Hunger, Krankheit und viele Tote

Im Berliner Ortsteil Tegel wurde ein Ort zum Gedenken an Menschen eröffnet, die im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeit leisten mussten



Inschriften an Steinbänken im Historischen Gedenkort in Tegel-Süd nahe der
Bernauer Straße berichten von den Leiden zahlreicher hier
während des Zweiten Weltkriegs eingepferchter Zwangsarbeiter.




Original ist am Krumpuhler Weg/Billerbeckerstraße 123 diese Baracke.
Offiziell hießen solche Anlagen Gemeinschaftslager.




Nach der Wiedervereinigung leer stehend, wurde das ehemalige Zwangsarbeitslager
Schöneweide unter Denkmalschutz gestellt und in eine Gedenkstätte verwandelt.




Zu den in Schöneweide gezeigten Hinterlassenschaften gehören Ausweise
von Zwangsarbeitern. Hinter ihnen stehen schlimme Schicksale. (Fotos: Caspar)

Unzählige Zwangsarbeiter kamen während des Zweiten Weltkriegs in deutschen Rüstungs- und anderen Betrieben ums Leben. Zwar verhießen Inschriften an den Eingangstoren der Konzentrationslager "Arbeit macht frei", und den Häftlingen wurde vorgegaukelt, sie könnten ihr Leben durch fleißige Befolgung der Befehle ihrer Bewacher und allergrößte körperliche Anstrengungen erhalten. In Wirklichkeit aber sollten die ausgehungerten und kranken Gefangenen nur so lange am Leben bleiben, wie sie die ihnen befohlene Zwangsarbeit verrichten konnten. "Hinsichtlich der Vernichtung asozialen Lebens steht Dr. Goebbels auf dem Standpunkt, dass Juden und Zigeuner schlechthin, Polen, die etwa 3 bis 4 Jahre Zuchthaus zu verbüßen hätten, […] vernichtet werden sollten. Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit sei der beste", heißt es in einem Aktenvermerk vom 14. September 1942 des Reichsjustizministers Otto Thierack über ein Gespräch mit Propagandaminister Goebbels und Reichsführer SS Himmler. In seinem Tagebuch notierte Goebbels dazu: "Wer an dieser Arbeit zugrunde geht, um den ist es nicht schade."

Nur weil Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene skrupellos ausgebeutet wurden und unter unbeschreiblich schlimmen Bedingungen regelrechte Sklavendienste verrichten mussten, war es der deutschen Rüstungsindustrie möglich, große Mengen Panzer, Geschütze, Munition, Flugzeuge, Kriegsschiffe und so genannte Vergeltungswaffen zum Einsatz zu bringen. Die Zwangsarbeiter waren in abgeriegelten Wohnlagern untergebracht, sie hatten keine Rechte, wurden schlecht versorgt oder ärztlich betreut. Viele starben an Unterernährung und Krankheiten und wurden so Opfer des von der Naziführung befohlenen Prinzips "Vernichtung durch Arbeit". Auf der anderen Seite erfuhren Gefangene Mitmenschlichkeit und wurden vergleichsweise gut behandelt, vor allem dann, wenn die Ost- und weitere Arbeiter in privaten Haushalten sowie kleinen Betrieben und auf Bauernhöfen beschäftigt wurden.

Der "Historische Ort Krumpuhler Weg" im Berliner Ortsteil Tegel-Süd ist eine eher bescheidene Gedenkstätte mit original erhaltenen Baracken und weiteren Gebäuden eines ehemaligen Zwangsarbeiterlagers. Inschriften an Steinbänken und weitere Tafeln berichten, dass hier zwischen 1942 bis 1945 bis zu 1500 Menschen untergebracht waren, die aus mehreren Ländern zur Zwangsarbeit in das Deutsche Reich verschleppt wurden. Das Lager in einem ländlich anmutenden Wohngebiet war eines der größten in Berlin. Die Gefangenen mussten für die Rüstungsfirma Altmärkische Kettenwerke (Alkett) schuften, einem Tochterunternehmen von Rheinmetall-Borsig. Auf dem Gelände standen laut Lageplan von 1944 38 Gebäude, darunter waren Mannschafts- und Versorgungsbaracken aus Holz sowie massive Steinbaracken und Werkstätten. Es gab Splitterschutzgräben, eine Entlausungsanstalt und einen Schweinestall. Erhalten ist ein Ein-Mann-Bunker, in dem sich bei Luftangriffen ein Wachposten aufhielt, der Bombentreffer und Feuer melden musste. Ein Stolperstein am Krumpuhler Weg/Billerbecker Weg 123 A erinnert an einen psychisch kranken Ostarbeiter, der 1944 in der Heilanstalt Meseritz-Obrawalde ermordet wurde.

Dass die Geschichte des Zwangsarbeiterlagers Krumpuhler Weg in einem neu eröffneten Museum nahezu lückenlos dokumentiert ist, half bei der Gestaltung der Ausstellung. Sie zeigt Dokumente und Bilder, aber auch ausgegrabene und verrostete Essgeschirre, Schüsseln, Kannen und weitere Hinterlassenschaften als Zeugnisse für die primitiven Lebensumstände der zur Arbeit in der Rüstungsindustrie gezwungenen Russen, Weißrussen, Ukrainer sowie Franzosen und Italiener. Hinzu kamen Frauen aus Osteuropa, von denen 23 Geburten belegt sind. Die Zwangsarbeiter lebten in einer Umgebung, die bereits in den 1930-er Jahren als Waldidyll am Tegeler See beworben wurde und so auf Berlinkarten von heute genannt wird.

Eine vergleichbar authentische Erinnerungsstätte in Berlin ist als "Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit" im Ortsteil Schöneweide erhalten. Die Steinbaracken ebenfalls in einem Wohngebiet waren während des Zweiten Weltkriegs für mehr als 2000 ausländische Gefangene gebaut worden. Trotz mancher Veränderungen ist der ursprüngliche Charakter der Anlage noch deutlich erkennbar. Eine Schrifttafel berichtet, dass es rund tausend Zwangsarbeitslager in Berlin und einhundert allein im Bezirk Treptow gegeben hat, und unterstreicht, dass Ausbeutung und Rassismus die Würde dieser Menschen zutiefst verletzt haben. Die Baracken dienen heute als Ausstellungs- beziehungsweise als Seminar- und Bürogebäude. Ein Ausstellungsabschnitt berichtet über die Schicksale von Tschechoslowaken, die zur Zwangsarbeit gepresst wurden. Viele der 450 000 in deutsche Zwangsarbeitslager verschleppte Tschechoslowaken haben die Befreiung nicht erlebt, ist zu erfahren.

Die Ausstellung schildert, wie es den aus Polen, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und anderen Ländern verschleppten Menschen erging, die für den Feind arbeiten mussten und ständiger Todesgefahr ausgesetzt waren. Nach einer dort gezeigten Statistik stammten im September 1944 36 Prozent aller Zwangsarbeiter im deutschen Reichsgebiet aus der Sowjetunion, 19 Prozent aus Polen und 11 Prozent aus Frankreich. 43 Prozent aller ausländischen Arbeitskräfte waren 1944 in der Industrie, 36 Prozent und der Landwirtschaft, zwölf Prozent in Dienstleistungsbereichen, sechs Prozent auf dem Bau und drei Prozent im Bergbau beschäftigt. Ende September 1944 waren mit 1,1 Millionen fast 50 Prozent aller Ostarbeiter Frauen. 1943 und 1944 waren knapp die Hälfte aller in der Landwirtschaft tätigen Menschen ausländische Arbeitskräfte oder Kriegsgefangene. Ein Drittel aller Zwangsarbeiter waren Ende September 1944 Frauen.

Polizei und Justiz bestraften erbarmungslos jeden Versuch, sich der Zwangsarbeit zu entziehen, aber auch die minimalen Essensrationen durch Diebstahl zu verbessern oder private Beziehungen zu Deutschen einzugehen. Allein zwischen Januar und September 1943 verhaftete die Gestapo 260 000 Zwangsarbeiter wegen Fluchtversuchen, des Vorwurfs der Arbeitsverweigerung oder des verbotenen Umgangs mit Deutschen. Der tägliche Terror gegen die Zwangsarbeiter resultierte aus der Angst, diese könnten sich zu "Banden" zusammentun oder sich unter Missachtung der Rassengesetze fortpflanzen. Mit brutalen Mitteln einschließlich von öffentlichen Hinrichtungen wurden die Zwangsrekrutierten diszipliniert. Um sie abzuschrecken hat man über die Todesurteile und ihre Vollstreckung auf Plakaten und in den Zeitungen berichtet.

Die unweit des S-Bahnhofs Schöneweide unter den Augen der Anwohner zusammengepferchten Zwangsarbeiter sollten ursprünglich beim Aufbau der "Welthauptstadt Germania" nach Plänen von Hitler und seines Stararchitekten Albert Speer eingesetzt werden, mussten aber die meiste Zeit in der Kriegsindustrie und beim Straßenbau schuften oder waren als billige Arbeitskräfte in umliegenden Betrieben und beim Luftschutz eingesetzt. Das Lager Schöneweide, das eng mit dem Industriestandort Ober- und Niederschöneweide/Johannisthal in Verbindung stand, dokumentiert anhand von Schrifttafeln und Hinterlassenschaften der Sklavenarbeiter und ihrer Wächter die räumliche und inhaltliche Nähe von Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft. Unter dem Dach der Stiftung Topographie des Terrors tätig, ergänzt die Dokumentationsstätte die schon existierenden authentischen Orte nationalsozialistischer Verbrechen in Berlin. Dass die Baracken nach dem Krieg erhalten blieben, ist ihrer Nutzung unter anderem durch ein Impfstoffinstitut der DDR zu verdanken.

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"