"Ohne Haar und ohne Namen"
Ergreifende Dokumentation über Leben und Sterben im ehemaligen Frauen-KZ Ravensbrück




Ausgemergelte Frauen erinnern, in Bronze gegossen, vor der hohen
Lagermauer an das Leid und das Sterben im ehemaligen KZ Ravensbrück.




Mit solchen schweren Walzen mussten die ausgehungerten und entkräfteten
Häftlinge unter Aufsicht ihrer SS-Bewacher Straßen planieren.



In der ehemaligen Kommandantur wird die Geschichte des KZ Ravensbrück erzählt, und in
weiteren Gebäuden kann man erfahren, wie es zum Bau der Gedenkstätte kam und
welche Ziele die DDR-Regierung mit ihr verfolgte. (Fotos: Caspar)

Ab November 1938 wurde in Ravensbrück bei Fürstenberg im heutigen Landkreis Oberhavel ein Konzentrationslager für Frauen eingerichtet. Im Frühjahr 1939 kamen die ersten tausend weiblichen Häftlinge, die bisher im Frauen-KZ Lichtenburg im heutigen Landkreis Torgau interniert waren, in das der SS unterstehende KZ AM Ufer des Schwedtsees. Im Zweiten Weltkrieg wurden zahllose Frauen, aber auch Männer in das KZ Ravensbrück verschleppt, wo sie in angeschlossenen Rüstungsbetrieben unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit verrichten mussten. Insgesamt waren 132 000 Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder aus mehr als 40 Nationen in Ravensbrück und seinen Außenstellen inhaftiert, unter zahllose Juden sowie Sinti und Roma. Zehntausende weibliche und männliche Häftlinge gingen bei sinnlosen, aber körperlich außerordentlich schweren Tätigkeiten im Sinne der von der NS- und SS-Führung befohlenen "Vernichtung durch Arbeit" zugrunde. SS-Ärzte vergingen sich mit pseudomedizinischen Experimenten an den Häftlingen und ließen sie qualvoll sterben. SS-Ärzte waren darüber hinaus an der systematischen Ermordung von so genannten Ballastexistenzen im Rahmen der Euthanasie beteiligt. Historiker gehen davon aus, dass etwa 6000 dieser "unnützen Esser" ausgemustert und ermordet wurden. Erst als gegen Ende des Krieges der Arbeitskräftemangel so groß war, dass auch kranke und schwache Häftlinge in den umliegenden Rüstungsbetrieben benötigt wurden, hat man diese Morde eingestellt.

In ihrem Buch "Ohne Haar und ohne Namen. Im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück" stellt Sarah Helm dar, wie die Gefangenen gequält, gedemütigt, missbraucht und durch systematisches Aushungern, Giftinjektionen und die Verweigerung medizinischer Hilfe ermordet wurden. Der Titel des Buches zitiert aus einem Gedicht des italienischen Auschwitz-Überlebenden Primo Levi, in dem es heißt "Denket, ob dies eine Frau sei, / Die kein Haar mehr hat und keinen Namen, / Die zum Erinnern keine Kraft mehr hat, / Leer die Augen und kalt ihr Schoß". Die ergreifende Dokumentation mit einer Fülle von Zeitzeugenberichten und Auszügen aus den Lagerakten erschien 2016 im Konrad Theiss Verlag Stuttgart, hat 840 Seiten sowie 74 Abbildungen und eine Karte und kostet 38 Euro (ISBN 978-3-8062-3216-5.) Sie setzt den Menschen ein erschütterndes Denkmal, die sich dem Terror der Aufseherinnen und Aufseher in der SS-Uniform und den Mördern in weißen Ärztekitteln mit der Kraft der Schwachen entgegen stemmten und durch solidarisches, aufopferndes Verhalten manches Leben retten halfen. Das Buch schildert aber auch, wie es kam, dass sich junge Deutsche in den Dienst der SS stellten und mithalfen, die mörderischen Ziele des NS-Regimes ohne Wenn und Aber in die Tat umzusetzen. Sie wurden nicht durch Schuldgefühle geplagt und zeigten, nach dem Krieg vor Gericht stehend, wenig Mitgefühl gegenüber ihren Opfern. Himmlers Leibarzt Karl Gebhardt ließ Frauen und Männern Wunden in der Art von Kriegsverletzungen zufügen und dort Textilien, Glassplitter, Lehm, Zellstoff und ähnliche Substanzen einbringen. An den eiternden Wunden wurde die Wirkung verschiedener Sulfonamide getestet. Gebhardt unternahm außerdem Versuche mit Gasbrand-Erregern, die ebenfalls zu Todesfällen führten beziehungsweise den Opfern bleibende Schäden zufügten, die sie zu Invaliden machten. Polinnen gelang es, Beweisstücke aus dem KZ zu schmuggeln, die diese Verbrechen im Namen der medizinischen Forschung belegen. Die Opfer nannten sich untereinander "Króliki", zu deutsch Kaninchen. Viele der wie Versuchstiere behandelten Frauen und Männer haben die Torturen nicht überstanden. Gebhardt wurde 1947 im Nürnberger Ärzteprozess zum Tod verurteilt und in Landsberg hingerichtet. Er und andere Naziverbrecher schützten Befehlsnotstand vor und behaupteten, mit ihren "Forschungen" der Menschheit sogar einen Dienst erwiesen zu haben.

Ravensbrück war ein vergleichsweise kleines Konzentrationslager, und ein wenig bekanntes dazu. Im Gedenken an die Massenverbrechen der Nazis wird meist von Auschwitz, Buchenwald, Dachau, Majdanek, Sobibor und Theresienstadt gesprochen, das Frauen-KZ Ravensbrück wird bei der Aufzählung oft genug übersehen. Sarah Helm kennt die Gründe, denn Ravensbrück lag, vom Westen aus gesehen, hinter dem Eisernen Vorhang, und die Auseinandersetzung mit Naziverbrechen war in der alten Bundesrepublik wenig populär. Dokumente waren für die Forschung nicht oder nur schwer zugänglich, und die ehemaligen Gefangenen hatten Mühe, über ihre Leiden zu sprechen und zu publizieren. In der DDR wurde vor allem der antifaschistische Widerstandskampf der Kommunisten hoch gehalten. Indem die Autorin mit ihrem Buch den unzähligen haar- und namenlosen ein Gesicht und einen Namen gab, hilft sie, solches Ungleichgewicht zu überwinden und der historischen Wahrheit zum Sieg zu verhelfen.

Im April 1945 gelang es dem Schwedischen Roten Kreuz, 7500 Frauen aus Ravensbrück in die Schweiz und nach Schweden zu retten. Angesichts der herannahenden Roten Armee wurde das KZ von der SS geräumt und die Insassen auf den Todesmarsch getrieben. Zurück blieben schwerkranke Häftlinge sowie Pflegepersonal, insgesamt rund 3000 Personen. Am 30. April 1945 erreichten sowjetische Truppen Fürstenberg und befreiten die verbliebenen Insassen des KZ Ravensbrück. An die Leiden der weiblichen und männlichen Häftlinge und ihr qualvolles Sterben erinnert eine 1959 neben dem früheren Konzentrationslager eingeweihte Nationale Mahn- und Gedenkstätte. Sie bezieht ehemalige KZ-Anlagen wie das Krematorium, den Zellenbau und einen Teil der früheren vier Meter hohen Lagermauer ein. Im Eingangsbereich wird auf einer Inschriftenwand die Dichterin Anna Seghers mit diesen Worten zitiert: "Sie sind unser aller Mütter und Schwestern. Ihr könntet heute weder frei lernen noch spielen, ja, ihr wäret vielleicht gar nicht geboren, wenn solche Frauen nicht ihre zarten, schmächtigen Körper wie stählerne Schutzschilder durch die ganze Zeit des faschistischen Terrors vor euch und eure Zukunft gestellt hätten."

In der ehemaligen SS-Kommandantur, dem Zellenbau und weiteren Gebäuden wird die Geschichte des KZ Ravensbrück dokumentiert. Frühere Insassen kommen mit erschütternden Augenzeugenberichten zu Wort. Bilder und Dokumente schildern den durch Drangsalierung, Hunger, Krankheit und Tod gekennzeichneten Häftlingsalltag und die Verbrechen der SS-Mannschaften. Zu erfahren ist auch, dass Überlebende ab Mitte der 1950-er Jahre Dokumente und Sachzeugen für ein Museum sammelten, das 1959/60 im ehemaligen Zellenbau, auch Bunker genannt, eingerichtet wurde. Die Schaffung der Gedenkstätte verlief nicht einfach, denn nach der Befreiung zog die Rote Armee in die ehemaligen Lagerbauten ein und nutzte sie weiter als Kaserne und Lazarett. Die Trennung zwischen Lager und Gedenkstätte wurde bis zum Abzug der sowjetischen Besatzungsmacht 1994 beibehalten. Außerhalb des Lagergeländes ist die ehemalige SS-Wohnsiedlung erhalten. Einige Häuser werden als Internationale Jugendbegegnungsstätte sowie als Jugendherberge, aber auch für Ausstellungen genutzt. An der Zufahrt zum ehemaligen Konzentrationslager ist vor einer Ziegelmauer ein sowjetischer Panzer aufgestellt, dahinter die Inschrift: "Ruhm und Ehre. Am 30. April 1945 wurde das KZ Ravensbrück von Soldaten und Offizieren der Roten Armee befreit." Die von Fritz Cremer gestaltete Müttergruppe wurde 1965 an der Straße der Nationen, dem Weg zur Gedenkstätte, aufgestellt. Zwei Frauen tragen auf einer Bahre eine tote Kameradin. Ein ausgemergeltes Kind mit greisenhaften Zügen verbirgt sich in den Rockfalten einer Trägerin und deutet damit an, dass auch Kinder und Jugendliche im Frauen-KZ Ravensbrück gelitten haben. In einer feierlichen Zeremonie wurde unlängst in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück ein Grab geweiht. Auf dem Vorhof des Krematoriums war bei Bauarbeiten ein Aschefeld gefunden worden. Die Überreste stammen von Unbekannten, die vermutlich in den letzten Monaten vor der Befreiung ums Leben kamen. Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"