Struwwelhitler mit blutigen Händen

Ein von "Doktor Schrecklichkeit" verfasstes und illustriertes Pamphlet aus dem Jahr 1941 entlarvt die Verbrechen der Nazis



Das Struwwelpeterbuch von 1844 diente den Brüdern Spencer als Vorlage für eine
bittere Satire zur Aufmunterung der eigenen Landsleute.




Der Teufel kommt herbei und schneidet Gobbi die Daumen ab. So kann
Propagandaminister Goebbels seine Lügen nicht mehr verbreiten.



Erst durch einen Besuch von Rory Spence im Struwwelpeter-Museum in
Frankfurt am Main wurde bekannt, dass sein Großvater und sein
Großonkel Urheber der Satire waren, denn bis dahin wusste man
nicht, wer Doktor Schrecklichkeit wirklich war.



Stalin lässt Nazigrößen im Tintenfass verschwinden und freut
sich über seine neue Rolle als Retter aus der Not.
Premierminister Winston Churchill tat sich nolens volens mit ihm
im Kampf gegen das Großdeutsche Reich zusammen. (Repros: Caspar

Diktatoren und Diktaturen verstehen keinen Spaß, wenn es um ihre Machenschaften und Verbrechen geht und wenn man sie der Lächerlichkeit preisgibt. Witze über Hitler, Göring, Goebbels, Himmler und all die anderen Nazigrößen zu reißen, wurde zwischen 1933 und 1945 als schweres Staatsverbrechen gnadenlos geahndet. Grundlage für die rachsüchtige Verfolgung von Regimegegnern und Witzemachern waren sofort nach Hitlers so genannter Machtergreifung erlassene Gesetze und Verordnungen. Die NS-Diktatur beruhte, formaljuristisch gesehen, auf dem am 24. März 1933 verkündeten Ermächtigungsgesetz "zur Behebung der Not von Volk und Reich", mit dem der Reichstag der Regierung das Recht erteilte, selbst Gesetze zu beschließen und zu vollziehen, und zwar auch solche Gesetze, mit denen die Reichsverfassung von 1919 außer Kraft gesetzt wurden. Der Reichstag war weitgehend von der Gesetzgebung ausgeschlossen und diente nur noch als Applaudierungsorgan. Der Reichstag hatte sich schon 1933, freilich unter heftigen Drohungen und Einschüchterungen der Opposition, selber entmannt.

Nach der "Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung" vom 21. März 1933 sollte jedermann, der vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung aufstellt oder verbreitet, die das Wohl des Reiches oder das Ansehen der Reichsregierung oder das der NSDAP oder ihrer Gliederungen schwer schädigt, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft werden. Diese so genannte "Heimtückeverordnung" schloss ausdrücklich die leitenden Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP ein und sollte verhindern, dass "das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung" untergraben wird. Nach diesen dehnbaren Bestimmungen traten Gerichte und Gestapo auch in Aktion, wenn harmlose Witze über das Regime gerissen wurden oder sich jemand über die NS-Führung mokierte. Das Gesetz ermunterte zahllose Denunzianten, Verwandte, Freunde, Kollegen und Nachbarn bei der Gestapo wegen regimekritischer Äußerungen anzuzeigen. Tausende Ermittlungsverfahren und Strafen waren die Folge. Das "Heimtückegesetz" und weiter NS-Bestimmungen wurden durch das Gesetz Nr. 1 des Alliierten Kontrollrates vom 20. September 1945 aufgehoben. Denunzianten und Gestapobeamte, die an der Strafverfolgung beteiligt waren, wurden in den selten zur Rechenschaft gezogen. Den Opfern des Heimtückegesetzes blieb eine Haftentschädigung in der Regel verwehrt.

Strafandrohungen und in der Presse publizierte Zuchthaus- und Todessurteile beeindruckten Publizisten, Künstler und andere Personen nicht, die vom sicheren Ausland gegen Hitler und seine Paladine mit den Mitteln der Satire und durch politische Schriften auf das Regime schossen. 1940 hat Charly Chaplin mit seinem Film "The Great Dictator" die beiden Faschistenführer Adolf Hitler und Benito Mussolini karikiert und gezeigt, wie sich ein kleines Volk gegen skrupellose Okkupanten zur Wehr setzt. Als der Schauspieler und Regisseur nach dem Zweiten Weltkrieg und mit Blick auf den Völkermord der Nationalsozialisten an den Juden gefragt wurde, ob sein Streifen den unfassbaren Nazi-Verbrechen angemessen sei, verneinte er und erklärte, wenn er von deren Umfang gewusst hätte, hätte er sich dem Thema anders genähert.

Das mögen sich auch die Autoren eines Büchleins gedacht haben, das 1941 mit dem Titel "Struwwelhitler - A Nazi Story Book by Doktor Schrecklichkeit" gefragt haben. Im Duktus des bekannten und in zahlreiche Sprachen übersetzten Buches des Frankfurter Arztes Heinrich Hoffmann aus dem Jahr 1844 über den Struwwelpeter und seine wenig sympathischen und menschenfreundlichen Zeitgenossen verfasst und illustriert, macht sich das von den Brüdern Robert und Philipp Spence verfasste und illustrierte Pamphlet über die Naziführer lustig und prophezeit ihnen ein böses Ende. Die Einnahmen aus dem Büchlein kamen einem Fonds zugute, mit dem Opfer der deutschen Luftangriffe auf England unterstützt wurden. Ein Reprint dieser 1941 auf schlechtem Papier gedruckten Satire wurde 2006 vom Autorenhaus Verlag Berlin herausgebracht, versehen mit den von Dieter H. Stündel ins Deutsche übersetzten Reimen sowie einem Vorwort des bekannten Hitler-Biographen Joachim Fest.

Heinrich Hoffmann nannte seinen "Struwwelpeter" zwar eine belanglose Kinderei, doch wie ein Blick auf die unzähligen Nach- und Neudrucke, die Parodien, Burlesken und Verballhornungen zeigt, war es viel mehr als ein für unartige Kinder und ihre besorgten Eltern gedachtes Kinderbuch. Die sich hinter einem Pseudonym verbergenden Autoren nahmen das auch in England verbreitete Original zur Hand und schufen eine Schmähschrift, mit der sie die Stimmung des von den Heerscharen des Großdeutschen Reiches bedrohten England heben und die Zuversicht seiner Bewohner zu stärken versuchten, die Invasion abzuwenden und Hitler und seine Henker vernichtend zu schlagen. Der in mehreren Auflagen gedruckte "Struwwelhitler" tut das, indem er führende Nazis als machtbesessene, verlogene, überhebliche und alles in allem gemeingefährliche Verbrecher entlarvt, allen voran der mit blutigen Händen gestikulierende, Verträge zerreißende, seine Untertanen drangsalierende Diktator, der am Ende auf seinem Krankenlager seinen verdienten Tod erwartet.

In dem Büchlein erscheinen Außenminister Joachim von Ribbentrop, hier Ribbi genannt, der mit Stalin, Goebbels und weiteren Nazigrößen in ein großes Tintenfass getaucht wird ähnlich wie im Hoffmannschen Original die bösen Buben, die sich über einen kohlpechschwarzen Mohr lustig machen. Dann taucht der italienischen Faschistenführer Mussolini, genannt Musso, auf und fällt, seine Bombenflugzeuge fest im Blick, in das zu seinem Territorium erklärte Mittelmeer und muss von seinen deutschen Verbündeten aus dem Wasser gefischt werden. Der Teufel schneidet dem Propagandaminister Joseph Goebbels die Daumen ab, so dass dieser Gobbi mit seiner Giftfeder keine seine Lügen verbreiten kann. Es fehlt auch nicht der mit Orden behängte dicke Reichsmarschall Hermann Göring, bei dem es in der Übersetzung heißt "Hier sieht man den dummen Affen spielen mit den Luftwehr-Waffen". Auch wird des nach England geflohenen Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß gedacht, eines Mannes, der so ganz seines Führers Freud und Stolz war, weil aus dem gleichen Holz geschnitzt.

Die Brüder Philipp und Robert Spence lassen es offen, wie der Kampf gegen das Naziregime und seine Verbündeten ausgehen wird. Sie konnten 1941 vom Sieg der Anti-Hitler-Koalition nichts wissen, und sie ahnten auch nicht, mit welchen Verlusten an Blut und Gut er erkämpft wurde. Doch bestärkt der "Struwwelhitler" seine Leser in der Gewissheit, dass das Naziregime nicht triumphieren wird, und er hilft, durch lautes Lachen die Angst um die Zukunft ein wenig zu lindern.

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