Berühmter Boxer kämpfte angeblich "undeutsch"
In der Kreuzberger Bergmannstraße wird an den von den Nazis verfolgten und ermordeten Johann Trollmann erinnert




Johann Trollmanns Kampfstil war den Nazis suspekt,
sie werteten ihn als "undeutsch" ab und diskriminierten den
bekannten Boxer, nur weil der ein Sinto ist.




In deutscher und englischer Sprache klärt eine Bild- und Schrifttafel
am Eingang zu einer früheren Schule an der Kreuzberger Bergmannstraße
auf, wer Trollmann war und welches Schicksal er in der NS-Zeit
hatte. Seit 2011 heißt die Sporthalle der Schule Johann-Trollmann-Boxcamp.




Die Topographie des Terrors auf dem ehemaligen SS- und Gestapogelände
an der Berliner Wilhelmstraße/Niederkirchnerstraße berichtet auch über die
Verbrechen an den Sinti und Roma während der Nazizeit.




Auf dem Gelände eines ehemaligen "Zigeunerlagers" im Berliner
Ortsteil Marzahn werden die Untaten von Hitlers Rassenhygienikern
sowie die Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung von einer
halben Million Sinti und Roma dokumentiert. (Fotos: Caspar)

Eine große Inschrift und eine Gedenktafel am Eingang zur ehemaligen Gemeindeschule Bergmannstraße 28/29 im Berliner Bezirk Kreuzberg, ein Stolperstein im Hamburger Schanzenviertel und in der Fidicinstraße in Berlin-Kreuzberg sowie ein Straßename in Hannover erinnern an den von den Nazis verfolgten und ermordeten Boxsportler Johann Trollmann. 1907 geboren, stammte er aus einer Sinti-Familie und bekam von seinen Eltern den zweiten Vornamen Rukeli, zu deutsch etwa gerader Baum. Am 9. Juni 1933 wurde Johann Trollmann, einer der bekanntesten Boxer der Weimarer Republik, im Kampf gegen Adolf Witt Deutscher Meister im Halbschwergewicht. Er besiegte seinen Gegner, dem er in Bezug auf Technik, Beweglichkeit und Schnelligkeit überlegen war. Da aber der Boxverband bereits mit Nazis durchsetzt war und Trollmann als so genannter Zigeuner nicht in das rassistische Konzept der 1933 an die Macht gelangten Nazis passte, wurde ihm der Titel wegen angeblich undeutschen Boxens aberkannt. Dass ein Sinto besser als ein "arischer" Sportler ist, wollten die Nazis nicht wahrhaben.

Die Boxer Gustav Eder und Johann Trollmann wurden in einem weiteren Kampf in der Kreuzberger Bockbierbrauerei instrumentalisiert, um die Nazi-These von der Überlegenheit der "arischen Herrenrasse" zu untermauern. Trollmann kam mit blondgefärbten Haaren und weiß gepuderter Haut wie eine Karikatur eines "arischen" Boxers in den Ring. Die Veranstalter untersagten ihm unter Androhung des Entzugs seiner Boxlizenz, mit seinem tänzelnden Stil dem Gegner kein Ziel zu bieten. Am Ende siegte Eder, der auf fast bewegungslosen Trollmann eindrosch und ihn k. o. schlug. Trollmann verlor seine Boxlizenz. Im Zweiten Weltkrieg war er Soldat und wurde an der Ostfront verletzt. Wie andere Sinti wurde er als "wehrunwürdig" erklärt und aus der Wehrmacht ausgestoßen. 1942 wurde der frühere Deutsche Meister ins KZ Neuengamme und von dort in das Außenlager Wittenberge verschleppt, wo er ermordet wurde. Lange wurde der Fall tot geschwiegen, erst 2003 erhielten seine noch lebenden Verwandten Louis und Manuel Trollmann symbolisch den Meistergürtel von 1933 zurück, und der Name Trollmann kam wieder auf die Liste der Deutschen Meister im Halbschwergewicht. Bei der Gedenkaktion "Zerstörte Vielfalt" 2013 anlässlich des 80. Jahrestags von Hitlers so genannter Machtergreifung wurden Trollmann und sein Schicksal berlinweit auf großen Litfasssäulen gewürdigt.

Wie die Juden, so waren auch die Sinti und Roma während der Nazizeit systematisch ausgegrenzt, verfolgt und ermordet. Zuständig dafür war die so genannte Zigeunerdienststelle in Berlin, die 1938 in das "Reichskriminalamt zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens" umgewandelt wurde. Während dieses Amt für die "Erfassung der Zigeuner" zuständig war, wurde beim Reichsgesundheitsamt eine, wie es damals hieß, rassenhygienische und bevölkerungspolitische Forschungsstelle eingerichtet. Finanziert wurde diese Behörde von der mit der NS-Politik eng verbandelten Deutschen Forschungsgemeinschaft. Robert Ritter, der Chef der Dienststelle, behauptete, Zigeuner seien ein Volk mit ausgeprägt kriminellen Eigenschaften, die von Generation zu Generation genetisch vererbt werden, was sie so sehr gefährlich macht. Er forderte, die Deutschen von dieser "Last" zu befreien. Vor allem die als besonders asozial eingestuften Mischlinge müssten in Arbeitslager eingewiesen werden, und auch ihre Fortpflanzung sei durch Sterilisation zu unterbinden. Die von Ritter und seiner Behörde erstellten Unterlagen wurden für die Verhaftung und Deportation ganzer Familien in die Konzentrations- und Todeslager verwendet. Die Ärztin Lucie Adelsberger wurde 1943 mit weiteren Berliner Juden nach Auschwitz deportiert, wo sie die Häftlingsnummer 45171 erhielt. Im Zigeuner- und Frauenlager des KZ Auschwitz-Birkenau als Häftlingsärztin eingesetzt, sah sie furchtbares Elend, über das sie nach ihrer Befreiung 1945 berichtete. "Die Kinder waren wie die Erwachsenen nur noch Haut und Knochen ohne Muskeln und Fett, und dünne pergamentartige Haut scheuerte sich über den harten Kanten des Skeletts überall durch. [...] Aber die Not dieser Würmer schnitt noch mehr ins Herz. Vielleicht, weil die Gesichter alles Kindliche eingebüßt hatten und mit greisenhaften Zügen aus hohlen Augen guckten." Krätze hätte den unterernährten Körper von oben bis unten bedeckt und ihm die letzte Kraft entzogen, schrieb die ehemalige Häftlingsärztin. "Vor Hunger und Durst, Kälte und Schmerzen kamen die Kinder auch nachts nicht zur Ruhe. Ihr Stöhnen schwoll orkanartig an und hallte im ganzen Block wider."

Aufgrund des Zigeuner-Erlasses, den Reichsführer SS Heinrich Himmler am 16. Dezember 1942 unterschrieb, wurden 23 000 Sinti und Roma aus elf Ländern nach Auschwitz-Birkenau verschleppt, wo fast alle ermordet wurden. Die letzten 3 000 Kinder und ihre Mütter sowie alte Leute starben am 2. August 1944. In einem Schnellbrief an die Leiter der Kriminalpolizeistellen vom 29. Januar 1943 befahl das Reichssicherheitshauptamt unter Berufung auf Himmlers Erlass, "Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen. [...] Diese Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager (Zigeunerlager) Auschwitz. [...] Die Einwilligung zur Unfruchtbarmachung der über 12 Jahre alten, aber noch nicht sterilen zigeunerischen Personen ist anzustreben. [...] Im Falle der Weigerung entscheidet nach Darlegung der Gründe das Reichskriminalpolizeiamt über das zu Veranlassende".

Die Morde geschahen im gleichen Geist wie die "Endlösung der Judenfrage" und wurden nach 1945 kaum zur Kenntnis genommen und sogar geleugnet. Der Bundesgerichtshof bestritt, dass eine Verfolgung überhaupt stattgefunden hat, allenfalls habe es die üblichen polizeilichen Präventivmaßnahmen gegen die "Zigeunerplage" gegeben. Mit der Behauptung, Zigeuner würden zur Kriminalität und insbesondere zu Diebstählen und Betrügereien neigen und es würden ihnen vielfach der sittliche Antrieb zur Achtung von fremden Eigentum fehlen, wies das Gericht Entschädigungsansprüche ihrer Opfer ab. Es bediente sich nahezu der gleichen Argumentation, die schon in der NS-Zeit Grundlage von Ausgrenzung und Mord war.

Dem Gedenken an den Völkermord an den Sinti und Roma ist eine Tafel am Haus Thielallee 88-92 in Berlin-Zehlendorf gewidmet. In dem Gebäude, das heute das Bundesinstitut für Risikobewertung beherbergt, befand sich die von Robert Ritter geleitete Rassehygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle. Sie wirkte an der Überwachung der Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma mit. Das von ihr gesammelte Material wurde in der Bundesrepublik Deutschland weiter genutzt, keinem der Täter ist etwas geschehen. Ritter überlebte die NS-Zeit unbeschadet, wie andere Mediziner auch. Er brachte es bis zum Stadtrat in Frankfurt am Main und starb ohne Schuldgefühle 1951, zehn Jahre nach seinen menschenverachtenden Vorschlägen und Pseudoforschungen.

Nach zwanzigjähriger Vorbereitung wurde am 24. Oktober 2012 unweit des Reichstagsgebäudes im Berliner Tiergarten das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas feierlich eingeweiht. Von dem israelischen Bildhauer Dani Karavan gestaltet, ist der Brunnen eine eindringliche Mahnung und Aufforderung für die Zukunft, gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma anzugehen und sich in Deutschland und darüber hinaus immer wieder für Menschenrechte, Toleranz und den Schutz von Minderheiten einzusetzen, hieß es bei der Einweihung. Am Brunnen klären Tafeln über den Völkermord an einer halben Million Sinti und Roma auf, an seinem Rand kann man das Gedicht von Santino Spinelli "Eingefallenes Gesicht erloschene Augen kalte Lippen ein zerrissenes Herz ohne Atem ohne Worte keine Tränen" lesen. Steinplatten am Rand des Brunnens tragen die Namen der Konzentrations- und Vernichtungslager, in denen Sinti und Roma mit Juden und anderen als "lebensunwert" abgestempelten Menschen gefangen gehalten und ermordet wurden, Schrifttafeln rund um die Gedenkstätte dokumentieren den Völkermord. Auf dem Friedhof in Marzahn wird an die in Berlin verfolgten und ermordeten Sinti und Roma erinnert, ebenso werden sie auf einer Tafel am Eingang zur Neuen Wache Unter den Linden in das ehrende Gedenken einbezogen.

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