Frauenprotest in der Rosenstraße
Feierstunde zum Gedenken an die "Fabrikaktion" der Nazis von 1943 und wie einige Juden
aus Auschwitz nach Berlin zurückgeholt wurden




Eine Figurengruppe des Bildhauers Will Lammert vor dem Jüdischen
Friedhof an der Großen Hamburger Straße erinnert an die Verfolgung und
Ermordung der Juden durch das Hitlerregime 1933 bis 1945.




Günter Morsch und weitere Redner berichteten in der Feierstunde
vor der von Ingeborg Hunzinger gestalteten Figurengruppe
über Verlauf und Folgen der "Fabrikaktion" von 1943.



Im Deutschen Technikmuseum an der Trebbiner Straße im Bezirk Kreuzberg
erinnert an den Beitrag, den die Reichsbahn während des Zweiten Weltkriegs
bei der Deportation der deutschen und europäischen Juden in die
Konzentrations- und Vernichtungslager hatte. (Fotos: Caspar)

Der Initiativkreis und die Ständige Konferenz der Leiter der NS-Gedenkorte im Berliner Raum haben am 29. Februar 2016 zu einer Veranstaltung mit Gebeten, Gesängen und Absprachen zum Gedenken an die "Fabrik-Aktion" und den Frauenprotest in der Berliner Rosenstraße Ende Februar 1943 eingeladen. Das Treffen begann am Jüdischen Friedhof an der Großen Hamburger Straße und endete in der Rosenstraße vor der Figurengruppe, die die Bildhauerein Ingeborg Hunzinger zu Ehren der Opfer des Holocausts geschaffen hat. Der Direktor der Gedenkstätte im ehemaligen KZ Sachsenhausen, Prof. Dr. Günter Morsch, erinnerte daran, dass wenige Tage nach einer hetzerischen Rede des Propagandaministers Goebbels im Sportpalast, in der er zum "totale Krieg" aufrief, die Jagd auf die letzten Berliner Juden forciert wurde. "Schlagartig verhaftete die Gestapo in der so genannten Fabrikaktion am 27. Februar 1943 über 18 000 in Berliner Rüstungsbetrieben und solchen außerhalb der Reichshauptstadt beschäftigte Juden vom Arbeitsplatz und von der Straße weg, um sie nach Auschwitz zu deportieren. Diese ,Rüstungsjuden' waren bei der AEG, bei Siemens, Krupp und anderen Betrieben beschäftigt. 7000 Berliner Juden wurden in fünf Transporten deportiert, kaum einer hat überlebt", sagte Morsch.

Da sie von Arbeitskollegen, Freunden, Nachbarn und anderen Personen sogar aus Polizeikreisen gewarnt wurden, konnten etwa Berliner 4000 Juden untertauchen, und viele von diesen so genannten U-Booten haben den Holocaust überlebt. Es gab allerdings auch Menschen, die sich in Erwartung ihrer Verschleppung in den "Osten" das Leben nahmen. 1944 wurden ungarische und polnische Juden als Zwangsarbeiter in Berliner Rüstungsbetrieben eingesetzt, und auch von ihnen haben viele die Befreiung Ende des Zweiten Weltkriegs nicht erlebt. In der Gedenkstunde wurde an alle erinnert, die seinerzeit ermordet wurden, und an die stillen Helfer, die ihnen unter Einsatz des eigenen Lebens das Grauen zu überstehen halfen.

Mit der Großrazzia versuchten der Propagandaminister und Berliner Gauleiter Goebbels, nach der verheerenden Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad Terrain zu gewinnen und Stärke zu demonstrieren. Die Verhaftungswelle erstreckte sich sowohl auf jüdische Zwangsarbeiter in Rüstungsfabriken als auch auf weitere Personen, die aus den Arbeitsämtern und Ausgabestellen für Lebensmittelkarten direkt in die Vernichtungslager verschleppt wurden. Dass der Rüstungsindustrie Arbeitskräfte verloren gingen, spielte bei der Fabrikaktion keine Rolle. Wichtig war die Meldung an Hitler, dass Berlin "judenfrei" ist. "Wir schaffen nun die Juden aus Berlin hinaus. Sie sind am vergangenen Samstag schlagartig zusammengefasst worden und werden nun in kürzester Frist nach dem Osten abgeschoben", schrieb Goebbels am 2. und am 20. März 1943 in sein Tagebuch. Nicht ihr Schicksal kümmerte den Propagandaminister, sondern die Schwierigkeiten, die mit der "Abschiebung" verbunden sind. "Leider hat sich auch hier wieder herausgestellt, dass bessere Kreise, insbesondere die Intellektuellen, unsere Judenpolitik nicht verstehen und sich auf die Seite der Juden stellen. Infolgedessen ist unsere Aktion vorzeitig verraten worden, so dass uns eine ganze Menge von Juden durch die Hände gewischt sind. Aber wir werden ihrer noch habhaft werden. [...] Der Führer ist glücklich darüber, dass, wie ich ihm berichte, die Juden zum größten Teil aus Berlin evakuiert sind. Jedenfalls werden die Juden die Verlierer des Krieges sein, so oder so".

Gegen die Verhaftung und drohende Deportation protestierten Frauen, Schwestern und Bräute der zum Tod im Gas bestimmten Männer. Dieser Frauenprotest in der Rosenstraße und anliegenden Straßen war die einzige Aktion dieser Art in zwölf Jahren Hitlerdiktatur. Sie fand vor der in ein Sammellager umgewandelten ehemaligen Wohlfahrtsbehörde der Jüdischen Gemeinde in der Rosenstraße statt, nicht weit vom Hackeschen Markt entfernt. Es gelang den in so genannter Mischehe lebenden "arischen" Frauen, einen Teil der zur Deportation bestimmten jüdischen Männer und Söhne freizubekommen. Einige wurden sogar aus Auschwitz zurückgeholt und mussten weiter Zwangsarbeit leisten. Historiker rechnen damit, dass viele der vor 73 Jahren Geretteten am Ende doch ermordet wurden. Joseph Goebbels notierte in seinem Tagebuch, es hätten sich da "leider etwas unliebsame Szenen vor einem jüdischen Altersheim abgespielt, wo die Bevölkerung sich in größerer Menge ansammelte und zum Teil sogar für die Juden Partei ergriff. Ich gebe dem SD [Sicherheitsdienst der SS, H. C.] Auftrag, die Judenevakuierung nicht ausgerechnet in einer so kritischen Zeit fortzusetzen. Wir wollen uns das lieber noch einige Wochen aufsparen; dann können wir es umso gründlicher durchführen."

Insgesamt gab es in Berlin 15 Sammel- und Deportationslager vor allem im heutigen Bezirk Mitte-Tiergarten, so in der Levetzowstraße 7/8, Großen Hamburger Straße 26, Schönhauser Allee 22, Artilleriestraße 31 (heute Tucholskystraße), Brunnenstraße 41, Gormannstraße 3, Rosenstraße 2-4, Schulstraße 78 sowie in der Mahlsdorfer Straße im Bezirk Köpenick und an weiteren Orten. Von dort wurden jüdische Männer, Frauen und Kinder einzeln und oft in ganzen Familien von den Bahnhöfen Putzlitzstraße/Güterbahnhof Moabit, Grunewald und Anhalter Bahnhof in die Vernichtungslager "verschickt", wie die Fahrt ohne Wiederkehr von den Spediteuren des Todes verniedlichend umschrieben wurde. Auf einer Gedenksäule an der Rosestraße sind Deportationslisten und Berichte von Juden zu lesen, die die Fahrt in die Vernichtungslager antreten mussten, sowie über die Zustände in den Sammellagern der Gestapo.

Im Deutschen Technikmuseum an der Trebbiner Straße im Bezirk Kreuzberg ist einer jener Viehwaggons ausgestellt, in denen Juden und andere Gefangene nach Auschwitz und in die anderen Todeslager gefahren wurden. Seine schrecklichen Erlebnisse bei einem solchen Transport hat der ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kertész in dem Buch "Roman eines Schicksallosen" auf ergreifende Weise geschildert. Neben Theresienstadt, Auschwitz und Treblinka werden im Technikmuseum zahlreiche weitere, heute kaum noch bekannte Deportationsziele genannt, und es wird auch vom Schicksal von Berliner Juden und solchen aus der damaligen Provinz Brandenburg berichtet. Zu ihnen gehörten die Brüder Gert und Hans Rosenthal. Während Hans in einer Lichtenberger Laubenkolonie untertauchen konnte, mit fremder Hilfe die NS-Herrschaft und den Holocaust überlebte und ein beliebter Entertainer im Westberliner Sender RIAS und im Deutschen Fernsehen wurde, haben die Nazis seinen jüngeren Bruder Gert nach Riga verschleppt und ermordet. Das Beispiel von Hans Rosenthal und weiterer Untergetauchter zeigt, dass es im Hitlerstaat da und dort Mitmenschlichkeit nach dem Prinzip "Helfen und schweigen" gegeben hat.

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"