"Noch ist Polen nicht verloren"

Bei den Teilungen des Königreiches rissen sich Russland, Österreich und Preußen große Landesteile unter den Nagel





Die Karikatur aus dem späten 18. Jahrhundert schildert, wie die russische Zarin,
der römisch-deutsche Kaiser und der König von Preußen Polen unter
sich aufteilen, während dessen König die Krone vom Kopf fällt.
Die farbige Szene darunter schildert den gleichen Vorgang weniger spöttisch.




Nach dem Aufstand im Warschauer Getto 1943 werden Juden von den
deutschen Besatzern in den sicheren Tod abgeführt.




Der Aufstand im Warschauer Getto war Thema einer Ausstellung, die 2014
in der Berliner Topographie des Terrors gezeigt wurde. (Foto/ Repros: Caspar)

Die Unterwerfung von Ländern durch fremde Mächte gab es im Laufe der Geschichte immer wieder und war stets Anlass für Unabhängigkeitsbestrebungen und Freiheitskämpfe. So war es seit dem 18. Jahrhundert auch in Polen. Mehrfach wurde das Land zerstückelt und von der Landkarte gestrichen. Seine Nachbarn machten die Bewohner zwangsweise zu ihren Untertanen. Von den Polnischen Teilungen profitierten Russland, Österreich und Preußen durch erheblichen Landgewinn, verbunden mit dem Zuwachs der Einwohnerzahl. Bis 1763 war das Königreich Polen in Personalunion mit dem Kurfürstentum Sachsen verbunden. Nach dem Tod von König August III. (1763, als sächsischer Kurfürst Friedrich August II.) setzte die russische Zarin Katharina II., die Große, 1764 die Wahl ihres Günstlings Stanislaus II. August durch. Er scheiterte bei dem Versuch, die Macht des polnischen Adels zugunsten der Krone zu reduzieren und erregte damit das Misstrauen seiner Nachbarn, die einen starken König auf dem Thron in Warschau nicht dulden wollten. Russland, Österreich und Preußen setzten 1772 die erste Polnische Teilung durch, bei der dem Land etwa ein Drittel seines Territoriums geraubt wurde, was bis heute nicht vergessen ist. Nach 1789 beobachteten Russland, Österreich und Preußen mit wachsender Unruhe, dass sich in Polen Reformer Gehör verschafften, die sich von Ideen aus dem revolutionären Frankreich inspirieren ließen. Erneut wurde der Monarchie Land abgenommen. 1794 erhoben sich Polen unter Führung des Generals und Nationalhelden Tadeusz Kosciuszko gegen die Fremdherrschaft und wurden von russischen und preußischen Truppen niedergeschlagen. Jetzt stand der dritten Teilung und damit der endgültigen Auflösung des polnischen Königreichs nichts mehr im Weg. Stanislaus II. August musste 1795 abdanken, ging ins Exil nach Sankt Petersburg und starb 1798.

Bis 1918 existierte Polen nicht als selbstständiger Staat, dennoch gab es im 19. Jahrhundert Bestrebungen, die Fremdherrschaft abzuschütteln und Warschau wieder zur Hauptstadt des souveränen Staates zu machen. Die polnische Freiheitsbewegung fand in Europa viele Anhänger, wurde aber von den Profiteuren der Polnischen Teilungen massiv unterdrückt. Nach dem Krieg gegen Frankreich von 1806/7 kamen die bisher unter preußischer Herrschaft stehenden ehemaligen polnischen Gebiete als Großherzogtum Warschau an das neu gebildete, von Kaiser Napoleon I. abhängige Königreich Sachsen. Im Ergebnis des Wiener Kongresses (1814/15) verlor dessen König Friedrich August I. die polni-schen Landesteile an Russland. Dieses so genannte Kongresspolen wurde Zar Alexander I. von Russ-land zugesprochen und erhielt anfangs als autonomes Königreich eine eigene Verfassung, Verwaltung und Armee.

Massive Russifizierung und Germanisierung

Nach der Niederschlagung eines Aufstandes von 1830/1831, mit dem der polnische Nationalstaat wiederhergestellt werden sollte, verlor das so genannte Kongresspolen seine Autonomie, und es begann eine massive Russifizierung des Landes. Sie konnte nicht verhindern, dass polnische Patrioten und Nationalisten weiterhin das Ziel eines eigenen Staates verfolgten, aber nicht zum Zuge kamen. Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches begann in früheren polnischen Gebieten eine rücksichtslose Germanisierungspolitik, die im Zusammenhang mit dem gegen die Macht der katholischen Kirche gerichteten Kulturkampf zu heftigen Auseinandersetzungen führte.

Im Ersten Weltkrieg (1914-1918) sahen polnische Nationalisten eine Gelegenheit, ihr Land vom zaris-tischen Joch zu lösen und den polnischen Staat wieder aufzurichten. Die Mittelmächte unter deutscher Führung proklamierten 1916 ein unabhängiges Königreich, das in Ermangelung eines Königs von einem Regentschaftsrat geführt wurde. Nach dem Sturz des Zaren erkannte die russische Provi-sorische Regierung im März 1917 das Selbstbestimmungsrecht Polens an, und auch die westlichen Alliierten strebten die Wiedererrichtung eines souveränen Staates an. Im Oktober 1918 rief der Regentschaftsrat das unabhängige Polen aus, und am 11. November 1918 wurde die Republik proklamiert. Erster Staatschef wurde, ausgestattet mit diktatorischen Vollmachten, Marschall Józef Pilsudski, der polnischen Grenzen aus der Zeit vor den Teilungen und darüber hinaus wiederherstellen wollte, was aber nicht gelang. Er regierte das Land mit harter Hand und führte einen Krieg gegen die junge Sowjetunion mit dem Ergebnis der völkerrechtlichen Festlegung der nach Osten verschobenen Landesgrenze und erheblicher Landgewinne zugunsten der jungen Republik Polen. Das Land war alles andere als stabil, und von demokratischen Verhältnissen kann auch nicht gesprochen werden. Das erleichterte es der damaligen Elite, freundschaftliche Beziehungen zu Nazideutschland zu unterhalten, solange man diese in Berlin für opportun ansah.

Die im Deutschen Reich angestimmten Friedensschalmeien sowie ein Freundschafts- und Nichtan-griffspakt waren keinen Pfifferling wert, als der 1933 an die Macht gelangte Hitler in den späten drei-ßiger Jahren daran ging, die Grenzen des "Großdeutschen Reichs" mit militärischer Gewalt nach Osten auszudehnen. Voraussetzung für den Überfall auf Polen, das durch Beistandsverträge mit Eng-land und Frankreich verbunden war, am 1. September 1939 war der Abschluss des Hitler-Stalin-Pakt am 23. August 1939 in Moskau. Das offiziell als Nichtangriffsvertrag deklarierte Abkommen enthielt einen hochgeheimen Zusatz, durch den das Deutsche Reich der Sowjetunion den Einmarsch nach Ostpolen, in Bessarabien und in die baltischen Staaten Litauen, Estland und Lettland zugestand. Stalin verpflichtete sich, Hitler keine Steine in den Weg zu legen, wenn seine Wehrmacht in Polen einfällt. In der Sowjetunion wurde der überraschend mit dem Naziregime abgeschlossene Vertrag damit begründet, dass man Zeit gewinnen will, um sich gegen einen möglichen deutschen Überfall durch Deutschland vorzubereiten. Aus der Geschichte ist jedoch bekannt, dass der sowjetische Diktator den Freiraum nicht nutzte und auch Warnungen vor einem bevorstehenden deutschen Angriff in den Wind schlug, was Millionen Menschen das Leben kostete.

Schonungsloser Vernichtungskrieg

Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht und damit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 wurden die west- und mittelpolnischen Gebiete binnen weniger Tage in einem "Blitzkrieg" überrannt. Hitler konnte bereits am 5. Oktober 1939 in Warschau eine Siegesparade ab-nehmen. Derweil marschierten auf Befehl des sowjetischen Diktators Josef Stalin Einheiten der Roten Armee gemäß einer geheimen Absprache mit Hitler in das östliche Polen ein, das der Ukrainischen und Weißrussischen Sowjetrepublik zugeschlagen wurde. Um sich der polnischen Elite und damit potenzieller Gegner zu entledigen, ordnete Stalin die Ermordung von über 20 000 Offizieren, Künstlern, Wissenschaftlern und Geistlichen in Katyn an. In dem zum deutschen Generalgouvernement erklärten Polen begann ein schonungsloser Vernichtungskrieg vor allem gegen Juden. Diese sowie aus den deutsch besetzten Ländern Europas stammenden sechs Millionen Juden wurden in Auschwitz-Birkenau bei Krakau, Treblinka, Sobibor und an anderen Orten ermordet. Aufstände 1943 und 1944 in Warschau gegen die deutschen Besatzer endeten mit Massakern der SS und der vollständigen Zerstörung der polnischen Hauptstadt. Unzählige Bewohner wurden, sofern sie bei den Kämpfen nicht ums Leben kamen, in die Vernichtungslager verschleppt und ermordet.

Nach der Befreiung durch die Rote Armee wurde in Polen auf Druck der Sowjetunion eine kommunis-tische Diktatur errichtet. Stalin verschob auf der Grundlage des Potsdamer Abkommens die polnische Grenze nach Westen bis an die Oder und Neiße und machte sich im östlichen Polen breit. Diese Ge-waltmaßnahmen waren mit der Umsiedlung von Millionen Menschen verbunden. Für die nationale Identität der Polen war es wichtig, die Spuren barbarischer Zerstörungswut während der deutschen Besetzung zu beseitigen. Deshalb wurde alle Kraft in den Wiederaufbau der von den Nationalsozialisten nach dem Aufstand im August 1944 fast vollständig zerstörten Hauptstadt Warschau einschließlich des königlichen Schlosses sowie weiterer Altstädte investiert. Die 1981 ins Leben gerufene Ge-werkschaftsbewegung Solidarnosc bereitete den Machthabern in Warschau und in Moskau große Probleme und erregte auch den Unwillen der Staats- und Parteispitze in der DDR. Letztenendes ist es neben vielen anderen Faktoren den mutigen Frauen und Männern, die sich hinter dem Danziger Werftarbeiter Lech Walesa und seiner Solidarnosc-Bewegung versammelten, zu verdanken, dass das kommunistische Weltsystem einstürzte und wir Deutschen unsere Wiedervereinigung erlangten. Die aktuelle Führung der polnischen Nation tut sich mit europafeindlichen Parolen und Maßnahmen hervor und unterdrückt demokratische Bestrebungen und hetzt gegen Flüchtlinge, die sie aber im Unterschied zu anderen Ländern mit fadenscheinigen Begründungen nicht ins Land lässt. Beim Empfang von Hilfsgeldern ist die Regierung in Warschau, die sich von Putins Russland bedroht fühlt und nationalistische Gefühle fördert, weniger zurückhaltend.

Vor dem Hintergrund der schwierigen polnischen Geschichte und Freiheitsbewegung ist der Text der Nationalhymne unseres Nachbarlandes verständlich, die mit den Worten "Noch ist Polen nicht verlo-ren / Solange wir leben. / Was uns fremde Übermacht nahm, / werden wir uns mit dem Säbel zu-rückholen" beginnt. Die Liedzeile ist bei uns nicht in erster Linie mit Blick auf die polnische Geschichte der letzten 200 Jahre populär, sondern als Ausdruck für Hoffnung in nahezu aussichtsloser Lage. Verfasst von Jozef Wybicki als "Lied der polnischen Legionen in Italien", wurde der Mazurek Dabrowskiego nach 1797 gesungen, um sich Mut in den Kämpfen gegen die Unterdrücker des Landes zu machen. Benannt ist das Lied nicht nach seinem Dichter, sondern nach dem darin besonders her-vor gehobenen polnischen General und Nationalhelden Jan Henryk Dabrowski.

(30. Mai 2016)

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