Von Waltershausen nach Volvograd

Aus Angst vor der eigenen Bevölkerung ließ sich die SED-Spitze die von der Öffentlichkeit abgeschirmte Waldsiedlung Wandlitz bauen



Im "Städtchen" am Majakowskiring wohnte DDR-Präsident Wilhelm Pieck,
hier bei einem Glas Sekt mit dem sowjetischen Parteichef Chruschtschow
und Ulbricht, seinem ostdeutschen Pendant.




Bis Ende 1989 konnten nur wenige Auserwählte die schwer bewachten Pforte
zum inneren Kreis der heute als Reha-Klinik genutzten Waldsiedlung passieren.




Die ehemaligen Wohnhäuser der "teuren Genossen", hier das Domizil von
Egon Krenz, werden von der Brandenburg Klinik genutzt.




Erhalten blieben in der Waldsiedlung Bronzefiguren, Brunnen und
andere Hinterlassenschaften aus SED-Zeiten. (Fotos/Repro: Caspar)

Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und seiner Niederschlagung durch die Rote Armee beziehungsweise dem ebenfalls von sowjetischen Soldaten niedergewalzten Aufstand in Ungarn drei Jahre später fühlten sich die SED-Führung und die DDR-Regierung im "Städtchen" nicht mehr sicher, einem von der Außenwelt abgeschirmten Ortsteil im Bezirk Pankow gleich neben dem ehemaligen preußischen Königsschloss und dem Schlosspark Schönhausen. Parteichef Walter Ulbricht, der auch stellvertretender Ministerpräsident war, hatte allen Grund, um seine Macht zu fürchten. Er drängte zum Umzug der obersten Funktionärsriege aus den großbürgerlichen Villen an einen von der Staatssicherheit besonders geschützten und gut bewachten Ort außerhalb von Berlin. Dieser wurde 1958 nach einiger Suche in waldiger Gegend nahe dem Dorf Wandlitz im Landkreis Bernau gefunden und mit erheblichem Aufwand an Geld und Material durch spezielle Baukolonnen zügig in ein Funktionärsgetto verwandelt. Die zunächst ins Auge gefassten Örtlichkeiten in Friedrichshagen (Berlin-Köpenick) beziehungsweise Hoppegarten (bei Berlin, jetzt Landkreis Märkisch-Oderland) wurden von den Politbürokraten verworfen, weil sie nicht genü-gend Wasser und Wald zu bieten hatten und wohl auch zu dicht am "Volk" gelegen waren.

Im Spätsommer 1960 konnten die ersten Politbüromitglieder mit ihren Familien die so genannte Waldsiedlung beziehen. Dem schwerkranken Staatspräsidenten Wilhelm Pieck blieb der Umzug von Pankow nach Wandlitz erspart, er starb am 9. September 1960. Obwohl die Waldsiedlung wie alle in der Nähe befindlichen militärischen Objekte mit der Aura des Geheimnisvollen umgeben war, wurde das Baugeschehen unter märkischen Kiefern im Westen bekannt und satirisch aufs Korn genommen. Sogar Lagepläne waren vom "Klassenfeind" veröffentlicht worden, und das war in den Augen der ganz auf ihre Sicherheit und Abgeschiedenheit erpichten Bewohner ein höchst unangenehmer Geheimnisverrat, der böse personelle Konsequenzen nach sich zog.

Sonderzug nach Pankow

Im "Sondergebiet Niederschönhausen" hatte es sich oberste Führungsriege von Partei und Staat gut gehen lassen. Hier fehlte es an nichts, es gab Sonderzuteilungen und viele Vergünstigungen, von denen die Normalbürger nicht zu träumen wagten. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatten in den Villen gut betuchte Pankower Bürger gewohnt. Die Häuser wurden enteignet und für die Bedürfnisse der neuen Bewohner, die sich als Arbeiterführer ausgaben und so taten, als sei ihnen großbürgerliches Ambiente zuwider, hergerichtet. Hinter vorgehaltener Hand nannte man das "Städtchen" am Majakowskiring nach dem prominentesten Bewohner Walter Ulbricht Waltershausen oder Ulbrichtshausen, doch wurden diese Spitznamen nicht wirklich populär. Hingegen hat man im Westen über Jahrzehnte den Bezirksnamen "Pankow" oder "Pankoff" geringschätzig als Synonym für das SED-Regime und seine Führer verwandt, weil man die Abkürzung DDR nicht in den Mund nehmen wollte. Der bekannte Song von Udo Lindenberg über den "Sonderzug nach Pankow" wurde hüben wie drüben gesungen, als das aus der Kaiserzeit stammende Villenviertel schon längst seinen Rang als komfortable Herberge für Ulbricht, Stoph, Honecker, Mielke, Mittag & Co. an die Waldsiedlung Wandlitz abgegeben hatte, aber immerhin weiter noch von nicht ganz so hochrangigen Ministern und Parteifunktionären bewohnt wurde. Als Vorbild für das "Städtchen" in Niederschönhausen und die Waldsiedlung Wandlitz dienten ähnlich streng bewachte und von der Öffentlichkeit abgeschirmte Sondergebiete der sowjetischen Nomenklatura nahe Moskau. Hier wie dort gab es Sonderläden sowie spezielle Kindergärten und gut ausgestattete medizinische Einrichtungen, und überall verhinderten Mauern, Gitter, Schlagbäume und Geheimdienstleute, dass sich Unbefugte den Häusern der Führungsclique näherten.

Das militärisch streng abgeschottete Objekt abseits des eigentlichen Ortes Wandlitz besaß an der A 11 eine eigene Autobahnabfahrt, über die die schwarzen Volvo-Limosinen der Politbürokraten ohne Halt nach Ostberlin brausten oder von dort kamen, von Stasi-Autos vorn und hinten eskortiert. Die von Honecker und den anderen Mitgliedern des Politbüros benutzten schwedischen Luxuskarossen verschafften der Waldsiedlung in Anspielung auf das sowjetische Wolgograd, das ehemalige Stalingrad, den Spitznamen "Volvograd". Man kann sich gut vorstellen, dass sich die Bewohner der Funktionärssiedlungen untereinander nicht gerade grün waren. Wie auf dienstlicher Ebene gab es auch im privaten Bereich Rivalitäten und Eifersüchteleien, etwa wenn die eine Familie mehr Autos und einen größeren Partykeller besaß als eine andere. Denn obwohl in Niederschönhausen beziehungsweise in Wandlitz die Spitzen des Arbeiter-und-Bauern-Staats versammelt waren und sich alle nach außen um Volksnähe bemühten, gab es doch erhebliche Rang-unterschiede entsprechend der Stellung, die die SED-Funktionäre und Regierungsmitglieder in Partei und Staate innehatten.

Angst, Zuckerbrot und Peitsche

Da es in der Ulbricht- und der Honeckerzeit auch in der obersten Etage heftige politische Kontroversen gab und Parteistrafen sowie Degradierungen hoher Funktionäre und Schlimmeres vorkamen, blieb es nicht aus, dass die Bewohner der beiden Sondergebiete in solchen Fällen innerhalb kürzester Zeit ihre Herbergen verlassen und sich woanders eine neue Bleibe suchen mussten. Denn es gehörte zu dem aus der Stalinzeit übernommenen System von Angst, Zuckerbrot und Peitsche, dass sich nur diejenigen ihrer Privilegien sicher sein durften und einen Orden nach dem anderen bekamen, die sich treu an die von der Parteiführung, das heißt Ulbricht und ab 1971 Honecker, vorgegebenen "Linie" hielten, auch wenn sie noch so absurd war.

Es sind Äußerungen von Bewohnern der nach einem einheitlichen Stil erbauten Einfamilienhäuser am Habichtsweg, Bussardweg und Eichenhäherweg in der Waldsiedlung überliefert, die von einem Getto oder einem goldenen Käfig sprechen (siehe Beitrag über "Tapetenkutte" auf dieser Internetseite). Wer ins Politbüro gewählt wurde, musste unweigerlich in die Wandlitzer Dienstwohnung umziehen. Ulbricht und Honecker, die beiden Parteichefs, ließen nicht zu, dass jemand aus ihrer Clique anderswo wohnt. Die Bewohner standen unter ständiger Beobachtung der Stasi, ihre Häuser sollen von Dach bis Keller verwanzt gewesen sein. Da in den Häusern am Majakowskiring viele Kinder und Jugendliche wohnten, blieb es nicht aus, dass diese Krach machten und sich bisweilen rüpelhaft benahmen, gar Wände beschmierten und Scheiben einwarfen. Mitunter gab es Ärger, wenn bei solchen Funktionärskindern westliche Kaugummireklame oder verbotene Zeitschriften gefunden wurden. Aussprachen und Verwarnungen waren die Folge. Ob dergleichen auch in Wandlitz vorkam, ist nicht überliefert.

Nach der Wende 1989/90 wurden Einzelheiten über die von Politbürokraten bewohnte Waldsiedlung Wandlitz bekannt. Sie besaß einen inneren und einen äußeren Sicherheitsring, den man auch heute in Rudimenten erkennen kann, wenn man das in eine große Gesundheitseinrichtung, die Brandenburg Klinik, umgewandelte Gelände besucht. Im inneren Zirkel befanden sich die architektonisch wenig extravaganten Häuser von Ulbricht, Honecker, Grotewohl, Mielke, Mittag, Herrmann, Krenz, Schabowski, Schürer und anderen Hochprivilegierten. Den Bewohnern standen Sonderläden, Sporteinrichtungen, Poliklinik, Sauna, eine Schwimmhalle, ein Kulturhaus und Kino sowie weitere Räumlichkeiten zur Verfügung. Im äußeren Ring waren das aus mehreren hundert Männern und Frauen zählende Dienstpersonal und die Versorgungseinrichtungen untergebracht. Selbstverständlich wurde die Waldsiedlung von Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit streng bewacht und überwacht, und auch die dort tätigen dienstbaren Geister gehörten dem MfS an. Sie wurden von ihrem obersten Dienstherren, Stasiminister Erich Mielke, angehalten, den Bewohnern des inneren Kreises alle Wünsche von den Augen abzulesen und keine Fragen zu stellen. Es ist überliefert, dass der cholerische Ordnungs- und Sauberkeitsfanatiker Mielke sehr ungemütlich und laut werden konnte, wenn er in der Waldsiedlung winzige Papierschnipsel entdeckte oder meinte, dass der Rasen nicht richtig geschnitten ist oder im Winter Schnee und Eis auf den Wegen liegen. Für die Volksbildungsministerin Margot Honecker stand immer ein unaufälliger Wartburg vor der Tür, wenn sie das Bedürfnis hatte, incognito übers Land zu fahren und nach dem Rechten zu sehen. (Zu Margot Honecker siehe erbenfalls einen Beitrag auf dieser Internetseite).

Private Kontakte waren unerwünscht

Gab es in Pankow-Niederschönhausen und in der Waldsiedlung während der Ulbrichtzeit bis 1970/71 unter den Bewohnern noch so etwas wie freundschaftlich-private Kontakte und ge-meinsame Feiern, so kam dieser manchmal fast familiäre Umgang in der Ära Honecker schnell aus der Mode. Die Bewohner des Sondergebietes Waldsiedlung sorgten sich vor allem um ihr eigenes Wohlergehen und Fortkommen. Begegnungen mit Nachbarn fanden eher zufällig beim Spazierengehen oder bei offiziellen Festlichkeiten statt, etwa bei Geburtstagen, Auszeichnungen oder Parteijubiläen. Inoffizielle Kontakte waren unerwünscht und wurden von der Stasi registriert. Wenn es hart auf hart kam, konnten sie als Fraktionsbildung ausgelegt werden, und auf die reagierten sowohl Ulbricht als auch sein "Kronprinz" und ab 1971 Nachfolger Erich Honecker ausgesprochen allergisch.

Als im turbulenten Wende-Herbst 1989 erstmals ostdeutsche Journalisten die Waldsiedlung Wandlitz betreten durften und Bilder von dort im DDR-Fernsehen gezeigt wurden, war das Erstaunen über die kleinbürgerliche, ja piefige Atmosphäre der Wohnhäuser groß, gemessen an den märchenhaften Erwartungen der DDR-Bewohner. Angesichts von Einbaumöbeln, dicken Teppichen sowie blitzenden Armaturen westlicher Produktion in Badezimmern und West-Kühlschränken in den Küchen wurden die vielen Privilegien übersehen, die die in Wandlitz wohnenden "Arbeiterführer" und ihre Familien wie selbstverständlich genossen. Untersuchungsaus-schüsse rechneten ihnen nach dem Ende der SED-Herrschaft vor, welche Unsummen für kostenfreies Tanken von Autos oder für exquisite Gewächshäuser ausgegeben wurden, und was alles im Westen gekauft wurde, um den Bewohnern des inneren Kreises ein angenehmes Leben zu bereiten. Außerhalb von Wandlitz bewohnten verschiedene Politbüromitglieder den großen Waldgebieten ehemalige preußische Jagdschlösser und gingen von dort auf die Pirsch. Honecker, Mielke und andere schießwütige Waidmänner belasteten den Staatshaushalt für ihr blutiges Hobby mit Riesensummen, und auch sonst wurden Millionen in DDR-Mark und in West-Mark ausgegeben, um den Spitzen der DDR-Gesellschaft ein angenehmes Leben zu bereiten.

Leben in Saus und Braus

Nach dem Ende der SED-Herrschaft im Herbst 1989 kamen empörende Einzelheiten über die von Mitgliedern des Politbüros und ihren Familien bewohnte Waldsiedlung Wandlitz ans Tageslicht und ihr Leben in Saus und Braus. Das von der Außenwelt hermetisch abgeschirmte "Städtchen" besaß einen inneren und einen äußeren Sicherheitsring. der von Angehörigen des Mielke-Ministeriums streng bewacht und kontrolliert wurde. Im inneren Zirkel befanden sich die Häuser von Ulbricht, Honecker, Grotewohl, Mielke, Mittag, Herrmann, Krenz und weiteren Spitzenleuten der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands sowie Sonderläden, Sporteinrichtungen, Sauna, Schwimmhalle usw. Im äußeren Ring waren das nach mehreren hundert Männern und Frauen zählende Dienstpersonal sowie Wachmannschaften und Versorgungseinrichtungen untergebracht. Alle in der Waldsiedlung tätigen Personen gehörten dem Ministerium für Staatssicherheit an. Nach dem jähen Aus für die im Vergleich zu den spartanischen Lebensverhältnissen der meisten DDR-Bewohner geradezu fürstlich ausgestatteten und überreich mit Westprodukten versorgten Funktionärssiedlung Wandlitz im Herbst 1989 wurde das Areal unter Hinzufügung neuer Gebäude in eine Reha-Klinik umgestaltet. Die eher bescheidenen Wohnhäuser von Ulbricht, Honecker, Stoph, Mielke, Mittag und Genossen sowie die anderen Bauten mit dem spezifische Flair der sechziger und siebziger Jahre stehen noch, sind aber inwendig umgebaut.

Das militärisch streng abgeschottete Objekt abseits des eigentlichen Ortes Wandlitz im Landkreis Bernau besaß eine eigene Autobahnzu- und -abfahrt, über die die schwarzen Volvo-Limousinen der Politbürokraten ohne Halt nach Ostberlin brausten oder von dort kamen, von Stasi-Autos vorn und hinten eskortiert. Die von Honecker & Co. benutzten Limousinen aus Schweden verschafften der Waldsiedlung in Anspielung auf das sowjetische Wolgograd, das ehemalige Stalingrad, den Spitznamen Volvograd, doch sprach man hinter vorgehaltener Hand auch von Waltershausen nach Walter Ulbricht, wenn die Rede auf Wandlitz kam. Nach dem jähen Aus für die im Vergleich zu den dürftigen Lebensverhältnissen der meisten DDR-Bewohner geradezu fürstlich mit Westprodukten versorgten Funktionärssiedlung wurde das Areal unter Hinzufügung neuer Gebäude in eine Reha-Klinik umgestaltet, und die Wohnhäuser der Politbürokraten wurden für Patienten um- und ausgebaut. Fragt man Patienten, dann wissen die meisten, wer ihre "Vorgänger" waren, immerhin liegt eine reichhaltige Literatur zu diesem Thema vor

LITERATURTIPP Zum Weiterlesen sei das mit vielen Informationen über das Funktionärsgetto im Bezirk Pankow und seine Bewohner das Buch von Hans-Michael Schulze "In den Wohnzimmern der Macht - Das Geheimnis des Pankower ,Städtchens'" empfohlen. Es erschien in der Berlin-Edition des Quintessenz-Verlags 2001, hat 244 Seiten und zahlreiche Abbildungen und kostet 29,90 Euro.

(10. Mai 2016)

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