Sowjetische Panzer gegen ungarische Arbeiter

Aufstand in Budapest und dem ganzen Land wurde vor 60 Jahren blutig von der Roten Armee und eigenen Sicherheitsleuten niedergeschlagen



Das Entsetzen war groß, als der Versuch, in Ungarn einen Sozialismus mit
menschlichem Antlitz zu etablieren und sich von der stalinistischen Vergangenheit
zu lösen, blutig niedergeschlagen wurde.






Unter dem Jubel der Bevölkerung landeten in Budapest Stalindenkmäler
und Bilder des Stalinisten Rákosy auf dem Müllhaufen der Geschichte.




Als Otto von Habsburg und seine Freunde am ..August 1989 nach
Sopron zu einem Europäischen Picknick riefen, gab es für viele
DDR-Touristen in Ungarn kein Halten mehr. Die SED-
und Staatsführung der DDR musste dem Exodus wutentbrannt zusehen.



Eine Gedenktafel am Berliner Reichstagsgebäude, dem Sitz des Deutschen
Bundestages, dankt dem ungarischen Volk für seine Hilfe bei der
Überwindung des Eisernen Vorhangs und der deutschen
Wiedervereinigung. (Repros/Foto: Caspar)

Die Verurteilung der Verbrechen des sowjetischen Diktators Josef Stalin, die der neue Parteichef Nikita Chrutschschow Anfang 1956 in einer Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU in Moskau vornahm, blieb nicht lange geheim. Westliche Radiostationen sorgten für die Verbreitung des brisanten Inhalts bis tief in die Länder hinter dem Eisernen Vorhang hinein. Die Sowjetvölker und die unter russischer Knute lebenden Staaten in Osteuropa atmeten auf. Von Tauwetter und demokratischer Mitbestimmung war die Rede, von Verbesserung der sozialen Verhältnisse und eigenständiger Entwicklung. Wie sollten sich die Hoffnungen vor 60 Jahren in Rauch auflösen!

In Ungarn nahmen Arbeiter und Studenten die Demontage des bisher auch von den eigenen Führern wie ein Halbgott verehrten Stalin zum Anlass, um einen Systemwechsel und die Ablösung des Landes von sowjetischer Abhängigkeit zu verlangen. Studenten der Technischen Universität Budapest erhoben in der Nacht vom 22. zum 23. Oktober 1956 radikale Forderungen an die Regierung und die Kommunistische Partei. Das 14-Punkte-Programmm verlangte den Abzug der Roten Armee, die seit Kriegsende als Garant der "sowjetisch-ungarischen Freundschaft" dass Land besetzt hielt, ging über zur Forderung, das Streikrecht zu gewähren und Oppositionsparteien zuzulassen. Gefordert wurden freie Wahlen, die Abschaffung der Pressezensur, die Entlassung der politischen Gefangenen und Rehabilitierung der Opfer stalinistischer Willkür.

Die ungarische Staatsmacht und ihre Geheimpolizei empfanden dieses Verlangen, dem sich sehr schnell zahllose Ungarn anschlossen, als Provokation. Zugeständnisse hätten das ganze politische System ins Wanken gebracht, und das musste unter allen Umständen verhindert werden. So blieben blutige Auseinandersetzungen nicht aus. Um die Lage zu entspannen, wurde am 24. Oktober 1956 das bisherige Regime des Altstalinisten Mátyás Rákosi durch eine von dem Reformkommunisten Imre Nagy gebildete neue Regierung abgelöst. Der populäre Politiker, der unter dem bisherigen Regime nicht zum Zuge gekommen war, verkündete die Abschaffung der kommunistischen Einparteienherrschaft und die Einführung eines Mehrparteiensystems. Unter dem Jubel seiner Landsleute rief er freie Wahlen aus, bei denen die bisher diktatorisch herrschende KP sicher nicht gut abgeschnitten hätte. Frischer Wind ging durch das Land, große Hoffnungen wurden in die Zukunft gesetzt. Der ungarische Sozialismus sollte ein "menschliches Antlitz" bekommen. In ihm sollte verwirklicht werden, was die Klassiker des Marxismus schon immer gefordert hatten - die von Ausbeutung und Unterdrückung befreite Menschheit.

Die Alarmglocken schrillen

Doch regten sich schnell auch Zweifel, ob der Weg angesichts der sowjetischen Besatzung im Land und der Abhängigkeit von Moskau überhaupt gangbar ist. Innerhalb der Kommunistischen Partei und den damaligen Eliten kam es zu massivem Widerstand gegen die angekündigten Reformen, denn die Nutznießer des Rákosy-Systems fürchteten um ihre Ämter und Privilegien, sahen schon Prozesse auf sich zukommen, bei denen ihre eigenen Verbrechen hätten zur Sprache gekommen wären. Viele von der Richtigkeit ihres Weges überzeugte Kommunisten wollten nicht so weit gehen wie Nagy.

Die in wenigen Tagen anschwellende Demokratiebewegung in Ungarn wenige Wochen nach der blutigen Niederschlagung eines Arbeiteraufstandes mit ähnlicher Zielsetzung in der polnischen Industriestadt Posen ließen im Moskauer Kreml und den anderen Hauptstädten der sozialistischen Staatenwelt einschließlich Ostberlins, wo der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR noch in lebhafter Erinnerung war, die Alarmglocken schrillen. Der mächtigste Mann der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, der gerade erst die brutalen Unterdrückungsmethoden seines Vorgängers Josef Stalin kritisiert hatte, ließ in Machtfragen nicht mit sich spaßen und ging zur Offensive über.

Als Ministerpräsident Imre Nagy am 1. November 1956 den Austritt seines Landes aus dem Warschauer Pakt erklärte, war der Punkt erreicht, an dem sich die Sowjetunion zu militärischen Gegenmaßnahmen entschloss. Keinem der Satellitenländer sollte das Verlassen des von ihr dominierten Militärbündnisses, das bis an die Zähne bewaffnet der Nato gegenüberstand, gestattet sein. Um jedes Ausscheren zu unterbinden und auch zu verhindern, dass andere Staaten des Warschauer Paktes dem ungarischen Beispiel folgen, ließ Moskau seine Soldaten in dem unbotmäßigen Nachbarland aufmarschieren. Panzereinheiten der Roten Armee rückten am 4. November in Budapest ein. Die USA und der anderen westlichen Großmächte unternahmen nichts. Sie wollten eine Konfrontation zwischen West und Ost durch den israelisch-ägyptischen Krieg und die britisch-französische Militärintervention in Ägypten wegen der Verstaatlichung der französisch-britischen Suezkanal-Gesellschaft durch den ägyptischen Präsidenten Nasser weiter anheizen.

Einheiten der ungarischen Armee und der Sicherheitskräfte gingen derweil zu den Aufständischen über, die die von Nagy verkündete Neutralität Ungarns und den Austritt aus dem Warschauer Pakt begeistert begrüßen. Als die Rote Armee in Budapest ihre Panzer in Stellung brachte und in die aufgebrachte Menge schoss, kam es zu Massakern. Bilder von vermutlich kommunistischen Funktionären, die an Laternen aufgehängt wurden, gingen um die Welt und dienten der Sowjetführung als zusätzliche Begründung für ihr gewaltsames Vorgehen gegen die, wie man zu sagen pflegte, ungarische Konterrevolution.

Aus dem Volksaufstand wurde ein Bürgerkrieg

Nachdem sich der Volksaufstand zum Bürgerkrieg, der Streik der Eisenbahner zum Generalstreik ausgeweitet hatten, kamen die Sowjetführer Mikojan und Bulganin nach Budapest, um über das weitere Verbleiben der Roten Armee im Land zu verhandeln. Doch das war reine Augenauswischerei, denn für die Kreml-Herren kamen eine Neutralisierung Ungarns und der Abzug der Sowjetarmee nicht in Frage. Es ging nur um Zeitgewinn und den Ersatz der Nagy-Regierung durch ein sowjetfreundliches Regime. Als Helfer Not bot sich der Kommunist János Kádár an. Er bildete eine Gegenregierung und saß alsbald mit sowjetischer Hilfe fest im Sattel.

In aussichtsloser Lage machten sich lange Menschenströme in Richtung Westen, vor allem nach Österreich, auf den Weg. Insgesamt 170 000 bis 200 000 Flüchtlinge sollen es gewesen sein, ein ungeheurer Aderlass für Ungarn. Am 11. November 1956 brach der Aufstand unter der Übermacht der sowjetischen Panzer zusammen. Imre Nagy und einige Begleiter verließen ihr Asyl in der jugoslawischen Botschaft und wurden von den Sowjets nach Rumänien entführt. Der Reformkommunist wurde vermutlich 1958 hingerichtet und erst im Wendejahr 1989 rehabilitiert.

Während es János Kádár, der neue starke Mann in Ungarn, ablehnte, Beobachter der Vereinten Nationen ins Land zu lassen, fällten Standgerichte die ersten Todesurteile. Zwar kam es um die Jahreswende 1956/7 noch einmal zu einem Generalstreik und zu gelegentlichen Erhebungen, die von sowjetischen Soldaten niedergeschlagen wurden Der Widerstand war gebrochen. Die Kremlherrscher und ihre Helfershelfer in Ungarn und den anderen Satellitenstaaten einschließlich Walter Ulbrichts in der DDR konnten aufatmen. Blutig wurde mit den Revolutionären abgerechnet, die als im Auftrag westlicher Geheimdienste handelnde Konterrevolutionäre verunglimpft wurden. 100 000 Menschen wurden nach einer Reihe von Schauprozessen in die Gefängnisse geworfen, hunderte mussten ihr Leben lassen.

Das Loch im Eisernen Vorhang

Während sich in den folgenden Jahren durch massive "Bruderhilfe" und eigene Initiative die wirtschaftliche Lage in Ungarn besserte, blieben im Inneren der politische Druck und das Klima der Angst weiter bestehen. Mit den Jahren mauserte sich Ungarn zum Land des "Gulaschkommunismus" und wurde für die hinter Mauer und Stacheldraht von der Außenwelt abgeschnittenen DDR-Bürger als Reiseland attraktiv. Im Sommer 1989 öffnete Ungarn den Eisernen Vorhang, ließ DDR-Bürger durch einen zerschnittenen Zaun nach Österreich entkommen und läutete damit nicht nur die längst fällige Wende im zweiten deutschen Staat ein, sondern auch den Zusammenbruch des kommunistischen Staatensystems.

Das heutige Ungarn gedenkt des Aufstandes vor 60 Jahren mit gemischten Gefühlen. In zahlreichen Feiern und Kranzniederlegungen wird an das Wunder von damals, an das kurze Gefühl der Freiheit, an den gemeinsamen Kampf für die Unabhängigkeit erinnert. Das Gedenken passt gut zu den Zielen der Regierung Orbán. Der allmächtige Premierminister inszeniert sich als Kämpfer für die Souveränität seines Landes und bietet der Europäischen Union die Stirn. Dass damals an die 200 000 Ungarn in den Westen, vor allem nach Österreich, fliehen konnten, ist für Orbán und das das heutige Ungarn kein Argument, seinerseits Flüchtlinge aufzunehmen und damit auch Dank für damals gewährte Hilfe abzustatten.

24. Oktober 2016

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