehen werden. In seinem selbst verfassten und nach der Eröffnungszeremonie aufgeführten Festspiel "Olympische Jugend" verkündete Carl Diem, der als Mitbegründer der Deutschen Hochschule für Leibesübungen und Generalsekretär des Organisationskomitees die XI. Olympiade vorbereitet hatte und später in der Bundesrepublik Deutschland ungehindert weiter als angesehener Sportorganisator agieren konnte: "Allen Spiels heil'ger Sinn: / Vaterlandes Hochgewinn. / Vaterlandes höchst Gebot / in der Not: Opfertod". Der Klang der mit Hakenkreuzen verzierten Olympiaglocke vom riesigen Glockenturm soll den Zuschauern dieses Spektakels einen "heiligen Schauer" über den Rücken gejagt haben. Bis zu seinem Tod im Jahre 1962 war der Sportführer überzeugt, die XI. Olympischen Spiele hätten "in dem damals anschwellendem Rassenhass ein Stück Weltfrieden und Weltverbundenheit geboren".

Die meisten der nationalsozialistischen Herrschafts- und Machtanspruch verkörpernden Olympiabauten und Dekorationen haben den Zweiten Weltkrieg überstanden und wurden von der britischen Besatzungsmacht, die auf dem Gelände ihr Hauptquartier aufschlug, genutzt. Sofern es Kriegszerstörungen gab, wurden sie nach 1945 beseitigt. Eine Ausstellung im Glockenturm schildert, wie es 1936 zu den Olympischen Spielen in Berlin kam, wer an ihnen teilnahm und wer von ihnen profitierte.

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