"Die Exekutionen müssen unauffällig durchgeführt werden"

Neue Sonderausstellung über die Ermordung von mehr als 10.000 sowjetischen Kriegsgefangenen vor 75 Jahren im damaligen KZ Sachsenhausen



Auf dem Denkmalsockel sind die Namen jener Staaten einschließlich des
Deutschen Reiches vermerkt, aus denen ab 1936 und im Zweiten Weltkrieg
unzählige Häftlinge nach Sachsenhausen verschleppt wurden.




Zentraler Ort der Gedenkstätte ist die 1942 errichtete "Station Z" mit
Verbrennungsöfen für die ermordeten Häftlinge, einer Genickschussanlage
und einer Gaskammer.




Im Außenbereich und den ehemaligen Baracken wird über den im damaligen
Konzentrationslager Sachsenhausen allgegenwärtigen Tod berichtet. Mit der neuen
Ausstellung bekommen jetzt die vor 75 Jahren ermordeten sowjetischen
Kriegsgefangenen ein Gesicht.






Überall auf dem Gelände der Gedenkstätte erinnern in den Boden oder an
Mauern eingelassene Tafeln an die aus dem Deutschen Reich und den besetzten
Ländern herbei geschleppten Opfer der NS-Diktatur. (Fotos: Caspar)

Am 22. Juni 1941 überfiel das nationalsozialistische Deutschland die Sowjetunion und entfesselte einen rassistischen und antisemitischen Raub-, Eroberungs- und Vernichtungskrieg. Nach den von der Wehrmacht vorbereiteten Mordbefehlen sollten alle in deutsche Kriegsgefangenschaft geratenen sowjetischen "Kommissare" sofort hinter der Front ausgesondert und erschossen werden. Zu dieser Gruppe wurden Juden, Angehörige der sowjetischen Intelligenz und Funktionäre der Kommunistischen Partei, aber auch so genannte Aufwiegler und unheilbar Kranke einbezogen. In der Gedenkstätte Sachsenhausen zeigt ab 6. November 2016 eine neue Sonderausstellung mit dem Titel "Die Exekutionen müssen unauffällig im nächstgelegenen Konzentrationslager durchgeführt werden" Fotos der vor 75 Jahren im damaligen KZ Sachsenhausen ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen. Die Dokumentation enthält eine Serie von 68 Fotos der Opfer unmittelbar vor ihrer Ermordung. Diese erschütternden Bilder, die von Häftlingen aus dem KZ geschmuggelt werden konnten, werden durch Recherchen zu ihrer Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte ergänzt.

Offiziell hieß der Befehl vom 6. Juni 1941 über die Ermordung der Politkomissare der Roten Armee "Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare". Gegen jedes Kriegs- und Völkerrecht sollte diese für die ideologische Ausrichtung der sowjetischen Soldaten eingesetzten Funktionäre nicht als Kriegsgefangene behandelt, sondern bei ihrer Gefangennahme sofort liquidiert werden. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, gab vor dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zu, dass das OKW fünf Wochen vor dem Krieg gegen die Sowjetunion Hitler gedrängt habe, die politischen Kommissare "durch das Heer zu erledigen". Hinweise aus den eigenen Reihen, wonach das "soldatischen Auffassungen vom ritterlichen Krieg" widerspricht, wischte Keitel in Übereinstimmung mit seinem obersten Befehlshaber Hitler und anderen NS-Funktionären und Militärs mit dem Hinweis vom Tisch, es handele sich bei den Tötungen um die Vernichtung einer Weltanschauung.

Begründet wurde die weisungsgemäß ohne Gnade und Ausnahme vollzogenen Mordaktionen damit, dass den Kommissaren jedwede Möglichkeit genommen werden soll, Einfluss auf die anderen Gefangenen zu nehmen. "Diese Kommissare werden nicht als Soldaten anerkannt; der für die Kriegsgefangenen völkerrechtlich geltende Schutz findet auf sie keine Anwendung. Sie sind nach durchgeführter Absonderung zu erledigen."

Befehl zur "sofortigen Erledigung"

Die Ermordung der Kommissare und weiterer Gefangener sollte, um Aufsehen zu vermeiden, in den Konzentrations- und Vernichtungslagern geschehen. Historiker gehen davon aus, dass dort bis Ende Juli 1942 etwa 38 000 sowjetische Kriegsgefangene ermordet wurden. Unter den der so genannten Sonderbehandlung zugeführten Personen befanden sich außer den Politkommissaren auch Funktionäre der Kommunistischen Internationale sowie Parteifunktionäre, Angehörige der

Um dem Befehl Genüge zu tun, wurden die in den Stammlagern der Wehrmacht bereits internierten Kriegsgefangenen nach dessen Kriterien ausgesondert und in die nächst gelegenen Konzentrationslager überstellt. Nach Sachsenhausen bei Oranienburg nördlich von Berlin, wo die Inspektion der Konzentrationslager die gesamte Mordaktion organisierte, transportierte die Wehrmacht von September bis November 1941 mehr als 13.000 sowjetische Kriegsgefangene. Innerhalb von nur zehn Wochen wurden bei der größten Massenmordaktion im KZ Sachsenhausen mehr als 10.000 von ihnen in einer automatisierten Genickschussanlage im Industriehof ermordet. Rund 3.000 Kriegsgefangene waren bereits bei den Transporten oder vor den von der SS beabsichtigten Exekutionen in den Baracken ums Leben gekommen.

Die Fotoserie, die im Zentrum der Ausstellung steht und deren Originale sich heute im Staatsarchiv Prag und im Mährischen Museum Brno/Brünn befinden, zeigt die entkräfteten und in zerlumpte Uniformen gekleideten sowjetischen Kriegsgefangenen unmittelbar vor ihrer Ermordung. Die Bilder wurden von den Nationalsozialisten zu Propagandazwecken angefertigt. Mit den Fotos "slawischer Untermenschen" sollte der rassistische Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion gerechtfertigt werden, wie die Ausstellung am Beispiel von Plakaten und Broschüren zeigt, in denen Motive der Bilder verwendet wurden.

Brisante Filmrollen wurden sichergestellt

Häftlinge, die beim Erkennungsdienst der Politischen Abteilung des KZ Sachsenhausen beschäftigt waren und die Fotos entwickeln mussten, nahmen die Negative beiseite. Es gelang ihnen, die als Beweismaterial für die Verbrechen des Hitlerregimes so wichtigen Negativrollen bei der Räumung des Lagers im April 1945 auf den Todesmarsch mitzunehmen und damit vor der Vernichtung zu retten. Die Ausstellung setzt dem tschechischen Häftling und Fotografen Jaroslav Šklíba ein Denkmal. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass die bedeutendsten fotografischen Zeugnisse aus dem KZ Sachsenhausen für die Nachwelt erhalten geblieben sind.

Zentrum des KZ-Systems war Sachsenhausen, ein Vorort von Oranienburg im heutigen Landkreis Oberhavel. Hier wurde am 12. Juli 1936 das Konzentrationslager für männliche Häftlinge eröffnet. Gut zwei Wochen später eröffnete Hitler in Berlin die Olympischen Spiele, mit denen die Nazis die Weltöffentlichkeit über den wahren Charakter ihrer Herrschaft täuschten. Die Anlage des KZ Sachsenhausen, das seine Erbauer als das "schönste" im Deutschen Reich lobten, erstreckte sich auf einer freien Fläche hinter dem Eingangstor mit der verlogenen Parole "Arbeit macht frei". Der an Stadtplanungen der Barockzeit orientierte dreieckige Grundriss innerhalb der hohen Lagermauer, der symmetrische Aufbau, die fächerförmig um den Appellplatz gruppierten Baracken, Sonderbereiche und Tötungsanlagen ließen sich von den Bewachern gut überblicken und waren zugleich unmittelbarer Ausdruck absoluter Kontrolle über die Häftlinge. Gleich neben dem eigentlichen KZ Sachsenhausen war ab 1938 die "Inspektion der Konzentrationslager" tätig. Die dem Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, unterstehende Planungs- und Überwachungsbehörde des KZ-Staates war bis dahin in Berlin auf dem Gelände der heutigen Topographie des Terrors untergebracht.

Nach der Befreiung des KZ Sachsenhausen durch die Rote Armee am 22. April 1945 konnten die wenigen Überlebenden nach Hause zurückkehren, eingeliefert aber wurden deutsche Kriegsgefangene sowie Personen, die von der sowjetischen Justiz wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kollaboration mit den Nationalsozialisten angeklagt wurden, ob berechtigt oder nicht. Die meisten Lagerbauten wurden 1952/53 von der Kasernierten Volkspolizei der DDR gesprengt. Reste der Fundamente hat man später in die Nationale Mahn- und Gedenkstätte integriert und durch ein monumentales Betondach geschützt.

Überlebensgroße Figurengruppe

Insgesamt wurden im KZ Sachsenhausen über 200 000 Menschen aus 35 Ländern gefangen gehalten, von denen jeder zweite die Haft nicht überlebte. An die in Sachsenhausen ermordeten, bei der Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie oder an Krankheiten verstorbenen Häftlinge erinnert die 1961 eröffnete Mahn- und Gedenkstätte, in deren Mittelpunkt eine riesige Denkmalanlage steht. Die weithin sichtbare, mit roten Winkeln der politischen Häftlinge geschmückte Betonstele erhebt sich etwa an der Stelle, wo sich der letzte Barackenring befand. Die überlebensgroße Figurengruppe davor, bestehend aus zwei befreiten Häftlingen und einem Soldaten der Roten Armee, ist ein Werk von René Graetz.

Nach der Wiedervereinigung wurde die Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen umgestaltet und von ideologischem Ballast befreit. Neu ist, dass hier auch der Opfer des sowjetischen Geheimdienstes nach 1945 gedacht wird, ein Thema, das in der DDR tabu war. Hier wurden im Frühjahr 2005 sterbliche Überreste von unzähligen Gefangenen neu beigesetzt, die bei Grabungen auf dem Lagergelände entdeckt worden waren. Obwohl wegen ihrer einseitigen Orientierung auf den Kampf der Kommunisten gegen das Hitlerregime umstritten, bleibt die das Lagergelände beherrschende monumentale Denkmalanlage mit der der Figurengruppe als zentrales Element der Gedenkstättengestaltung aus der frühen DDR-Zeit erhalten.

2. November 2016

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