"Ehrlos kann der Preuße, der Deutsche nicht seyn"

Was Friedrich Wilhelm III. mit seinem legendären Appell "An Mein Volk" erreichte und wie es den Sachsen erging



Der vom preußischen König im März 1813 in Breslau verkündete
Aufruf "An Mein Volk" fand überall ein begeistertes Echo.




Die Rolle, die Friedrich Wilhelm III. bei der Ausrufung der
Befreiungskriege spielte, wurde später als Heldentat verklärt, wie die
farbige Zeichnung aus der Zeit um 1900 zeigt.




Die Drei-Mark-Stücke von 1913 zum "Aufruf an mein Volk" sowie mit
dem Völkerschlachtdenkmal bei Leipzig suchen in der Münzgeschichte
der deutschen Kaiserzeit ihresgleichen, das Eiserne Kreuz
links trägt die Jahreszahl 1813.




Freiwillige nehmen 1813 auf der Grafik von Heinrich Anton Dähling
Abschied von ihrer Familie und ziehen in den Befreiungskampf.
Die Kosten für die Ausrüstung und Bewaffnung wurde durch Spenden
im Rahmen der Aktion "Gold gab ich für Eisen" aufgebracht.
(Foto/Repros: Caspar)


Nach dem verlorenen Krieg Preußens gegen Frankreich 1806 und dem Tilsiter Friedensschluss von 1807 hatte die Hohenzollernmonarchie für wenige Jahre die Bedeutung eines bloßen Mittelstaates. Führende Politiker nutzten die Zeit, sorgten für die Reformierung des Landes und ebneten den Weg zu den Befreiungskriegen, die im Sommer 1815 nach verlustreichen Kämpfen mit dem Sieg über das napoleonische Frankreich und die Verbannung seines Kaisers auf die ferne Insel Sankt Helena endete. Der Krieg begann offiziell mit dem berühmten Aufruf "An Mein Volk", den König Friedrich Wilhelm III. am 17. März 1813 in Breslau verkündet hatte. Er konnte das nicht in Berlin tun, weil die Haupt- und Residenzstadt von den Franzosen bedroht wurde, weshalb die schlesische Stadt Breslau als eine Art Nebenresidenz fungierte. Der zögerliche König von Preußen hatte sich auf Drängen seiner Berater dazu entschlossen, seine Untertanen zum Volkskrieg gegen die Franzosen aufzurufen. Mit dem dramatischen Appell betrat er Neuland, denn noch nie hatte sich ein Hohenzoller mit einer fast in bittendem Ton gehaltenen Appell an seine Untertanen gewandt. Denn bisher hagelte es von oben nur Befehle, und es hieß stets "Ordre parieren".

Man kann sich vorstellen, dass dem König von Preußen der Aufruf an sein Volk mit bitteren und beschwörenden Worten wie diesen nicht leicht fielen: "Wir erlagen der Uebermacht Frankreichs. Der Friede, der die Hälfte Meiner Unterthanen mir entriss, gab uns seine Segnungen nicht; denn er schlug uns tiefere Wunden als selbst der Krieg. Das Mark des Landes ward ausgesogen, die Hauptfestungen bleiben vom Feinde besetzt, der Ackerbau ward gelähmt, sowie der sonst so hoch gebrachte Kunstfleiß unserer Städte. Die Freiheit des Handels ward gehemmt und dadurch die Quellen des Erwerbs und des Wohlstandes verstopft. Das Land ward ein Raub der Verarmung. Durch die strengste Erfüllung eingegangener Verbindlichkeiten hoffte Ich Meinem Volk Erleichterung zu bereiten, und den französischen Kaiser endlich überzeugen, daß es sein eigener Vortheil sey, Preußen seine Unabhängigkeit zu lassen. Aber Meine reinsten Absichten wurden durch Uebermuth und Treulosigkeit vereitelt, und nur zu deutlich sahen wir, daß des Kaisers Verträge mehr noch wie seine Kriege uns langsam verderben muss-ten."

Große Opfer sind unausweichlich

Jetzt sei der Augenblick gekommen, fuhr der König fort, wo alle Täuschung über unseren Zustand aufhört. "Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litthauer! Ihr wisst, was Ihr seit fast sieben Jahren erduldet habt; Ihr wisst, was euer trauriges Loos ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden. Erinnert Euch an die Vorzeit, an den großen Kurfürsten, den großen Friedrich. Bleibt eingedenk der Güter, die unter Ihnen Unsere Vorfahren blutig erkämpften: Gewissensfreiheit, Ehre, Unabhängigkeit, Handel, Kunstfleiß und Wissenschaft. - Gedenkt des großen Beispiels unserer mächtigen Verbündeten, der Russen; gedenkt der Spanier, der Portugiesen. Selbst kleinere Völker sind für gleiche Güter gegen mächtigere Feinde in den Kampf gezogen und haben den Sieg errungen. Erinnert Euch an die heldenmüthigen Schweizer und Niederländer." Große Opfer würden von allen Ständen gefordert, und nicht gering sei die Zahl und die Mittel unserer Feinde, fuhr der König fort. Dies sei der letzte, entscheidende Kampf für unsere Existenz, unsere Unabhängigkeit, unsern Wohlstand. Es gebe keinen anderen Ausweg als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang, "weil ehrlos der Preuße und der Deutsche nicht zu leben vermag." Dieser Satz wurde zum geflügelten Wort und ist später immer wieder bei ähnlichen Appellen verwendet worden.

Verfasser des Aufrufs, mit dem der König ein hohes Risiko einging, denn er erklärte mit ihm zugleich den Krieg an Frankreich, war preußische Staatsrat Theodor Gottlieb von Hippel. Veröffentlicht wurde das von Staatskanzler Hardenberg und vom König nur unwesentlich veränderte Dokument in der "Schlesischen privilegirten Zeitung" am 20. März 1813. Es fand danach deutschlandweit so großen Anklang, dass sich auch andere Herrscher bemüßigt fühlten, sich in ähnlicher Weise an ihre Untertanen zu wenden. Der von Prinzessin Marianne von Preußen, einer Schwägerin von Friedrich Wilhelm III., veröffentlichte "Aufruf der königlichen Prinzessinnen an die Frauen im preußischen Staate" war die Initialzündung für die Volksbewegung "Gold gab ich für Eisen", mit der in der Bevölkerung, vom königlichen Hof bis hinunter zu ganz einfachen Leuten, erhebliche Mittel zur Ausrüstung von Freiwilligen für den bevorstehenden Freiheitskampf gesammelt wurden.

Restauration der alten Verhältnisse

Nach den durch die Völkersschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 und weiteren Schlachten von den verbündeten Mächten Russland, England, Österreich, Preußen und weiteren Staaten siegreich beendeten Befreiungskriegen verweigerte Friedrich Wilhelm III. seinen Untertanen die zuvor versprochene Mitbeteiligung an der Politik. Eisern hielt er am feudalen Ständestaat fest und ließ freiheitliche Regungen im Bürgertum und an den Universitäten mit Gewalt unterdrü-cken. In den Befreiungskriegen wurde Frankreich entscheidend geschlagen. Fürsten und Diplomaten zeichneten 1814 und 1815 auf dem Wiener Kongress die europäische Landkarte neu, und Dynastien, die vom Franzosenkaiser vom Thron gejagt worden waren, kehrten zurück. Eine beklemmende Zeit der Restauration der alten Feudalverhältnisse begann. Übrigens hat König Friedrich Wilhelm III. sein Versprechen am Beginn der Befreiungskriege nicht eingelöst, das Volk an den "öffentlichen Dingen" zu beteiligen und eine Verfassung zu erlassen. In der Zeit, da sich Preußen aus seiner wirtschaftlichen Misere erholte, weil die Reformen aus der Zeit nach 1806 langsam griffen, wurden die Schrauben angezogen und freiheitliche Bestrebungen brutal unterdrückt. Auf der anderen Seite entwickelte sich Preußen zum Motor der wirtschaftlichen, kulturellen und geistigen Entwicklung und gab Künstlern, Gelehrten, Technikern und Industriellen wie Schinkel, Schadow und Rauch, den Brüdern Alexander und Wilhelm von Humboldt, Hegel, Beuth und Borsig reiche Betätigungsmöglichkeiten. Die 1810 unter maßgeblichem Einfluss von Wilhelm von Humboldt gegründete Berliner Universität wurde zur führenden Ausbildungsstätte für den akademischen Nachwuchs im nunmehrigen Deutschen Bund, dem 1815 gegründeten losen Zusammenschluss zahlreicher Fürstentümer und einiger Freier Städte.

Im Frühjahr 1813, am Vorabend der Befreiungskriege, stiftete Friedrich Wilhelm III. das Eiserne Kreuz. Mit der Auszeichnung am preußisch eingefärbten schwarz-weißen Band wurden Tapfer-keit vor dem Feind sowie und Verdienste an der Heimatfront belohnt. Entworfen von Karl Friedrich Schinkel, zeigt das Eiserne Kreuz unter einer Krone das königliche Monogramm FW, drei Eichenblätter und die Jahreszahl 1813. Mit seiner Stiftung setzte der König ein Zeichen und förderte patriotische Gefühle. Zum ersten Mal gab es einen Orden, den alle Dienstgrade erwerben konnten, ob Marschall oder Musketier. Lediglich einer erhielt eine Sonderstufe - Generalfeldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher. Ihm verlieh Friedrich Wilhelm III. den Blücherstern aus Gold mit darauf montiertem Eisernen Kreuz. Die Stiftungsurkunde wurde auf den 10. März 1813 datiert, den Geburtstag der Königin Luise. Die Gemahlin Friedrich Wilhelms III. war knapp drei Jahre zuvor gestorben, und so sollte das "EK", wie man das Eiserne Kreuz bald nannte, indirekt auch an die beliebte und vielfach betrauerte Monarchin erinnern.

Die mit einem schmalen silbernen Rand versehene und in der Königlichen Eisengießerei zu Berlin in großen Stückzahlen hergestellte Auszeichnung sollte nur für die Dauer des nun beginnenden Krieges verliehen werden. Spätere Monarchen haben 1870 am Beginn des Krieges gegen Frankreich und 1914 am Beginn des Ersten Weltkriegs die Stiftung erneuert. Und auch Hitler belebte am Vorabend des Zweiten Weltkriegs (1939) die alte Tradition neu. Die Krone wurde durch das Hakenkreuz ersetzt, und außerdem gab es noch Sonderstufen wie das Ritterkreuz mit und ohne Brillanten. Nach dem Zweiten Weltkrieg durften in der Bundesrepublik Deutschland einzelne Stufen des Eisernen Kreuzes getragen werden, allerdings ohne Hakenkreuz, das als verfassungsfeindliches Symbol verboten war und ist.

Als am 18. Oktober 1813 die Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen war und die Franzosen abziehen mussten, verlieh der preußische König das Eiserne Kreuz freudigen Herzens. Einer blieb ausgenommen - König Friedrich August I. von Sachsen. Seit 1763 auf dem Thron in Dresden, hatte der Wettiner aus Überzeugung bis zuletzt zu seinem Gönner Kaiser Napoleon I. gehalten, und daraus haben ihm die Siegermächte Preußen, Österreich, Russland und England einen Strick gedreht. Der König von Sachsen wurde gefangen genommen und nach Berlin abgeführt. Sein preußischer "Kollege" wies ihm das Schloss Friedrichsfelde als Wohnsitz an. Es befindet sich im heutigen Tierpark Friedrichsfelde und wird als Museum genutzt. Überliefert ist, dass Friedrich Wilhelm III. von der Gemahlin des Gefangenen mit Mühe überredet wurde, sich mit Friedrich August I. zu treffen. Das Gespräch verlief frostig und dauerte nur wenige Minuten. Der Preußenkönig mag sich bei der Begegnung an eigene Demütigungen erinnert haben, die er als Verlierer der Schlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 und als Teilnehmer der sich anschließenden Friedensverhandlungen von Tilsit hatte erleiden müssen, und dies zu einer Zeit, da der Sachse als ehemaliger Verbündeter der Preußen kaiserlichen Pardon erhielt. Denn Napoleon I. hatte Friedrich August I. verziehen, dass er an der Seite Friedrich Wilhelms III. gekämpft hatte. Mit ihm schloss der Kaiser der Franzosen schon im Dezember 1806 Frieden.

Riesiger Steinturm bei Leipzig

Als Friedrich August I. nach mehrmonatiger "Ehrenhaft" in Berlin nach Dresden zurück kehrte, wurde er von seinen Untertanen bejubelt. Zwar war Sachsen um die Hälfte kleiner und hatte auch 42 Prozent seiner Einwohner eingebüßt, doch es existierte wenigstens noch. Die Bezie-hungen nach Berlin blieben gespannt, man vergaß den Preußen die dem sächsischen König und seinem Land zugefügte Schmach nie, und so trat Sachsen mit weiteren Verbündeten 1866 im Deutschen Krieg gegen Preußen und seine Koalitionäre an und verlor noch einmal. Als 1913 der hundertste Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig mit der Weihe des Völkerschlachtdenkmals gefeiert wurde, hat man nur noch am Rande erwähnt, dass der sächsische König ein Jahrhundert zuvor in den Strudel der napoleonischen Niederlage gerissen worden war.

Nach der Völkerschlacht bei Leipzig wollte Preußens König seinen "Erbfeind" Sachsen ganz von der Landkarte streichen und schlucken. Er hatte damit aber nur teilweise Erfolg, denn die anderen Siegermächte Österreich, Russland und England sowie das wieder unter bourbonischer Herrschaft stehende Frankreich ließen die vollständige Liquidierung von Sachsen nicht zu, denn man wollte nicht, dass Preußen allzu groß und mächtig wird. Dem aus Berliner Gefangenschaft entlassenen Sachsenkönig wurde die Abtretung von 58 Prozent seines Staatsgebietes an Preußen abgenötigt. Leipzig war nicht darunter, dabei hatte es Friedrich Wilhelm III. besonders auf die berühmte Handels- und Universitätsstadt abgesehen. Dennoch: die neu gebildete preußische Provinz Sachsen hatte es in sich, denn mit dabei war der alten Kurkreis um Wittenberg. So konnte es geschehen, dass sich Friedrich Wilhelm III. im Kerngebiet der Reformation zum Protektor des Lutheranertums aufschwang und in Wittenberg ein von dem Berliner Bildhauer Schadow gestaltetes Lutherdenkmal auf dem Marktplatz zu Wittenberg aufstellen ließ, nur wenige hundert Meter von der Schlosskirche entfernt, an die Martin Luther 1517 seine berühmten 95 Thesen schlug. Vom sächsischen Königshaus, das seit August dem Starken katholisch war, war eine solche Denkmalsetzung nicht zu erwarten.

Nach der Denkmalweihe in Leipzig verging nicht einmal ein Jahr, bis der Erste Weltkrieg begann. Der Boden für die Welle nationalistischer Begeisterung, die die Deutschen erfasste (um nur von ihnen zu sprechen!), war schon längst bereitet. Jetzt konnte man auf Frankreich, den in den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 und im Einigungskrieg von 1870/71 geschlagenen "Erbfeind" Frankreich richtig losdreschen. "Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoß ein Franzos, jeder Tritt ein Britt", war ein damals gängiger Spruch, doch wie man weiß, mussten das Deutsche Reich und seine Verbündeten eine Niederlage nach der anderen einstecken, und am Ende gab es dort 1918 die Novemberrevolution und purzelnde Kronen.

(6. Juni 2016)

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