Aus der braunen Mottenkiste geholt

AfD-Chefin Petry will den rassistisch und nationalistisch besetzten Kampfbegriff "völkisch" aus der Nazizeit salonfähig machen





Die Nazis riefen zum Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 in Berlin und dem
ganzen Deutschen Reich auf. Die Topographie des Terrors in Berlin dokumentiert
die rassistischen Ausschreitungen und was sich hinter dem Begriff Volksgemeinschaft verbirgt.




Unbotmäßige Geistliche und andere so genannte Volksfremde waren in der
NS-Zeit einer massiven Hetze ausgesetzt und konnten sich dagegen kaum wehren.




Der von Hitler gegründete Volksgerichtshof sprach am laufenden Band Todesurteile
und hohe Zuchthausstrafen gegen so genannte Volksfeinde aus. Die Grafik wurde 1935
von Johannes Wüsten geschaffen.



Noch im letzten Kriegsjahr 1945 wurde zum Volksopfer aufgerufen, um den Endsieg zu erringen.
Wer sich von solchen Aktionen ausschloss und denunziert wurde, bekam es
mit der Gestapo zu tun. (Fotos/Repros: Caspar)

Nazi-Begriffe sind wieder im Kommen, NS-Nostalgie auch. Neulich wurde im Fernsehen eine fein angezogene Dame in Mecklenburg-Vorpommern gezeigt mit dem Ruf "Adolf steh auf, du hast 70 Jahre genug geschlafen". Die Umstehenden stiegen nicht auf die Barrikaden, ein dabei stehender Funktionär einer rechtsextremen Partei wies die Frau nicht zurecht, sondern bedankte sich bei ihr. Jetzt hat die AfD-Chefin Frauke Petry einen schlimmen Begriff aus der NS-Sprache hervorgekramt und fordert, man müsse daran arbeiten, dass "völkisch" künftig wieder positiv besetzt wird. Man müsse "endlich wieder einen entspannten, nicht unkritischen, also normalen Umgang mit unserer Nation und dem Begriff ,Volk' wiedererlangen" erklärte Petry der "Welt am Sonntag". Die Reaktion auf diesen geschichtsvergessenen Vorschlag ließ nicht lange auf sich warten. Die Zeitung "Die Welt" schrieb, Nazi-Kampfbegriffe seien nicht resozialisierbar, das Wort sei viel zu dicht mit Mordgesellen verknüpft, als dass jemand es heute in den Mund nähme, der noch recht bei Sinnen ist. "Petry zeigt mit solchen Erwägungen die unaufhaltsame und unvermeidliche Drift in Richtung vergangener Zeiten, die sich rechts von der Union vollzieht, sobald dort jemand politisch zu Kräften kommt." Frauke Petry habe ein Herz für Adjektive aus dem Giftschrank, stellt die Lüneburger Landeszeitung fest. "Die AfD-Vorsitzende möchte den Begriff ,völkisch' wieder positiv besetzen. ,Völkisch' sollte von Anbeginn zwischen ,Volksgenossen' und ,Gemeinschaftsfremden', zwischen ,minderwertig' und ,höherwertig' unterscheiden. Wer dieses Wort wiederbeleben will, möchte den Werterahmen dieser Republik so verschieben, dass Inhumanität wieder als nationale Tugend erscheint."

In Hitlers Staat musste alles völkisch sein, die von Goebbels gesteuerte und überwachte Propaganda führte das "Volk" ständig im Mund herum. Bis ganz zum Schluss verbreitete der "Völkische Beobachter", das Zentralblatt der NSDAP, Erfolgs- und Siegesmeldungen, die Leute hörten am Volksempfänger ihrem Führer und seinen Propagandisten zu. Das Volksfernsehen wurde nicht Realität, dafür gab es den Volksempfänger VE 301 (die Zahl steht für den 30. Januar 1933, den Tag der so genannten Machtergreifung), der die Volksreden des Volkskanzlers in die letzten Winkel des Reiches übertrug. Die Justiz urteilte nach dem gesunden Volksempfinden und befolgte damit politische Vorgaben der NSDAP. Der Volksgerichtshof sprach im Namen des Volkes unzählige Bluturteile gegen so genannte Volksfeinde und Gemeinschaftsfremde aus. Im ganzen Land gaben Volksküchen der NS-Volkswohlfahrt Essen an bedürftige Volksgenossen aus. Wer es sich leisten konnte, fuhr mit dem Volkswagen über die Autobahnen, die als Straßen des Führers gefeiert wurden. Gegen Ende des zum Volkskrieg gegen den jüdisch-bolschewistischen Imperialismus erklärten Zweiten Weltkriegs sollte der aus halben Kindern und alten Männern rekrutierte Volkssturm die militärische Wende herbeiführen. Der Volksbrockhaus für Schule und Haus von 1936 listet Volksfestspiele, Volkstum, Volksverrat und die Volkspolizei auf, die schon vor 1945 und nicht erst in der DDR zum Freund und Helfer stilisiert wurde.

Wer aus rassistischen und/oder politischen Gründen nicht zur Volksgemeinschaft gezählt wurde, war ein Volksschädling und damit vogelfrei. Wie mit ihnen verfahren wird, regelten zahlreiche Gesetze und Verordnungen, die die so genannten Volksfremden für vogelfrei erklärten und sie zu einem unwürdigen Außenseiterdasein verurteilten, das geradewegs in die Vernichtungslager und deren Gaskammern führte.

In dieser Volksgemeinschaft sollte es keinen Unterschied zwischen oben und unten, arm und reich, gebildet oder nicht gebildet geben. Das hörte sich gut an und fand in der Bevölkerung viel Beifall. Diese Volksgemeinschaft sollte nicht durch Zwang, sondern durch innere Überzeugung gestaltet werden. Entwickelt und gefestigt wurde der Volksgemeinschaftsgedanke im Großen durch zahllose Kundgebungen und Aufmärsche sowie die Nürnberger Parteitage und eine pausenlose Propaganda und im Kleinen durch Erntedankfeiern und Handwerkerfeste, Nähabende der Frauen, die Kinderlandverschickung, Urlaubsfahrten im Rahmen der Organisation Kraft durch Freude und viele andere Aktivitäten. Wer sich den Zwängen nicht unterordnete und gar Widerstand leistete, bekam es mit der Gestapo und der Blutjustiz tun, und viele verloren Leben und Freiheit.

Das Parteiorgan der NSDAP "Völkischer Beobachter" (VB) spielte eine herausragende Rolle bei der Vermittlung der NS-Ideologie und war als Massenblatt nach der Errichtung der Diktatur 1933 maßgeblich für die Propagierung aller Maßnahmen der von Hitler geführten Reichsregierung zuständig. Nach dem Hitlerputsch vom 9. November 1923 zunächst verboten, war der im Münchner Franz Eher Nachf. Verlag. produzierte VB Pflichtlektüre aller NS-Funktionäre sowie der Parteimitglieder und ab 1933 der Staatsbeamten. Die Zeitung hatte eine aggressive antijüdische und antikommunistische sowie gegen das "Weimarer System", den Versailler Vertrag von 1919 und den so genannten Kulturbolschewismus gerichtete Stoßrichtung. Seit April 1922 war Max Amman Geschäftsführer, der spätere Präsident der Reichspressekammer. Von 1921 bis 1923 war Dietrich Eckart Hauptschriftleiter, gefolgt von Alfred Rosenberg und Wilhelm Weiß. Hitler war bis zum 30. April 1933 Herausgeber des in ungewohnt großem Format gedruckten Parteiblattes. Wenn er darin etwas las, was ihm nicht zusagte, etwa nach seinen Begriffen zu milde Gerichtsurteile gegen so genannte Volksfeinde, griff er persönlich ein und verschärfte die Strafen bis hin zur Todesstrafe. Hitler lancierte auch Meldungen, um auf ihrer Grundlage bestimmte Straf- und militärische Maßnahmen ergreifen zu können.

Nach 1933 erlebte die Zeitung einen unaufhaltsamen Aufstieg, während gleichzeitig Blätter der SPD und KPD sowie der Gewerkschaften als Konkurrenten ausgeschaltet wurden. Um den Absatz des "Völkischen Beobachters" zu verbessern, der 1941 die Millionengrenze überschritt, zogen Werber von Haus zu Haus und nötigten die Volksgenossen, ein Abonnement abzuschließen. Seit 1. Februar 1927 erschien das Parteiorgan in einer Reichs- und in einer Bayernausgabe, hinzu kam ab 1. Januar 1933 eine Berliner und eine Norddeutsche Ausgabe. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1938 in Österreich brachte der VB auch eine Wiener Ausgabe heraus. Im Zusammenhang mit der Agitation gegen die fälschlicherweise als "jüdisch" bezeichnete Fraktur, auch deutsche Schrift genannt, wurde das Parteiblatt und andere Medien ab Februar 1941 nur noch mit der lateinischen Antiqua gedruckt, von der sich Hitler eine bessere Lesbarkeit in den besetzten Ländern und der übrigen Welt versprach. Wegen Papierknappheit, Personalmangel und aus anderen Gründen mussten der VB und weitere Zeitungen im Krieg ihren Umfang erheblich verringern. Die letzte Nummer erschien am 30. April 1945, dem Tag von Hitlers Selbstmord, als Süddeutsche Ausgabe, wurde aber wegen des Vormarsches der US-Truppen nicht mehr ausgeliefert.

12. September 2016

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