"Vernichtung durch Arbeit"
Deutscher Bundestag erinnert bis Ende Februar 2016 mit einer Ausstellung an Menschen,
die im Zweiten Weltkrieg für das NS-Regime Zwangsarbeit leisten mussten




Die Ausstellung des Deutschen Bundestags im Berliner Paul-Löbe-Haus
ruft ein wenig bekanntes Kapitel, die Zwangsarbeit im ländlichen
Raum, während des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung.




Eine Gedenktafel und ein Denkmal erinnern an der Wismarer Straße
im Berliner Ortsteil Lichterfelde an das Leiden und den Tod
unzähliger Menschen, die im Zweiten Weltkrieg Zwangarbeit
verrichten mussten.



Eine Gedenkstätte auf dem Friedhof der Jerusalems- und Neuen Kirche
im Berliner Bezirk Neukölln ist den im Zweiten Weltkrueg bei der
Kirche beschäftigten Zwangsarbeitern gewidmet. (Fotos/Repro: Caspar)

Das Deutsche Reich litt schon vor dem Zweiten Weltkrieg unter Arbeitskräftemangel. Eine Million Stellen waren unbesetzt, und es wurde noch viel mehr, als unzählige Männer zur Wehrmacht eingezogen worden waren. Galt bis 1939 der Satz, Frauen hätten in Fabriken nichts zu suchen und sollten sich um Kinder und Familie kümmern, so wurden sie jetzt dringend als Arbeitskräfte benötigt. Versuche, in den von der Wehrmacht besetzten Ländern Freiwillige für die Arbeit in deutschen Fabriken und der Landwirtschaft anzuwerben, hatten nicht den erhofften Erfolg, weshalb Zwangsrekrutierungen vorgenommen wurden. Nur weil Zwangsarbeiter sowie KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene skrupellos ausgebeutet wurden und Sklavendienste verrichten mussten, war es möglich, große Mengen Panzer, Geschütze, Munition, Flugzeuge, Kriegsschiffe und so genannte Vergeltungswaffen zu bauen. Darüber hinaus wurden häufig von der Straße weg verhaftete Menschen bei Bauern, in der Nahrungsmittelwirtschaft, im Straßenbau, aber auch bei der Beseitigung von Trümmern und der Bestattung von Bombentoten sowie als Haushaltshilfen eingesetzt. Ständiger Lebensgefahr und sehr oft der Willkür ihrer Peiniger und Bewacher ausgeliefert, halfen mehr als 13 Millionen Zwangsarbeiter allein im Deutschen Reich gegen ihren Willen, dass das Nazireich nicht schon früher wirtschaftlich und militärisch zusammenbrach. Die Zahl derer, die in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten Zwangsarbeit leisten mussten, geht ebenfalls in die Millionen.

"Zwangsarbeit war in der nationalsozialistischen Diktatur ein Massenphänomen, ein vor aller Augen begangenes Verbrechen. Davon profitierten alle, auch die zivilen Sparten der Wirtschaft im Deutschen Reich und in den Gebieten, die es besetzt hielt", erklärte Bundestagspräsident Norbert Lammert Ende Januar 2016 bei der Eröffnung der Ausstellung "NS-Zwangsarbeit im ländlichen Raum", die bis zum 26. Februar 2016 im Paul-Löbe-Haus unweit des Berliner Reichstagsgebäudes gezeigt wird. Kolonnen von Zwangsarbeitern seien unter Bewachung allmorgendlich aus den Lagern in die Betriebe gezogen. Dass niemand von ihrem unfreiwilligen Einsatz und den ausbeuterischen Bedingungen, unter denen sie arbeiten mussten, gewusst habe, sei längst widerlegt. Und doch habe die Zwangsarbeit lange nicht den ihren Opfern gebührenden Platz in der deutschen Erinnerungskultur bekommen, so Lammert. Die Bild-Text-Dokumentation schildert, wie zur Zwangsarbeit gepresste Russen, Polen, Tschechen und viele andere Menschen im ländlichen Raum bis zum Umfallen schuften mussten, wie sie oft schlechter behandelt wurden als das Vieh, wie sie hungerten und erkrankten, welche Rolle Landräte, Bürgermeister und örtliche NS-Funktionäre bei der Rekrutierung der Männer, Frauen und Jugendlichen spielten und was sie taten, um "unbrauchbar" gewordene und als unnötige Esser eingestufte Personen durch Einweisung in Konzentrations- und Vernichtungslager wieder loszuwerden.

Die Zwangsarbeiter waren in abgeriegelten Wohnlagern untergebracht, sie hatten keine Rechte, wurden miserabel versorgt und ärztlich betreut. Viele zur Zwangsarbeit gepresste Männer, Frauen und oft auch Kinder starben an Unterernährung und Krankheiten und wurden so Opfer des von der Naziführung befohlenen Prinzips der "Vernichtung durch Arbeit". Auf der anderen Seite zitiert die Ausstellung aus Berichten, nach denen Gefangene Mitmenschlichkeit erfuhren und vergleichsweise gut behandelt wurden, vor allem dann, wenn sie in privaten Haushalten, kleinen Betrieben und auf Bauernhöfen beschäftigt waren.

In Berlin gab es etwa tausend große und kleine Zwangsarbeitslager. Viele befanden sich in Wohngebieten, andere am Rand der Stadt. Mit jeweils tausend und mehr Insassen unterstanden zwanzig dieser Lager der Wehrmacht, der Reichsbahn und der Reichspost, der Deutschen Arbeitsfront, den Berliner Verkehrsbetrieben, den Gaswerken, der Stadtverwaltung und anderen Einrichtungen. Profiteure waren Großbetriebe wie AEG, Siemens, Osram, Auto Union sowie verschiedene Rüstungsfabriken. Allein siebzig Lager unterstanden der von Albert Speer geleiteten Generalbauinspektion. In der so genannten Arbeiterstadt Große Halle in Spandau waren vor allem aus Westeuropa verschleppte Menschen untergebracht, um Hitlers und seines Stararchitekten Traum von der "Welthauptstadt Germania" zu realisieren. Als abzusehen war, dass die großspurigen Pläne wegen des Kriegsverlaufs nicht verwirklicht werden können, wurden die Zwangsarbeiter in der Rüstungsindustrie und anderen kriegswichtigen Betrieben eingesetzt. Lange wurde darüber geschwiegen, dass auch die Kirchen in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter beschäftigt haben. Beteiligt waren in Berlin 39 evangelische und drei katholische Gemeinden. Nachdem die Fakten lange vertuscht wurden, ging die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vor einigen Jahren in die Offensive und legte ein Schuldbekenntnis ab.

Den größten Anteil hatten aus der Sowjetunion verschleppte Menschen. Die ausgehungerten und kranken Gefangenen sollten nur so lange am Leben bleiben, wie sie die ihnen befohlene Zwangsarbeit verrichten konnten. In seinem Tagebuch notierte Propagandaminister Joseph Goebbels, wer an dieser Arbeit zugrunde gehe, um den sei es nicht schade. Justizminister Otto Thierack konkretisierte den Plan in einer Besprechung mit Himmler am 18. September 1942 so: "Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit. Es werden restlos ausgeliefert die Sicherheitsverwahrten, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, Polen über 3 Jahre Strafe, Tschechen oder Deutsche über 8 Jahre Strafe nach Entscheidung des Reichsministers."

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zählten lange zu den vergessenen Opfern der Nazidiktatur, zu den Opfergruppen, die vom deutschen Entschädigungsrecht nicht berücksichtigt wurden. Jahrzehntelang kämpften sie um die Anerkennung ihrer Leiden, um Entschädigung und Wiedergutmachung. Erst im Jahr 2000 wurde nach langwierigen internationalen Verhandlungen die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" durch ein Bundesgesetz gegründet. Deutsche Unternehmen beteiligten sich mit rund fünf Milliarden DM (etwa 2,5 Milliarden Euro) an einem Zehn-Milliarden-DM-Fonds zur Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen und weiterer NS-Opfer sowie zur Einrichtung des Fonds "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". 2001 konnten die Auszahlungen beginnen, die sich pro Person allerdings nur auf wenige hundert Euro beliefen, für sie aber wichtig waren, auch weil der deutsche Staat ihnen so etwas wie Genugtuung für erlittenes Leid verschaffte. Auch dieses beschämende Kapitel lange verweigerter Wiedergutmachung wird in der sehenswerten Zwangsarbeiter-Ausstellung thematisiert.

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